17. Oktober 2007

Reign Over Me

I was stuck in Charlie world, I couldn't leave.

Vom Leben gebeutelte Figuren – damit hat Regisseur Mike Binder bereits in Man About Town und The Upside of Anger bereits das Publikum konfrontiert. Jedoch nicht in dem Ausmaß, wie er es dieses Jahr mit Reign Over Me getan hat. Seine Geschichte über die Nachwirkungen des 11. September lief kaum bis gar nicht in den deutschen Kinos. Aber das Michael-Bay-Bashing aus Snow Cake soll an dieser Stelle nicht nochmals wiederholt werden. Jedenfalls setzt sich Binder hier mit einem extrem ambitionierten Thema auseinander. Einem Thema, bei dem man als Regisseur schnell mal alles falsch machen und viele Leute vor den Kopf stoßen kann. Ursprünglich sollten Tom Cruise (Charlie) und Javier Bardem (Alan) die Hauptrollen spielen und zum Glück haben sie es nicht getan. Der überschätzte Tom Cruise lehnte das Projekt ab und der talentierte Bardem schlug stattdessen Adam Sandler vor, schied wenig später jedoch selber aus dem Projekt aus. Sandler, von der Rolle zuerst zurückgeschreckt, sagte schließlich doch zu und spielte die zweite Hauptrolle neben Don Cheadle.

Alan Johnson (Don Cheadle) ist Zahnarzt, mit seinem Job und seinem Leben jedoch unzufrieden. Von den Kollegen in seiner Praxis nicht geschätzt und von seiner Frau an der kurzen Leine gehalten, vermisst Alan den Freiraum und schreibt dies seinen fehlenden Freunden zu. Mit diesen Problemen und anderen, beispielsweise einer Patientin (Saffron Burrows), die ihn oral befriedigen möchte, belästigt Alan gerne seine Psychiaterkollegin Angela (Liv Tyler) - außerhalb ihrer Praxis. Frischen Wind erhält Alans Leben, als er auf seinen Studienfreund Charlie Fineman (Adam Sandler) trifft. Alan geht distanziert mit Charlie um, hat dieser doch bei den Terroranschlägen vom 11. September seine Frau und drei Töchter verloren. Doch Charlie erkennt Alan zu Beginn überhaupt nicht und es stellt sich heraus, dass er alles was zu seiner Vergangenheit gehört, insbesondere seine Familie, verdrängt und verleugnet. Alan, der von Charlies unermesslichem Freiraum sehr angetan ist und dadurch in Streit mit seiner Frau (Jada Pinket-Smith) gerät, versucht alles, um Charlie wieder in die Gesellschaft einzugliedern und sich dem Leben erneut zu öffnen.

Konträrer könnten diese beiden Figuren - Alan und Charlie - nicht sein. Alan, gut situiert, lebt mit seiner schönen Frau und seinen beiden Töchtern in einem großen Apartment. Sein Alltag bestimmt sich durch Arbeit, der Pflege seiner Eltern und geruhsamen Abenden mit seiner Frau Daheim. Das dies mit der Zeit eintönig ist, wird jedem klar und daher erklärt Alan gegenüber Angela auch, was ihm fehlt: Zeit unter Männern. Mit Freunden abhängen, einfach gelegentlich sowohl vom Berufs-, wie Familienleben ausspannen. Doch außer seiner Familie hat Alan eigentlich niemanden. Hier ist der erste kleine Schwachpunkt der Geschichte, denn wieso jemand wie Alan keinen einzigen Freund hat, wird aus seiner Charakterisierung nicht deutlich. Er ist so gut aussehend, dass ihn eine noch besser aussehende Patientin in seiner Praxis oral befriedigen will und beweist in seinem Umgang mit Angela, dass er sehr wohl sozial aktiv sein kann. Jeden Abend mit seiner Frau zu verbringen kann da verständlicherweise auf Dauer langweilen – wobei Binder Alans Frau Janeane noch weniger charakterisiert und in keiner Weise andeutet, wieso auch diese keine Freundinnen zu haben scheint.

Auch Charlie hat keine Freunde - jedoch nicht weil er nicht kann, sondern weil er nicht will. Er spielt in einer Band in einem Punk-Laden und kann in seinen Interessensgebieten problemlos mit Menschen sozial interagieren. Aber er lebt in seiner eigenen kleinen Welt, einer Welt wo er alle Erinnerungen an seine Freunde und Familie ausgeklammert hat. Charlies bester Freund eröffnet Alan in einer Szene, weshalb Charlie so gut mit ihm, Alan, kann: weil Alan nichts über Charlies Leben weiß. Die letzten 15 Jahre in seinem Leben, inklusive Hochzeit und die Geburt der drei Töchter, hat Alan verpasst, erst aus der Zeitung überhaupt von deren Tod erfahren. Für Charlie ist Alan also einfach der alte Kumpel von der Schule, der nichts von ihm weiß, außer das, was er ihm erzählt. Und so hat Charlie keine Probleme Alan mit zu seinen Gigs oder einem Mel-Brooks-Marathon mitzunehmen und die Nächte bei sich zu Hause an der PlayStation durchzuzocken. Charlie teilt sein Leben in dieser Phase mit Alan und behält seinen Kummer und Schmerz. Alan hingegen will auch dies mit ihm teilen und seinem Freund ebenso zuhören, wie dieser ihm.

Manche Mängel, darunter die Einbindung der psychisch angeknacksten Donna (Saffron Burrows), stoßen etwas übel auf. Als Gesamtwerk bleibt Reign Over Me jedoch ein schönes Werk über Akzeptanz, Schmerz, Verlust, Bewältigung und Freundschaft. Dabei wird der Film getragen von seinen exzellenten Darstellern Cheadle und Sandler, später auch noch unterstützt von Donald Sutherland. Charlies Welt ist faszinierend, anziehend und abstoßend zugleich - die Freundschaft zu Alan das Herzstück des Filmes. Binder verziert sein Werk mit lustigen Charakteren und rockiger Musik und es gelingt ihm, dem Thema der Nachwehen von 9/11 gerecht zu werden. Exemplifizierend an Charlie erörtert er, was der Terroranschlag für die New Yorker bedeutet und erarbeitet Charlies Kummer mit Fingerspitzengefühl und äußerst diskret. In vielen rührenden Szenen beweist der Film trotz seiner gegebenen Schwächen sein enormes Potential und ist durch sein Nebenthema einer starken und Kraft gebenden Freundschaft einer der Filme dieses Kinojahres.

8/10

1 Kommentar:

  1. Danke für den Tipp, ich kann dir eigentlich bei allen Kritikpunkten zustimmen und auch deine Punktevergabe ist perfekt gewählt. Allerdings muss ich sagen, dass sich meiner Meinung nach die Story auch sehr gut ohne die Einbeziehung von 9/11 getragen hätte. So kommt durch diese Storyline im Hinterkopf immer das etwas zu gezwungen traurige Feeling hoch.

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