15. März 2009

Slumdog Millionaire

Your destiny is in your hands.

Die Schnitte sind hart. Die Farben sind bunt. Die Szenerie lebendig. Aus den Boxen dröhnt indische Musik. Poppige Musik. Jamal (Ayush Mahesh Khedeker) rennt gemeinsam mit seinem großen Bruden Salim (Azharuddin Mohammed Ismail) durch die Slums von Mumbai. Die Stilmittel des Regisseurs Danny Boyle sind hier so offensichtlich, wie vielleicht in keiner der anderen Szenen. Allgegenwärtig sind die Merkmale des Engländers dennoch durch Slumdog Millionaire hindurch. In seinem neuesten Film, der Romanadaption von Vikas Swarups Q & A, verschlägt es Boyle nach Indien, auf seine eigene kleine Welttournee der audio-visuellen Meisterwerke. Was einst mit Shallow Grave seinen Anfang nahm, ihn mit Filmen wie The Beach in die USA trieb und schließlich mit 28 Days Later zurück auf eine andere Insel, bevor es in Sunshine hinaus hing in die Unweiten des Alls, findet mit der ehemaligen britischen Kolonie Indien vorerst sein Ende.

Der britische Drehbuchautor Simon Beaufoy adaptierte Swarups zwölf Kurzgeschichten zu einem zusammenhängenden Märchen über Liebe und Schicksal. Den Rahmen für Slumdog Millionaire bildet hierbei das Quizshow-Format Who Wants to be a Millionaire?, welches nicht nur in Deutschland, sondern weltweit ein Quotenhit ist. Mit jener Show leitet Boyle seinen Film, der offiziell eine Komödie ist, auch ein. Gelungen stellt er seinen Protagonisten Jamal (Dev Patel) in einer Parallelmontage vor. Während er sich dem Jubel der Quizshow hingibt, wird er gelegentlich an einen Stuhl gefesselt von einem Mann geohrfeigt und gefoltert. Woher er die Antworten auf die Fragen gewusst habe, will der Mann (Saurabh Shukla) wissen, der sich wenig später als Polizeisergeant entpuppt. Sein vorgesetzter Inspektor (Irrfan Khan) übernimmt das Verhör und lässt parallel dazu eine Videoaufnahme von Jamals Siegeszug ablaufen. Frage für Frage erläutert Jamal schließlich, woher er die Antwort wusste: „It was written“.

Die Geschichte von Slumdog Millionaire gliedert sich in drei Teile. Im Zentrum stehen dabei stets die beiden Brüder Jamal und Salim, sowie die Waise Latika. Als eines Tages hinduistische Fanatiker Jamals und Salims Slum stürmen und unter anderem ihre Mutter töten, sind die beiden Brüder auf sich allein gestellt. Jamal freundet sich mit dem Mädchen und der Waise Latika (Rubina Ali) an und fortan haust die Gruppe auf einer Müllkippe. Dort werden sie schließlich vom Kinderhändler Maman (Ankur Vikal) aufgelesen, der ziemlich schnell das soziopathische Potential in Salim entdeckt. Als sich die Situation zuspitzt, können die Brüder fliehen, doch Latika bleibt zurück. Während sich Jamal (Tanay Hemant Chheda) und Salim (Ashutosh Lobo Gajwala) als Kleinkriminelle durchschlagen, lässt Latika (Tanvi Ganesh Lonkar) Jamal einfach nicht los. Die Beziehung zwischen Jamal (Patel) und Latika (Freida Pinto) stellt die Quintessenz des Filmes dar, der verschiedene Genres in sich vereint.

Beaufoy platziert verschiedene komische Elemente zur humoristischen Auflockerung in seine Geschichte, die speziell zu Beginn sehr tragisch daherkommt. Hetzjagden auf indische Muslime, das Leben im Slum, der Verlust der Mutter und das Schicksal als Straßenbettler für einen Kinderhändlerring. All dies sind eigentlich Aspekte, die Boyles Film sehr ernst erscheinen lassen könnten. Doch dies ist nicht der Fall. Ausgesprochen unterhaltsam, stets rechtzeitig auflockernd, präsentiert der Engländer die Geschichte der Kinder bzw. Jugendlichen Jamal, Salim und Latika, die trotz ihrer Unernsthaftigkeit dennoch keineswegs belanglos ist. Diese authentischen Probleme einer Kultur in einem Schwellenland werden einem sehr wohl bewusst und dieser Aspekt der unterhaltsamen Mitteilung von politisch brisanten Perspektiven ist fraglos einer der größten Vorzüge von Beaufoys Skript.

Neben diesen Ansätzen einer Milieustudie ist Slumdog Millionaire zugleich aber auch Gangsterfilm, quasi eine indische Antwort auf Cidade de Deus, aber auch Liebesfilm und Satire. Speziell die Szenen mit dem fiktiven Who Wants to be a Millionaire?-Moderator Prem Kumar (Anil Kapoor) nutzt Boyle, um einen etwas fragwürdigen Blick hinter die Kulissen einer erfolgreichen Fernsehshow zu werfen. Denn Kumar fragt sich ebenso wie jeder andere in Indien, woher Jamal stets die richtige Antwort auf seine Fragen weiß. An diesem Punkt verlässt Boyles Film dann natürlich die Ebene der Realität, da jener Aspekt der Geschichte vollkommen konstruiert ist. Im Zuge seines Märchens werden Jamal selbstverständlich stets die Fragen gestellt, die er durch seine Lebenserfahrung beantworten kann. Sinnbildlich steht dies jedoch auch für jenes Wissen, dass man nicht aus Schulbüchern erlernt, sondern im harten Leben auf der Straße. Beaufoy verdeutlicht dem westlichen Publikum damit, inwieweit Kinder in Krisenregionen schon in jungen Jahren mehr mitmachen, als manch Erwachsener, der in einem sozial normalen Umfeld groß wurde.

Nichtsdestotrotz ist Slumdog Millionaire abgesehen von seiner kitschigen Konstruiertheit bisweilen stark redundant. Jene Redundanz und die Tatsache, dass einige Handlungselemente nicht immer allzu deutlich sind, trüben das ansonsten sehr ansehnliche Gesamtbild von Boyles Film. Die positiven Seiten überwiegen allerdings. Castingleiterin Loveleen Tandan ist ein Meisterstück gelungen. Speziell die Darsteller der jüngsten Versionen des Trios sind sehr stark besetzt. Das fabelhafte Gesamtbild verdankt sich dann der Kamera, dem Schnitt und speziell der Musik von Allah Rakha Rahman und Maya Arulpragasam. Alles in allem macht die Geschichte des Filmes die meiste Zeit richtig Laune, lässt einen als Zuschauer mitfiebern, obschon das Gezeigte nicht zwingend spannend ist. Die sympathischen Darsteller wissen dabei ihre Rolle stets zu tragen und auch den Entwicklungsprozess der Charaktere glaubwürdig zu transferieren. Danny Boyle untermauert mit diesem Film seine anhaltende Konstanz, die ihn in den elitären Kreis der Regisseure hebt, die bisher ohne wirklichen Flop ausgekommen sind.

7.5/10

10 Kommentare:

  1. "...speziell der Musik von Allah Rakha Rahman und Maya Arulpragasam (besser bekannt unter ihren Künstlernamen A.R. Rahman und M.I.A.)."

    Ich finde sowas immer ziemlich geeky. PAPER PLANES war international ein riesen Hit, die Namenserläuterung ist für die Katz. Nur so als Anregung, da hängt sich neben mir ja auch Rajko öfter auf.

    Sonst Zustimmung, schöner Film.

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  2. Sinnbildlich steht dies jedoch auch für jenes Wissen, dass man nicht aus Schulbüchern erlernt, sondern im harten Leben auf der Straße. Beaufoy verdeutlicht dem westlichen Publikum damit, inwieweit Kinder in Krisenregionen schon in jungen Jahren mehr mitmachen, als manch Erwachsener, der in einem sozial normalen Umfeld groß wurde.

    Sorry, das würde der Film vielleicht gerne verdeutlichen, macht er aber nicht wirklich. Das Ganze ist und bleibt eben immer nur Märchen, ohne auch nur einmal der Realität eine echte Chance zu geben. Ich finde das nicht verwerflich, eher uninteressant.

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  3. Reine Ansichtssache.

    Naja, frag mal bei den echten Slumdogs in Mumbai nach, ob die auch zu so cooler Mucke und in Cinemascope über die Dächer hopsen.

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  4. Na dann ist ja doch alles in heile Filmweltbutter.

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  5. "Naja, frag mal bei den echten Slumdogs in Mumbai nach, ob die auch zu so cooler Mucke und in Cinemascope über die Dächer hopsen."

    Wieso macht Boyle das nur? Nun ja: Wieso leckt sich der Rüde die Eier? Weil er es kann.

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  6. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  7. Der kann sich die Eier lecken wie er will, nur verklärt mir den Film nicht zum Sozialdrama.

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  8. Ach, Sozialdrama hin oder her, das ist einfach eine schöne Geschichte, durchaus annehmbar visualisiert und vorgetragen - die 8 Oscars waren zu viel, dennoch ein guter Film.

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