22. Mai 2012

Moonrise Kingdom

Are your ears pierced?

Das Kino des Wes Anderson ist bevölkert von skurrilen Figuren, durch und durch eigenen Typen, die meisten von ihnen darüber hinaus mit einem Vater-Komplex ausgestattet. Egal ob sie Max Fischer oder Steve Zissou heißen beziehungsweise den Namen „Tenenbaum“ oder „Whitman“ tragen. Es sind verlorene Charaktere in ihrer eigenen kleinen Welt und insofern verwundert es nicht, dass sie auch in Andersons jüngsten Film Moonrise Kingdom wieder zahlreich vertreten sind. Hier muss ein einsamer Insel-Sheriff, trefflich Captain Sharp (Bruce Willis) benannt, die beiden entlaufenen Teenager Sam Shakusky (Jared Gilman) und Suzy Bishop (Kara Hayward) wieder einfangen, ehe ein epochaler Sturm aufzieht.

Über diesen hält uns ebenso wie über die Peripherie der Insel New Penzance ein namenloser Erzähler (Bob Balaban) über dem Laufenden, der mit Vollbart und Mütze aussieht, wie ein entlaufener Matrose von Steve Zissous Belafonte. Getrieben wird Andersons Film dabei von einer sporadisch erzählten Liebesgeschichte zwischen den beiden einsamen Jugendlichen, wie ohnehin jede Figur in Moonrise Kingdom einsam zu sein scheint. Weder Sam noch Suzy haben Freunde, die Ehe von Suzys Advokaten-Eltern (Bill Murray, Frances McDormand) wird mehr für die vier Kinder denn füreinander aufrecht erhalten und auch Captain Sharp und Sams Scout Master Ward (Edward Norton) leben zuvorderst für ihre Arbeit.

In seiner typischen visuellen Art erzählt Anderson nun mit 90-Grad-Schwenks und kräftigen Farben diese kathartische Geschichte, die von der Schrulligkeit ihrer sympathischen Figuren lebt. Mehr weil sie beide von ihrer Umgebung als absonderlich wahrgenommen werden denn weil sie wirklich romantische Gefühle füreinander hegen, finden Sam und Suzy hier zueinander und vollziehen den klassischen Kindertraum der Erzieherflucht. Ihre Motive sind dabei so schemenhaft wie die Figurenzeichnung von Anderson und Drehbuchpartner Roman Coppola. Dem Waisenkind Sam fehlt es an einer Familie oder zumindest an einer Vaterfigur, die er auch nicht in dem väterlichen Scout Master gefunden zu haben scheint.

Suzy wiederum lebt mehr eine kindliche Rebellion aus, ist sie doch als Problemkind gebrandmarkt und Zeugin, der außerehelichen Affäre ihrer Mutter. Wo Sam gar kein Familienleben hat, ist das der Bishops stark gestört, die mit ihren Kindern entweder gar nicht (Mr. Bishop) oder per Megaphon (Mrs. Bishop) kommunizieren. Wenn Sam in einer Szene das Leben mit seinen Pflegeeltern als fast so harmonisch beschreibt wie das von Suzys Familie, klingt dies zwar positiv, erhält jedoch durch den Filmkontext den passenden bitteren Wahrheitsgehalt. Wie in seinen übrigen Filmen, selbst dem Stop-Motion-Werk The Fantastic Mr. Fox, inszeniert (wenn nicht sogar zelebriert) Anderson die dysfunktionale Familie.

Nun ist das bei dem gebürtigen Texaner nichts Neues mehr, wenn die männliche Hauptfigur Sam wie die Kollegen in Rushmore oder The Darjeeling Limited über daddy issues verfügt, Außenstehende rund um Sharp und Ward sich wie in The Life Aquatic with Steve Zissou nach sozialer Aufnahme sehnen oder Suzy mit leeren und dunklen Lidschatten unterlegten Augen wie in The Royal Tenenbaums in die Kamera blickt. Wes Anderson erfindet sich nicht neu, sondern lediglich das Grundgerüst seiner Handlung. Das einzig Neue ist, dass Figuren wie Sharp und Ward mit Willis und Norton besetzt wurden, wo man eigentlich eher einen der üblichen Verdächtigen Andersons wie Dafoe oder einen der Wilsons erwartet hätte.

Für Fans von Anderson dürfte dies allerdings wenig problematisch ausfallen. Zu amüsant und süß sind die beiden jungen Hauptdarsteller, zu gelungen viele Szenen ihres Regisseurs. Allen voran der Auftritt von Jason Schwartzman als geldgieriger Fähnleinführer eines benachbarten Camps, aber auch Wes Andersons key player Bill Murray darf dank seiner herrlich zurückgenommenen Figur brillieren. Etwas müder, aber nicht zwingend wirklich störend, fallen da die Darstellungen von McDormand, Willis und Norton aus, zu denen sich auch Harvey Keitel und Tilda Swinton in zwei wenig erinnerungswürdigen Rollen gesellen. Dies ist primär die Show von Gilman und Hayward und beide Teenager reüssieren eindrucksvoll.

All die technische Raffinesse sowie der Charme von Handlung und Figuren kaschieren aber nicht, dass Moonrise Kingdom, obschon eine Steigerung zum trägen The Fantastic Mr. Fox, nicht die Klasse Andersons früherer Werke erreicht. Im Vergleich zu diesen wirkt das Ende hier so planlos zusammengeführt (wenn auch in sich schlüssig), wie der Film zu Beginn von der Leine gelassen wurde. Es zeichnet Anderson jedoch aus, dass selbst ein „lediglich“ solider Film bei ihm noch besser gerät als so manches starke Werk in der Vita eines anderen Regisseurs. Dennoch darf sich der Texaner im nächsten Projekt thematisch ruhig mal etwas öffnen. Sonst bleibt er selbst ein verlorener Charakter in seiner eigenen kleinen Welt.

8/10

1 Kommentar:

  1. Ich merke schon, dass ich in Sachen Wes Anderson noch einiges nachzuholen habe - erst recht wenn seine früheren Werke noch besser inszeniert sind. Moonrise Kingdom jedenfalls hat mir außerordentlich gut gefallen.

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