27. April 2011

Catfish

Art is the lie that tells the truth.
(Pablo Picasso)

Das vergangene Jahr stand im Zeichen der Faux Documentary, mit Banksys grandiosem Exit Through the Gift Shop, dem bereits in seiner Vorproduktion durchschaubaren Joaquin-Phoenix-Rap-Biopic I’m Still Here und dem viel diskutierten Indie-Hit von Sundance: Catfish. Seit seiner Premiere wird im Internet viel diskutiert, ob der Film echt oder fiktiv sei, respektive wie viel von dem stimmt, was dem Zuschauer hier eingeredet wird. Während Dokumentarfilmer Morgan Spurlock (Super Size Me) die Authentizität von Catfish bezweifelt, versichern Ariel Shulman und Henry Joost, ebenso wie Protagonist Yaniv Shulman, dass alles zu 100 Prozent real sei. Wie im Fall von Banksys Film, entscheidet der Zuschauer selbst.

Wurde David Finchers The Social Network, ebenfalls im vergangen Jahr, als der Zeitgeist-Film schlechthin gelobpreist, gebührt dieser Titel wohl eher Catfish. Mittels Google Earth, YouTube, iPhone und Facebook erzählen Henry Joost und Ariel „Rel“ Shulman die Geschichte von Rels kleinem Bruder Yaniv „Nev“ Shulman. Der 22-jährige Photograph erhält eines Tages ein Wasserfarbenbild einer seiner abgedruckten Photographien und beginnt daraufhin eine Facebook-Freundschaft mit Abby, der 8-jährigen Künstlerin des Bildes, sowie ihrer MILF-Mutter Angela und ihrer scharfen 19-jährigen Tochter Megan. “The Facebook Family. That’s what we’ll call them“, scherzt Nev in die Kamera von seinem Bruder und Henry.

Es stellt sich heraus, dass Abby ein Wunderkind ist, deren Bilder für tausende von Dollar verkauft werden, was es ihr ermöglicht, ein Gebäude zu kaufen und in eine Galerie umzufunktionieren. Mit den Monaten fokussiert sich Nevs Interesse jedoch auf Megan, mit der er eine intime Internetbeziehung beginnt. Sie schickt ihm eigens für ihn eingespielte Lieder, er ihr gephotoshopte Bilder. Als Nev, Rel und Henry dann nach einem Dreivierteljahr beruflich nach Colorado reisen und dort feststellen, dass Megans Lieder nicht von ihr stammen, sondern aus YouTube kopiert wurden, beginnen sich erste Zweifel einzustellen. Um die Wahrheit zu erfahren, fahren die drei nach Ishpeming, Michigan, wo die Familie lebt.

Dass das, was Catfish präsentiert, zu schön um wahr zu sein erscheint, dämmert einem spätestens, wenn Angela von Abbys teuer verkauften Bildern erzählt. Nev wiederum gibt sich sehr viel naiver und gutgläubiger, was natürlich der Entwicklung der Geschichte zuträglich ist. Die eigentliche Enthüllung, die am Ende des zweiten Aktes vollzogen wird und deren Konsequenz den letzten Akt ausmacht, ist dabei nur bedingt schockierend (selbst Nev und Co. thematisieren sie als Möglichkeit zu Beginn des zweiten Akts). Somit stellt sich von vorneherein nicht die Frage, ob etwas mit Megan nicht stimmt, sondern was es ist, dass nicht stimmt. Daher kann der Film sein Spannungsgerüst auch nur bis zu jener Enthüllung tragen.

In der Schilderung von Nevs Lebensalltag, der sich primär an seinem MacBook und dort in Facebook abspielt, sowie der „Recherche“-Mittel der Google-Dienste und YouTube, gelingt es Catfish gerade in seinem ersten Drittel exzellent ein Kontemporärbild der US-amerikanischen Gesellschaft zu zeichnen. Anstatt sich eine Freundin in der Weltmetropole New York zu suchen, verlagert Nev seine Sehnsüchte ins Internet und befriedigt seine romantischen Bedürfnisse in einem sozialen Netzwerk. Direkter menschlicher Kontakt als Rudiment der heutigen Gesellschaft - das scheint die Botschaft des Filmes, deren mögliche Konsequenz er im seinem finalen Akt in extremer Drastik und Dramatik auszuspielen versucht.

Angesichts der Entwicklung des Films erscheint dieser in seiner Summe zu absurd, als das sich alles so zugetragen haben soll, wie es die Shulmans und Joost versichern. Eher ist von einer Art Instrumentalisierung auszugehen, wie sie auch Banksy für seine Prankumentary genutzt hat. Sollte dem so sein, ist den Filmemachern natürlich in dokumentarischer Hinsicht ein großer Vorwurf zu machen. Und sowieso fällt der dritte und finale Akt etwas deplatziert aus, sowohl stimmungstechnisch als auch in seiner Konklusion. “The Facebook profile gives you the ability to present yourself in the way you would like to be seen by other people“, sagt Joost. Mit Catfish und der Darstellung von Nev verhält es sich im Grunde ebenso.

6.5/10

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