7. April 2017

Sanma no aji [An Autumn Afternoon]

Make hay while the sun shines.

Vor fünf Jahren war es dann geschafft: Bei der alle Jahrzehnte stattfindenden Umfrage von Sight & Sound unter Regisseuren verdrängte Ozu Yasujirōs Tōkyō monogatari [Tokyo Story] nach zwei Jahrzehnten Orson Welles’ Citizen Kane von Platz 1 der besten Filme aller Zeiten. Und das, wo der Film bei den beiden Befragungen der Regisseure zuvor nicht einmal unter den Top Ten landete. Ozu gilt gemeinhin als einer der besten Auteure der Film-Geschichte und vollendete bis auf wenige Ausnahmen ähnlich wie ein Woody Allen nahezu jährlich mindestens ein Werk. Das letzte solche war Sanma no aji [An Autumn Afternoon], der 1962 veröffentlicht wurde – rund 13 Monate ehe Ozu an seinem 60. Geburtstag schließlich seinem Krebsleiden erlag.

Ozus finaler Film handelt wie so viele seiner Werke von familiären Beziehungen zwischen Eltern und Kind. Der Witwer Hirayama (Chishū Ryū) trifft sich mit seinen ehemaligen Schulkameraden Kawai (Nakamura Nobuo) und Horie (Kita Ryūji) zu einem Klassentreffen. Zu diesem wird mit Sakuma (Tōno Eijirō), Spitzname „der Flaschenkürbis“, auch ein ehemaliger Lehrer der Männer eingeladen. Inzwischen betreibt er einen Nudel-Imbiss und lebt verwitwet mit seiner erwachsenen Tochter. Der Alkoholiker Sakuma macht Hirayama bewusst, dass er selbst seine Tochter Michiko (Iwashita Shima) – mit 24 Jahren im besten Alter – verheiraten muss, wenn er vermeiden will, dass ihr letztlich dasselbe Schicksal droht wie der Tochter von Sakuma.

Michiko, die von ihrem Vater eingangs noch als zu naiv beschrieben wird, um sich für das andere Geschlecht zu interessieren, nimmt in Sanma no aji dabei lediglich eine Nebenrolle ein. Ozus Film fokussiert sich auf Hirayama und die übrigen älteren Männer, die scheinbar tagaus, tagein ihren Arbeitstag damit beschließen, sich in Bars hemmungslos dem Bier, Sake und Whiskey hinzugeben. Die Mehrheit von ihnen scheint verwitwet zu sein und während Horie sich eine junge neue Frau suchte – nur wenige Jahre älter als seine Tochter –, führen andere Witwer wie Sakuma und Hirayama ihren Alltag mit ihren Töchtern an ihrer Seite fort. “I’d hate to end up like that”, sagt Hirayama zwar in Bezug auf Sakuma; “But you will”, betont Kawai.

Worüber sich Hirayama zu Beginn noch keine Gedanken machte, wird durch die Präsenz von Sakuma plötzlich bedrohliche Realität. “My selfishness ruined her life”, gesteht sich der alte Lehrer später hinsichtlich des Lebens seiner Tochter ein. Hirayama, dem Ozu in seiner Geschichte keine sonderlich enge Bindung zu Michiko schenkt, muss zwischen seiner Abhängigkeit zu seiner Tochter und deren Lebensglück wählen. Schlussendlich entscheidet er sich dafür, die Heirat der 24-Jährigen voranzubringen – und gibt sich hierbei sogar ausgesprochen liberal. “Probably best to let her marry the man she likes”, bespricht er sich mit seinem ältesten Sohn Koichi (Sada Keiji), auf dessen Arbeitskollegen Michiko scheinst ein Auge geworfen hat.

Gegenüber einem thematisch nicht unähnlichen Film wie Ichikawa Kons Adaption Sasameyuki [The Makioka Sisters] dreht sich Sanma no aji jedoch nun nicht darum, einen passenden Ehemann für die zu verheiratende junge Frau zu finden. Zwar gibt es mehrere Anwärter, mit Koichis Arbeitskollegen auf der einen Seite sowie einem anonymen Kandidaten, den Kawai zu Beginn ins Spiel bringt, doch Ozu hält Michiko weiterhin im Hintergrund des Geschehens. Im Vordergrund steht, wie die Männer in dieser Welt mit ihrer Umgebung und der Rolle der Frauen darin umgehen. Der Regisseur zeichnet die Herren dabei weitestgehend als hoffnungslose Alkoholiker und Träumer, abhängig von der Gunst und der Unterstützung des weiblichen Geschlechts.

Koichi selbst erhält hierbei eine eigene Nebenhandlung, in welcher er und seine Frau Akiko (Okada Mariko) sich als Nachkriegsgeneration der fortschreitenden Amerikanisierung der japanischen Gesellschaft hingeben. Koichi leiht sich von seinem Vater Geld, um einen Kühlschrank kaufen zu können. Sein Augenmerk gilt jedoch eher einem Set gebrauchter Golfschläger, die er sich eigentlich gar nicht leisten kann. Die Zustimmung seiner Gattin hat Koichi dabei nicht, zudem macht Akiko gemeinsam mit Michiko mehr als einmal deutlich, dass Koichi auch nicht wirklich den Respekt erhält, der ihm als designiertes Familienoberhaupt der patriarchalischen Struktur innerhalb des Hirayama-Haushalts eigentlich gebührt.

Gemäß dem Audiokommentar von Filmwissenschaftler David Bordwell keine ungewöhnliche Darstellung im japanischen Kino. Bordwell liefert auch sonst informative Hintergründe zur Biografie Ozus und zu seiner typischen Art der Mise en Scène. “Typically Ozu’s films concentrate on few settings, revisiting and changing circumstances”, sagt Bordwell in Bezug auf die Locations in Sanma no aji, die primär aus Hirayamas Büro, seinem Zuhause, dem von Koichi sowie zweier Bars bestehen. Auch die für Ozu klassische unbewegte Kamera und seine tiefen Einstellungswinkel dürfen in seinem finalen Film nicht fehlen, der zu den wenigen sechs Werken gehört, die der Japaner in Farbe drehte (und dies ebenfalls in seine Mise en Scène integrierte).

“Ozu is mysterious in his simplicity”, berichtet der Filmkritiker Michel Ciment in einem Fernsehfeature des Bonusmaterials einem Kollegen. Die Handlung ist wie so oft bei Ozu sehr einfach gestrickt, aber deswegen keinesfalls belanglos. Für den französischen Schriftsteller Georges Perec erzählen Ozus Films “what’s happening when nothing is going on”. Dabei ist Sanma no aji trotz der subtil vorherrschenden Tragik der mehr von Abhängigkeit denn Liebe gezeichneten Eltern-Kind-Beziehung ein ausgesprochen amüsanter Film, der einige sehr nette running gags mit sich bringt zwischen der Altherrengruppe um Hirayama, Kawai und Horie. Ein würdiger Abschluss unter die Filmografie eines der wohl besten Auteure der Film-Geschichte.

8/10

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