5. April 2012

The Grey

Once more into the fray. Into the last good fight I’ll ever know.

In seinem Werk De Cive von 1642 verwertete Thomas Hobbes ein Zitat des römischen Komödiendichters Titus Maccius Plautus aus dessen Asinaria: Homo homini lupus. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Eine Erfahrung, die auch Liam Neesons Filmfigur in Taken machen musste, dem zweiterfolgreichsten Film des nordirischen Schauspielers gemessen an seinem Budget. “I will look for you. I will find you. And I will kill you“, versprach er darin den Entführern seiner Tochter. Und in gewisser Weise ähneln sich Taken und Joe Carnahans The Grey. Darin ist der Wolf dem Menschen ein Wolf und wenn er sprechen könnte, würde er Neesons Figur wohl zuknurren: “I will look for you. I will find you. And I will kill you“.

Dabei ist es nicht so, als ob Carnahans Film ein sich rächendes Raubtier á la Michael Andersons Orca inszeniert, vielmehr dreht sich The Grey um die Natur – sowohl die des Menschen als auch die des Caniden. Einige Arbeiter einer Erdölraffinerie in Alaska reisen nach getaner Arbeit mit einer kleinen Maschine zurück in die Heimat. Inmitten eines Schneesturms gerät das Flugzeug in Turbulenzen und stürzt in der Einöde ab. Lediglich eine Handvoll überlebt den Absturz, sieht sich jedoch durch ein Wolfsrudel einer neuen Gefahr ausgesetzt. Scheinbar befinden sich die Männer im Jagdgebiet der Caniden und gelten damit als Konkurrenten. Der Einzelgänger Ottway (Liam Neeson) übernimmt daraufhin das Kommando.

Nun schickt sich Carnahan nicht unbedingt an, besonders originell sein zu wollen. Dank der Besetzungsliste und dem Status als Survival-Film ist absehbar, dass die Charaktere fortan Teil eines Abzählreims sind an dessen Ende nur einer stehen kann. Gleichzeitig nutzt The Grey Elemente anderer Genrevertreter: Die in einer verschneiten Einöde Gestrandeten erinnern an Frank Marshalls Alive, das Männer durch die Wildnis jagende Raubtier an Lee Tamahoris The Edge und das Szenario der umzingelten Gruppe durch einen vermeintlich überlegenen Gegner an John Carpenters Assault on Precinct 13. Hier wie dort sind die Figuren aber nicht nur zum Sterben da, sondern das Publikum darf sie auch zum Teil kennenlernen.

Zuvor hat uns Ottway im Prolog seine Kollegen quasi als Abschaum der Menschheit vorgestellt. Ex-Knackis und von der Gesellschaft ausgespuckte – “men unfit for mankind“. Auf den aggressiven Diaz (Frank Grillo) trifft dies ganz gut zu, auf die ruhigeren, bedachteren Talget (Dermot Mulroney) und Hendrick (Dallas Roberts) dagegen schon weniger. Die meisten von ihnen haben Familien zu Hause. Die Saisonarbeit auf einer abgelegenen Raffinerie sagt zudem mehr über sie aus, als es Worte vermutlich könnten. Am intimsten begegnen wir natürlich Ottway, der in einer Mischung aus Rückblende und Phantasie ins Bett zu seiner Frau flüchtet, nur um vom Film dann stets äußerst rabiat zurück in die Realität geholt zu werden.

Sowieso nimmt Carnahans Inszenierung eine wichtige Rolle in der Narration seiner simplen Geschichte ein. Der Flugzeugabsturz wird zum audiovisuellen Happening und die Wölfe zur oftmals lediglich dunklen Bedrohung, die mit glühenden Augen und Geheul überall und nirgendwo scheinen. Zugleich spielt der Film geschickt mit den Erwartungen. Wird ein Opfer der Caniden entsprechend exponiert, geschieht der nächste Angriff plötzlich vollkommen unerwartet. Die Folge ist, dass der Bildkomposition nicht mehr zu vertrauen ist, ein Angriff der Tiere genauso wahrscheinlich erscheint, wie kein Angriff. Diese Spannungsschraube ist eine der Stärken des Films und verleiht ihm streckenweise fast schon Jaws-Qualitäten.

Unterbrochen wird der Film-Flow lediglich, wenn The Grey sich allzu sehr seinen Figuren widmet. Denn so nett der Versuch ihrer Charakterisierung auch ist, so unerheblich fällt er letztlich durch das Abzählreimschema und die Austauschbarkeit der Nebenfiguren aus. Eine Lagerfeuerszene mit Anekdoten gerät hierbei genauso zu lang, wie die wiederholten Rückblenden von Ottway zu seiner Frau oder seinem Vater. Carnahans Survival-Thriller kommt folglich nicht um ein paar Längen in seiner zweiten Hälfte herum, weshalb dem Film eine Straffung von zehn Minuten sicherlich nicht geschadet hätte. Und auch die Darstellung der Wölfe hat neben ihren positiven Aspekten auch ihre etwas negativere Seite vorzuweisen.

Mit einer ausgeklügelten Taktik peitscht das Alphatier sein Rudel an, was in der Geschichte gleichzeitig als Analogie zu Ottways Gruppe dienen soll. Bisweilen allerdings gelangt die Dramatisierung der Caniden an ihre Plausibilitätsgrenzen, genauso wenn sich die CGI-Versionen doch stark von den realen Tieren unterscheiden. Nichtsdestotrotz ist Joe Carnahan mit The Grey sein bester Film seit Narc vor einem Jahrzehnt gelungen, der durch eine spannende Szenerie punktet und einen achtbaren Erfolg im Survival-Genre. Und wenn Liam Neeson am Ende Gott um Hilfe bittet, um so frustriert wie genervt “Fuck it. I’ll do it myself” zu raunen, dann merkt sogar das Alphatier, dass der Mensch auch dem Wolf ein Wolf sein kann.

6.5/10

6 Kommentare:

  1. Mein Interesse an dem Film verfliegt mehr und mehr. Wobei ich ihn vll. trotzdem wg. Neeson ansehen werde.

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  2. Es ist bei weitem kein schlechter Film. Empfehlen kann ich ihn durchaus.

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  3. Ja, sehe ich alles ähnlich. Der war ohne Frage unterhaltsam und bisweilen auch richtig spannend. Aber ich fand diese hölzernen Rückblendungen (er am Bett seiner Frau) lächerlich und überhaupt nicht zielführend, und die übertriebene Darstellung dieses auftoupierten schwarzen Wolfes hätte auch nicht sein müssen.

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  4. Rückblenden. Das heißt Rückblenden *lach*. Tippen und gleichzeitig der Kollegin zuhören funktioniert nicht :)

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  5. Klingt interessant. Werde ich mir definitiv vormerken, schon alleine da ich Neeson und das Setting sehr mag. Wird bei mir dann wohl 7.5 bzw. 8 Punkte geben... ;)

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  6. Der Film hat mich schon nach dem ersten Trailer nur mäßig interessiert. Sicherlich ist das für echte Neelson-Fans ein Fest, aber ins KIno lockt er mich nicht.

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