20. Dezember 2007

Eastern Promises

Sentimental value? Ah. I heard of that.

Wenn David Cronenberg einen Film dreht, dann handelt es sich dabei weder einfach nur um einen Film, noch um einen einfachen Film. Dabei sind Cronenbergs Filme der Masse eher unbekannt, vielleicht einmal von The Fly abgesehen. Dies dürfte bei Eastern Promises wohl anders werden, denn der Film hat relativ wenig bis gar nichts von Cronenbergs sonst so typischer Innovation und Kreativität was seine Charaktere und die Handlung betrifft. Stattdessen liefert er einen kalten, glatten Mafiathriller im Londoner Milieu, in welchem er sich mit seinem A History of Violence Hauptdarsteller Viggo Mortensen wiedervereint und diesem sogleich eine Oscarnominierung als bester Hauptdarsteller in einem Drama beschert. Bei den Kritikern kam sein neuer Film überraschend gut an, wobei diese, wie auch bei seinem Kollegen David Lynch, ohnehin meistens allein durch die Bildgewalt auf seiner Seite stehen. Das Interessante ist jedoch, wie erwähnt, dass Eastern Promises irgendwie so ganz anders ist, wie die anderen Cronenberg-Filme. Die Figuren wirken aus dem Leben gegriffen, die Handlung könnte sich so tatsächlich ereignen und auch sonst bewegt sich so ziemlich alles im normalen Bereich. Die Titelwahl weiß dabei auf die Handlung anzuspielen und funktioniert im Grunde auch in seiner deutschen Entsprechung Tödliche Versprechen, wobei der Titel hier etwas arg das Geschehen vorweg nimmt. Im Übrigen sei vorab erwähnt, dass der Film im Original weniger "lächerlich" wirkt, wie das vielleicht bei der Synchronisation der Fall sein dürfte.

Eine junge schwangere Frau wird in die Notaufnahme gebracht, während die Hebamme Anna (Naomi Watts) das Neugeborene zur Welt bringen kann, stirbt die Mutter. Alles was Anna bei Tatiana, der Verstorbenen, findet, ist ein Tagebuch – allerdings in russischer Schrift. Anna, selber russischer Abstammung, sucht anhand einer Visitenkarte im Tagebuch das Restaurant Trans-Siberian auf. Dessen Besitzer Semyon (Armin Müller-Stahl) erinnert sich an keine Tatiana, schlägt Anna jedoch vor das Tagebuch für sie zu übersetzen. Was Anna nicht weiß, ist dass Semyon der Kopf der wor v zakone, der Russischen Mafia, ist und das Tatiana in ihrem Tagebuch über ein Geheimnis von Semyon und dessen Sohn Kirill (Vincent Cassel) gestoßen ist. Kirill wiederum hat gemeinsam mit seinem Fahrer Nikolai (Viggo Mortensen) einen anderen vor umgebracht und damit unbewusst einen kleinen Untergrundkrieg begonnen. Nikolai, an sich nur der Chauffeur von Kirill und dessen Mädchen für alles, sieht sich kurz darauf als Werkzeug von Semyon wieder und steht zwischen den Fronten von Anna, für die er Gefühle entwickelt und der Russischen Mafia.

Generell wäre von einem atmosphärisch dichten Thriller zu sprechen, wenn er sich nicht an manchen Stellen aus diesem Muster herausbewegen würde. Besonders ungeschickt sind die Szenen mit Ekrem, der lediglich eine Witzfigur darstellt und irgendwie nicht in das Bild zu passen scheint. Auch wenn dies sicherlich so gewollt ist, dass er als unschuldige Figur in dieses schmutzige Geschäft hineingezogen wird und am Ende den Tribut dafür zahlen muss. Auch die Figur seines Vaters Azim hätte man besser schreiben oder besetzen können, sie erhält durch Mina E. Mina jedenfalls keine gute Darstellung. Naomi Watts wirkt in ihrer Rolle als Anna etwas verschenkt, auch wenn sie diese problemlos darstellen kann. Da sie jedoch nicht wirklich herausfordernd ist, hätte man sicherlich auch eine schwächere Aktrice wie die im Gespräch gewesenen Kate Beckinsale oder Rachel McAdams wählen können, ohne dass dabei der Qualität des Filmes ein Abbruch getan worden wäre. Denn die Handlung gehört allein Viggo Mortensen, der die Leinwand mit seiner Interpretation von Nikolai beherrscht, dagegen kann nur noch Cassel ankommen, der in der Figur des Kirill wie zu Hause angekommen scheint. Dem guten Armin Müller-Stahl will man dagegen den Mafiaboss nicht so ganz abkaufen, wenn er mit seinem Altherrenlächeln daherkommt. Obschon er zu den besten seiner Klasse zählt, wäre ein Brian Cox an dieser Stelle vielleicht besser gewesen, da sich auch Stahls deutscher Akzent im Original fremd gegenüber den russischen Gewichtungen in Cassel und Mortensens Sprache anfühlt.

Während die Kameraarbeit von Peter Suschitzky, Cronenbergs Stammkameramann, solide ist, ohne wirkliche Höhen wie Tiefen, ist es die Musik von Oscarpreisträger und ebenfalls Stammkomponist Cronenbergs, Howard Shore, die an manchen Stellen, besonders gegen Ende hin, falsch gewählt zu sein scheint. Die musikalische Untermalung unterstützt nicht wirklich die Bilder, bzw. trifft nicht den entsprechenden Ton des auf der Leinwand gezeigten. Schwer vorstellbar, dass der Mann, der Mittelerde ein Gehör geliefert hat, hier versagt haben soll, doch scheint dem leider so. Dabei ist der Score nicht per se schlecht, er weiß durchaus zu gefallen. Aber allein die finale dramatische Szene zeugt von einer musikalischen Epik, die einem Doctor Shivago angehören möchte, hier aber nicht wirklich hinpasst. Hatte A History of Violence noch eher einen Cronenbergschen Charakter, so scheint dieser Eastern Promises völlig abzugehen, da der Film abgesehen von seinem Gore-Gehalt auch von einem F. Gary Gray hätte inszeniert werden können. Die Charaktere sind so, wie man sie aus Gangsterfilmen nun mal kennt. Der ruhige, nach außen freundliche Patriarch, der den alten Idealen nachtrauert und sein Sohn, ein Heißsporn, wild und draufgängerisch. Dasselbe Muster findet man bereits in Coppolas The Godfather. Dagegen steht dann wiederum Nikolai, der es pflegt zu betonen, dass er nur der Fahrer ist, der nach links, rechts oder geradeaus fährt – sich dennoch aber auch nicht zu schade ist, alles andere zu machen, was man von ihm verlangt, sei es die Verstümmelung einer Leiche oder Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten.

Anna wiederum, die gute Seele, ist selber russischer Abstammung, kann jedoch kein Russisch. Es dauert eine Weile, bis sie merkt mit wem sie sich überhaupt angelegt hat und dennoch zeigt sie anschließend keine Angst, sondern treibt das Spiel weiter und weiter. Hier weicht Cronenberg zur Abwechslung ab von seinem Portrait der realen Welt, denn Anna versteckt sich nicht, sondern sucht im Gegenteil die Konfrontation. In der Wirklichkeit hätte man sich als Mafiosi wohl Anna gleich zu Beginn entledigt, hier steht jedoch eine Beseitigung der unliebsamen Person zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Semyon wird nicht müde die gute Anna auf ihre russische Vergangenheit anzusprechen, wenn er sie immer mit ihrem Patronym Anna Ivanovna nennt. Ganz nach dem Motto „es bleibt in der Familie“ soll Anna ihm das Tagebuch geben und die Sache ist vergessen. Auch Nikolai weist sie daraufhin, dass sie sich von Menschen wie ihm fernhalten soll. Sie tut es jedoch nicht, geht allerdings auch nicht zur Polizei, will die Sache auf eigene Faust mit der Russischen Mafia klären. Das ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mutig, sondern dumm, an sich besonders dumm, wenn man bedenkt dass Anna selber russische Wurzeln hat und mit diesem Kulturkreis mehr vertraut ist, wie andere. Ebenso fragwürdig ist die Figur des Kirill, der als nichtsnutziger Säufer dargestellt wird, aber am Ende das Zünglein an der Waage ist. Für seinen Vater nicht gut genug, muss er von seinem Fahrer Nikolai geschützt werden. Dieser Vater-Sohn-Konflikt soll wohl letzten Endes das Finale des Filmes erklären, macht es aber nur noch unglaubwürdiger, als es für sich alleine genommen ist. Schließlich stammt Kirill aus diesem patriarchischen Lebensraum, wo Familie und Ehre alles bedeutet, wo man es nicht anders kennt. Kirill zeigt mehrfach, dass er sich dieses Lebensraumes und seiner Regeln bewusst ist und unterordnet. Warum er sich am Ende so entscheidet, wie er sich entscheidet beziehungsweise inwieweit sich das Schicksal von Nikolai hier einordnen lässt, lässt Cronenberg offen.

Star des Filmes und ihn problemlos alleine schulternd, ist aber Viggo Mortensen, welcher sich so intensiv auf seine Rolle vorbereitete, dass er durch seine Tätowierungen selbst nach Drehschluss beim Abendessen in einem russischen Lokal in London noch für einen Mafiosi gehalten wurde (wobei die Geschichte zwischen einem Lokal und einem Ehepaar, sowie einer Bar und zwei Jugendlichen wandelt). Wie dem auch sei, Mortensen geht – trotz etwas depperter Frisur – in seiner Rolle ganz auf, besonders natürlich in der viel gelobten Sauna-Szene, welche Filmkritikmogul Roger Ebert sogleich als Maßstab über Jahre hinweg charakterisiert. Dem kann man zwar nicht beipflichten, trotz allem ist es sicherlich die Cronenberg-Szene des Filmes schlechthin, falls nicht sogar die überhaupt einzige, die auch ebenso gut aus A History of Violence hätte stammen können. Sie bedient sich zwar einer kleinen Inkonsequenz, welche Cronenberg zwar plausibel zu rechtfertigen weiß, folgt aber dennoch einem typischen Gut-gegen-Böse-Klischee, wie die meisten solcher Filme, die gegen den Strom der Realität schwimmen. Die Szene hätte auch von eminent wichtiger Bedeutung für Nikolais Charakter sein können, doch auch hier greift Cronenberg lieber auf das Klischee zurück. Natürlich wird so von einer ungemeinen Härte getragen, wieso manch einer aber hier bereits einen mentalen Orgasmus erlebt, bleibt diesen Menschen vorbehalten. Das fließende Kunstblut wirkt unecht, die Szene selbst äußerst unwahrscheinlich und von ihrer Botschaft her auch im Kontext der Handlung etwas unnötig beziehungsweise zu ausführlich.

Für Fans von Cronenberg dürfte Eastern Promises daher sicherlich eine kleine Enttäuschung sein, da er nicht „abgedreht“ oder unkonventionell genug ist und sich zu sehr an den gängigen Genrekonventionen bedient. Hinterfragungen wie bei Naked Lunch oder eXistenZ sind hier nicht nötig, Cronenberg spielt nicht mit dem Verständnis des Zuschauers, sondern bietet ihm eine Handlung an, die von A bis Z durchstrukturiert ist. Und selbst dabei verwendet er dieselben Mittel, wie sie sich in zig anderen Filmen ebenfalls finden, ohne im Grunde eigene Wege zu gehen. Doch das ist scheinbar subjektiv, denn viele finden auch, dass Cronenberg die Genreklischees benutzt ohne diese zugleich zu bedienen. Hierfür könnte beispielsweise die Godfather-Referenz dienen, gänzlich rausreden kann man sich hier jedoch nicht. Seine Erklärung für die Verwendung von Linoleummessern anstelle von Pistolen klingt zwar plausibel und entspricht dem gängigen Muster, im wahren Leben hätte man sich jedoch der Pistolen bedient und das Ergebnis wäre ein anderes als im Film gewesen. Auch die Auflösung von Nikolais Motivation ist Klischee durch und durch – dabei hätte man einen viel persönlicheren und glaubwürdigeren Beweggrund wählen können. Am Ende ist Eastern Promises nicht mehr als ein etwas überdurchschnittlicher Gangsterfilm, der einem jedoch nach dem Kinobesuch nicht lange im Gedächtnis bleiben wird. Daran ändert auch nichts, dass Mortensen, Cassel und Watts den Film mit ihren Darstellungen alleine tragen. Die Geschichte selbst ist nicht wirklich innovativ, die Handlung regt nicht sonderlich zum Nachdenken an. All das, was einen Cronenberg-Film eigentlich ausmacht, feht Eastern Promises.

7.5/10

11 Kommentare:

  1. Zustimmung ins fast allen Punkten (Shore bspw. nicht ;-)) - das Ende war wirklich etwas klischeelastig, aber vielleicht will Croni in seinen späten Jahren einfach nur Kino machen, wer weiß...

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  2. Zwei Anmerkungen:

    1. Wo hast du den schon gesehen? Sneak?

    2. Ich bin etwas überrascht, dass du die meiste Zeit am Film rumkritisierst, nur um am Ende acht Punkte zu verteilen. Wie kommt's?

    Wie dem auch sei, ich freu mich riesig auf den Film!

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  3. 1. Wo hast du den schon gesehen? Sneak?

    CinemaxX Men's Night. ;-)

    Zu 2. (weil der auch auf mich zutrifft) - weil ich denke, dass er als eigenständiger Film, also schaltet man mal den Namen Cronenberg "weg", ein guter Thriller ist.

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  4. Gerade noch mal in den Score gelauscht und total begeistert - ich werde mir den wohl holen müssen... :P

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  5. Der Viggo ist der Kumpel von der Schwester meines Nachbarn seines Hundes dessen Trainers. Nee, der Kleriker hat schon Recht, der lief in den Cinemaxx Kinos als Preview im Zuge einer Men's Night mit gratis Chips und FHM-Ausgabe ;)

    Der Score ist immer noch falsch gewählt (was nicht heißen muss, dass er per se schlecht ist).

    Das was ich rumgenörgelt hab, sollte erklären, warum er keine 10/10 ist - das "Problem" ist halt, dass EP an sich nicht schlecht ist, aber in meinen Augen nicht so gut, wie er gemacht wird. Bin kein Cronenberg-Experte, erkenne aber dennoch, dass des "nich mehr viel" mit seinen Werken zu tun hat. Dass er die Klischees bedient ist an sich auch nicht wirklich schlimm, eben nur nix neues.

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  6. Interessante Kritik. Ähnlich habe ich Cronenbergs A History of Violence wahrgenommen... deinen letzten Satz könnte ich sogar 100%ig für diesen indirekten Vorgänger übernehmen.

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  7. bei der Ladies Night hab ich noch das Plakat zu EP gesehen, nur vergessen vorzumerken.

    EP hab ich noch nicht gesehen, aber A Histoy of Violence mag zwar ein untypischer Cronenberg sein, in seiner Schlichtheit fast ein "Anti-Cronenberg", m.E. einer seiner besten, gerade weil er so komprimiert ist, da ist keine Szene, kein Satz zu viel.

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  8. @j.m.k.: Naja, beim Ende von AHOV hätte man schon etwas sorgfältiger sein können, denn wie meistens zu lesen ist William Hurt echt etwas Banane ;)

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  9. Auf den ersten Blick scheint es sich wirklich um ein gewöhnliches Gangsterdrama zu handeln. Bei genauerer Betrachtung führt Cronenberg jedoch dem Genre seine eigene Naivität und Verklärung vor. Eastern Promises bedient sich seiner Klischees ohne aber sie zu bedienen. Ich hatte das Gefühl Cronenberg macht sich geradezu einen Spaß daraus den großen Mafiaboss nicht über einen Polizisten stolpern zu lassen, sondern über eine Krankenschwester. Das will ja so gar nicht in die Welt des Gangsterfilmes passen. Während Scorsese, Coppola und nicht zuletzt Scott den Gangsterboss selbst als schlauen, ausgefuchsten und letzten Endes ehrenwerten Geschäftsmann darstellen, ist Semyon ein verabscheuungswürdiger alter Mann, der 14 jährige Zwangsprostituierte vergewaltigt. Nicht gerade das was Hollywood all die Jahre im Genre transportiert hat. Die Verklärung im klassischen Mafiafilm stellt Cronenberg meiner Ansicht nach mit der nicht zu der Handlung und den Szenen passenden Musik heraus. Die ist so melancholisch, so rührselig, wer denkt hier nicht sofort an die Familie Corleone mit deren Mitgliedern wir dann ja doch mitfieberten. Die Geschichte um Anna und Christine ist in meinen Augen nur Vehikel für die ganzen Seitenhiebe auf den Mafiakult.

    Zu Deinem Review. Wird nicht in der Szene auf dem Dach des Krankenhauses geklärt, daß Nikolai undercover für den russischen Geheimdienst und das Scotland Yard arbeitet? Wie sonst will er auch Annas Onkel das Exil bezahlen und vor allem warum sollte er?

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  10. @tumulder: Da hast du natürlich nicht Unrecht, mit deiner Dekonstruktionstheorie.

    Dass mit Nikolai wird erklärt, klar, aber das war wieder so Klischee fand ich, dass er undercover arbeitet. Ich meine, Semyon wollte ihn aus den Weg räumen lassen wegen Kirill - das wäre doch auch eine gute Motivation gewesen, Christine zu retten, zusätzlich zu dem Fakt, dass Nikolai einfach ein besserer Mensch ist (und zwar per se, nicht weil er für den FSB arbeitet).

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  11. @rudi
    Dann hätte aber der Vorhof zur Hölle gefehlt;-)

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