27. Januar 2010

Up in the Air

I call it Airworld, the scene, the place, the style.
(Up in the Air, p. 7)

In David Finchers Fight Club führt der namenlose Held im ersten Akt der Geschichte das Publikum in seine Welt ein. Er arbeitet für eine Autoversicherung, was dazu führt, dass er viel reisen muss. Hauptsächlich per Flugzeug. „The people I meet on each flight … they’re single-serving friends. Between take-off and landing we have our time together”, erklärt er. Die Nebensitzer verkommen in Fight Club zu einem Angebot, ähnlich wie der Kaffee, die Kaffeesahne oder das Cordon Bleu aus der Mikrowelle. Etwas für den Augenblick also. Anders in Walter Kirns Roman Up in the Air, der zwei Jahre nach dem Filmstart von Fight Club erschien. Für Kirns Hauptfigur Ryan Bingham sind die anderen Passagiere des Flugzeuges nicht nur einmalige Bekanntschaften, sondern viel mehr als das. „Fast friends aren’t my only friends, but they’re my best friends“, erläutert Bingham auf Seite 6. Einer von vielen Sätzen, die diese Figur charakterisieren.

Die Menschheit lebt im Hochgeschwindigkeitszeitalter. Wo ein Fax bereits veraltet ist und Twitter als schnellstes Medienformat gilt. Selbstverständlich, dass das Flugzeug hier aufgrund seiner Schnelligkeit zu den bevorzugten Transportformen zählt. Sehnt sich Edward Nortons Figur in Fight Club danach, dass sein Flieger mit einer anderen Maschine kollidiert, stellt der Luftraum für Ryan Bingham sein Zuhause dar. Er nennt es „Airworld“ und bezeichnet dieses als „nation within a nation“. Mit eigener Sprache, Architektur, Stimmung und insbesondere: Währung. Die Flugmeilen, die Bingham inzwischen „[has] come to value more than dollars“. Kirns Up in the Air ist eine Charakterstudie, über einen Mann, gefangen im System. Wer in Airworld überleben will, muss up to date sein. „This is the place to see America“, legt Kirn seiner Figur auf Seite 42 in den Mund. „Not down there, where the show is almost over.“ Wenn jemand nun zentriert auf engem Raum lebt, beginnt er den Überblick über das Ganze zu verlieren.

Ryan Bingham ist von Beruf ein sogenannter career transition counsellor. Oder ganz einfach ausgedrückt: Jemand, der angeheuert wird, um Menschen zu entlassen. In Kirns Roman wird Bingham nun mit relativ wenig Mitgefühl für die Personen versehen, die er aus ihrem Job befördert. „It’s a job I fell into because I wasn’t strong, and grew to tolerate because I had to“, entschuldigt sich Bingham gleich zu Beginn auf Seite 4. Während des gesamten Romans, erlebt man nicht ein einziges Mal, wie Bingham eine/n MitarbeiterIn entlässt. Was nicht bedeuten soll, dass ihn sein Beruf kalt lässt. Im Gegenteil, umfasst die Romanhandlung doch Binghams letzte Arbeitswoche, bevor sein Vorgesetzter seine eigene Kündigung vorfindet. Wie angesprochen ist Up in the Air eine Charakterstudie und zugleich Vorlage für einen gleichnamigen Film, der nun unter der Regie von Jason Reitman in die Kinos kommt. In Zeiten der Wirtschaftskrise fühlte sich Reitman, zuvor bereits durch Thank You For Smoking auf dem Pfad der Literaturadaption bewandert, nun verpflichtet, den Fokus weg von Bingham zu lenken und sich stattdessen auf seine Tätigkeit zu fokussieren.

Der deutlichste Unterschied zum Roman ist nun die Tatsache, dass Reitmans Film mehrfach von Kündigungsgesprächen unterbrochen wird. Sieht man von einigen Gaststars (Zach Galifianakis, J.K. Simmons) ab, wurden alle entlassenen Personen von realen Menschen gespielt, die selbst zuvor ihren Job verloren hatten. Was sich Reitman dabei gedacht hat, bleibt zu hinterfragen, wirken diese dokumentarischen Szenen nicht nur ungemein gestelzt, sondern die gesamte Idee ist letztlich schlicht und ergreifend redundant und vollkommen unerheblich. Die Entlassenen reagieren, wie man es von Entlassenen erwarten würde und sprechen Dinge an, die man selbst ansprechen würde, würde man entlassen werden. Man mag sich somit denken, weshalb es Kirn selbst bei Einschüben wie „free agency“ und „self-directed professional enhancement“ beließ, summieren diese Begriffe doch mehr als deutlich die Perversität von Binghams Beruf.

Beschwor Kirn die Studie eines von Flugmeilen und Jobangeboten Besessenen, forciert Reitman in Up in the Air seinen Blick auf die einsamen Seelen, die in Airworld sprichwörtlich auf der Strecke bleiben. Aufgezogen nach klassischem Hollywood-Muster präsentiert Reitman eine Tragikkomödie, in der niemand bindende Verpflichtungen eingehen und zugleich auch nicht alleine enden will. Da wird George Clooney zum charmanten Ryan Bingham, der sinn- und zusammenhangslos Zitate aus Kirns Roman um sich wirft und Vera Farmiga portraitiert eine Nebenfigur, die zur Filmmutter hochstilisiert wird. Um das Familienbild zu komplettieren, gibt Twilight-Darstellerin Anna Kendrick noch das nervtötende Kind, indem sie Clooney als Assistentin zur Seite gestellt wird, damit dieser sie anlernt. Clooney selbst wird mit seinen 48 Jahren in eine Coming-of-Age-Geschichte gezwängt, in welcher der überzeugte Einzelgänger und Single Bingham lernen muss, sich zu öffnen. Ganz speziell natürlich seinem weiblichen Pendant Alex (Vera Farmiga).

Weder die gesponnene Affäre mit Alex, noch die allmähliche Aufweichung von Binghams harter Schale mag im Film überzeugen. Reitman fehlt ein attraktiver Fokus, der seine vorhersehbare Geschichte schmackhaft macht. Doch nicht einmal für seine Sozialkritik in Form der mannigfachen Entlassungen scheint er sich richtig zu interessieren. Stattdessen flüchtet sich das schwache Drehbuch in Plattitüden und bedeutungslose Nebenfiguren wie sie von Jason Bateman als Binghams Vorgesetzter und Danny McBride als Schwager in spe dargestellt werden. Selbst die Wendung zum Schluss vermag nichts mehr zu retten, zu uninspiriert und zusammenhangslos präsentierte Reitman in den neunzig Minuten zuvor sein Konglomerat aus filmischen Versatzstücken. Der Film vermisst eine klare Linie, eine Haupthandlung, an der sich nicht nur das Publikum, sondern auch die Figuren letztlich orientieren können. Viel zu oft wirkt Up in the Air dadurch weniger wie ein Geschäftsflug, denn mehrere spontane Last-Minute-Trips.

So strukturiert sich Reitmans Drehbuch um zwei unterschiedliche Aspekte - beide in Kirns Roman von geringerer Bedeutung -, die er hintereinander abhandelt. Zuerst wäre da die Wirtschaftskrise, die Massenentlassungen des Arbeitsmarktes und die Perversität, in der die nun hier Hand in Hand geht. Ist der technologische Wandel, die profession efficiency, im Film etabliert, Bingham als reisender Jobentlasser nunmehr entlastet, rückt Reitman das romantische Element in den Vordergrund, die emotionale Katharsis der Titelfigur. In Handkamerabildern, unterlegt mit Indie-Pop-Musik, an den Vorjahresfilm Rachel Getting Married von Jonathan Demme erinnend, zentriert Reitman schließlich die love story, das vermeintliche happy end. All die Arbeitslosen, die Finanzkrise, die eigene Firmenumstrukturierung, sprich: all das, was Up in the Air in der vorangegangenen Stunde ausgemacht hat oder haben soll, ist für den dritten Akt unerheblich geworden. Ansatzpunkte waren vorhanden (auch aus dem Roman, man denke nur an das frühzeitliche „Can, sir?“), verpuffen allerdings in Reitmans Adaption.

„To know me you have to fly with me“, lautet der erste Satz in Kirns Roman, den Clooney in den ersten Minuten leicht abgewandelt wiedergeben darf beziehungsweise der in seiner Vollständigkeit in einer geschnittenen Szene auftaucht (die es ruhig in den Film hätte schaffen dürfen). Für einen Film, der sich Up in the Air nennt, spielt sich das Geschehen jedoch hauptsächlich im realen Leben auf der Erdoberfläche ab. Auf Partys in Miami, in Firmengebäuden, Schulen und auf Hochzeiten. Was im Nachhinein von einem durchaus unterhaltsamen und über weite Strecken überzeugenden Roman übrig bleibt, sind die Namen von fünf Charakteren, eine Handvoll Zitate, die wahllos zwischen gestreut werden und die Rahmenhandlung eines Mannes, dessen Job darin besteht, anderen Menschen ihre Arbeitslosigkeit mitzuteilen. Aus diesen Zutaten ist es Reitman jedoch nicht gelungen, in Eigenkomposition irgendetwas Nahrhaftes zu kreieren. Insofern lässt sich Up in the Air weniger Ryan Binghams Schublade der „fast friends“ zuordnen, sondern Reitmans dritter Spielfilm ist letzten Endes ein „single-serving friend“, dem man nur zwischen Öffnen und Schließen der Vorhänge Aufmerksamkeit schenkt.

4.5/10

7 Kommentare:

  1. Ich kenne das Buch nicht, aber ich kann nicht verstehen, dass dieser Zeitgeist-Film in den USA so angepriesen und als beste Produktion 2009 gehandelt wird. Clooney ist wie immmer charmant ... das war es auch. Anssonsten: Der aktuelle Film zur Wirtschaftskrise.

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  2. Ist mir wieder zu viel Buch-Film-Vergleich als eigentliche Filmrezension. Deine Kritikpunkte störten mich deshalb gar nicht. Aber bald dazu mehr.

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  3. Ich wußte gar nicht, dass der Film eine Romanverfilmung ist. Ich überlege gerade, was wohl besser ist, den Film oder das Buch zuerst. So wie es aussieht scheint Buch zuerst zu enttäuschen. Allerdings muß ich Kaltduscher recht geben, es ist mehr ein Vergleich und bei dem gehen die Filme immer schlechter aus. Ich habe noch nie erlebt das es anders rum war.

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  4. Kein Bock mehr auf das Punktesystem oder hab ich was verpasst?

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  5. Aktuell fallen mir derartige Einordnungen schwer.

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  6. Find ich gut. ;)

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  7. Bin überhaupt nicht Deiner Meinung. Habe den Roman vorher nicht gelesen und hatte daher keinen "vorhersehbaren" Film gesehen. Manchmal ist es vielleicht ganz gut, ohne Vorwissen ins Kino zu gehen.

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