26. Oktober 2013

Jeune & jolie [Jung & schön]

It was like a game.

Eben noch brachte man die Tochter ins Bett, knuddelte und scherzte und sowieso gab es nichts, was man sich nicht erzählte. Im nächsten Moment sitzt einem dann plötzlich die Polizei gegenüber und klärt darüber auf, dass das nunmehr 17-jährige Kind sich seit Monaten für Geld prostituiert hat. Schockschwerenot! Im Alltag wahrscheinlich eher die Seltenheit, wird dieses Szenario im jüngsten Film Jeune & jolie von François Ozon für Géraldine Pailhas’ liberale Mutter Realität. Dabei hat es ihrer Tochter Isabelle, freizügig gespielt vom 23-jährigen Model Marine Vacth, nie an etwas gefehlt.

Vom MacBook bis zum iPhone hat das Mädchen alles, was Kids heute so wollen. Für die Pubertierende jedoch nicht genug. Mädchen und ihre Sexualität scheinen im französischen Kino ein ganz eigenes Thema zu sein. Im Vorjahr beeindruckte Céline Sciamma mit Tomboy, in François Ozons Jeune & jolie ist die Protagonistin jedoch mehrere Jahre reifer. Im Urlaub am Meer beschließt Isabelle ihre Jungfräulichkeit an Felix, einen deutschen Touristen, zu verlieren. Dem Akt als solchen kann sie aber wenig abgewinnen und gibt vielleicht deshalb später den Avancen älterer Männer nach.

Die sind bereit, für diesen Akt, der Isabelle selbst relativ banal erscheint, ordentlich Geld zu zahlen. Ein Kontaktbörsen-Konto und die ausgeliehene Bluse ihrer Mutter später trifft sich die Jugendliche fortan nach der Schule mit ihren Freiern. Ähnlich wie in Luis Buñuels Belle de jour ist die Zuwendung zur Prostitution ein freier Akt trotz eigentlicher finanzieller Absicherung. Wo Catherine Deneuve jedoch ihre Fantasie und Lust befriedigte, ist dies bei Vacths Isabelle eher nicht der Fall. Vielmehr ist deren Hurerei im neuesten Werk von Ozon als ein Akt der sexuellen Selbstfindung zu deuten.

Die – so lässt es Ozons Film glauben – begann während der Sommerferie. Wir sehen Isabelle bei der nachmittäglichen Masturbation durch die Augen ihres jungen Bruders Victor und später beim Strandsex dann quasi durch die ihres losgelösten Ichs. Eben jene „jungfräuliche“ Isabelle verabschiedet sich daraufhin in die Nacht. Zurück bleibt ein Mensch, der sicher kein Mädchen mehr ist, aber eben auch nicht wirklich eine Frau. Ozon selbst bedient sich mehrmals in Jeune & jolie der Musik von Françoise Hardy, um mit ihren Textzeilen das Innenleben seiner pubertierenden jungen Figur darzustellen.

So singt Hardy in „L’amour d’un garçon“ zum Beispiel la petite fille que tu as connue / non, je ne suis plus (zu Deutsch: „Das Mädchen, das du gekannt hast / nein, das bin ich nicht mehr“). Von allen ihren Freiern wird im Film speziell die Beziehung zu dem weitaus älteren Georges (Johan Leysen) hervorgehoben, der sich sehr vorsichtig und fürsorglich der Jugendlichen annimmt. Isabelles Verhältnis zu Georges wird später der Geschichte einen Wendepunkt verleihen und die Handlung in der zweiten Filmhälfte in eine neue Richtung lenken sowie auch dem Ende eine besondere Note verleihen.

Getragen wird der Film von Marine Vacth, die glaubhaft eine sechs Jahre jüngere Jugendliche porträtiert und ihre Handlungen trotz fehlender Erläuterungen nachvollziehbar macht. Aber auch das restliche Ensemble spielt glaubwürdig und gefällt durch die Darstellung von Isabelles offener Familie und ihrer ungewöhnlichen Beziehung zum jüngeren Bruder. Jeune & jolie ist dennoch kein bloßes Pubertäts-Drama, gekonnt erzählt Ozon mittels subtilem Humor und nicht zu knapper Erotik einen Coming-of-Age-Film, nach dem Eltern pubertierender Töchter diese als erstes richtig knuddeln werden.

8/10

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