23. September 2008

WALL•E

Try blue, it's the new red!

Vor zwanzig Jahren sind Ally Sheedy und Steve Guttenberg mit Johnny durch die Gegend gehuscht. Gut möglich, dass die aktuelle Generation, die zum Großteil ja noch nicht mal A New Hope gesehen hat, mit den Namen Sheedy und Guttenberg gar nichts anfangen kann. Und Short Circuit, zu deutsch Nummer 5 lebt!, haben sie eventuell auch noch nie gesehen. Dabei dient John Badhams Film – Badham kennt die Generation wohl auch nicht (mehr) – als Inspiration für Pixars neuesten Kinohelden. WALL•E ist von seinem äußeren Erscheinungsbild fraglos Johnny aus Short Circuit nachempfunden, während seine naive Psyche Ähnlichkeiten zu Steven Spielbergs E.T. – The Extraterrestrial offenbart. Und da WALL•E zu einem Teil auch im All spielt, kommt Regisseur Andrew Stanton auch um Verweise zu Stanley Kubricks zeitlosem Meisterwerk 2001: A Space Odyssey nicht herum. Also viel geklaut und wenig eigenständiges? Nicht unbedingt. Natürlich sind viele Komponenten von Pixars Neuem nicht sondern neu und die Referenzen tun ihr übriges, doch obschon Stanton eine recht spannungsarme und einfach gestrickte Geschichte erzählt, kann sein Film die meiste Zeit hinweg unterhalten. Zumindest bei der Erstsichtung. Doch was ein Pixar ist, verfügt über ausreichend Eigenschaften, um ein Erfolgsgarant zu werden. Zwar steht das konkurrierende DreamWorks Animationsstudio Pixar bei den Einspielen kaum nach – beiden Studios erzielten mit ihren digitalen Filmen bisher über vier Milliarden Dollar – doch werden die Pixars dennoch im Auge der Öffentlichkeit und der Kritiker anders wahrgenommen. Acht Academy Awards konnte Pixar bisher für sich verbuchen, während DreamWorks lediglich bei Shrek und Wallace & Gromit erfolgreich war. Während die Shrek-Trilogie bei DreamWorks für die Hälfte des Einspiels verantwortlich ist, sind die Erfolgsgaranten bei Pixar ebenjene Oscarpreisträger Andrew Stanton und Brad Bird.

Pixar ist ein Zauberwort, welches meist immer funktioniert. Selbst mit schlechten Beiträgen wie John Lassetters Cars hatte man noch Erfolg, wobei der Maßstab sicherlich von Brad Bird gesetzt wurde. Seine The Incredibles und Ratatouille trieben die digitale Animationsschmiede ein gutes Stück vorwärts, ähnlich wie es bereits Stanton mit Finding Nemo zuvor gelungen war. Und auch mit WALL•E verliert sich Stanton wieder in Nebensächlichkeiten, erzählt an der Geschichte vorbei und schadet damit dem Fluss der Handlung. Was einst Marlin und Dory war, ist heute einfach WALL•E und EVE – Stantons konzeptueller Aufbau damit relativ simpel strukturiert. Dass Stanton die Idee zum Film bereits vor 13 Jahren gekommen sein soll, macht das ganze im Grunde nur noch enttäuschender. Was wenn man vergisst den letzten Roboter auf der Erde auszuschalten? Das ist die Prämisse für Stantons Geschichte, die in dieser Form bereits wackelig aufgebaut ist. Zwar sieht man nicht viele WALL•E's in WALL•E, doch wundert es, weshalb gerade ein einziger von ihnen vergessen wurde auszuschalten. Wirklich nötig für den Startschuss des Filmes ist es sicherlich nicht. Da passt es nur perfekt hinein, dass auch scheinbar nur eine Küchenschabe überlebt hat, von jeglichen anderen Lebewesen ganz zu schweigen. Stanton wirft das Publikum einfach hinein in sein 22. Jahrhundert, in welchem kein Leben mehr auf der Erde existiert. Stattdessen sind die Straßen voll von Müll, ganze Skylines baut WALL•E aus seinen Müllwürfeln. Wieso die Welt so ist, wie sie Stanton hier zeichnet, erklärt er nicht. Natürlich findet sich eine Andeutung, selbstverständlich ist der Mensch Schuld. Er wurde immer bequemer, die Arbeiten auf Roboter verlagert. „There's no need to walk!“, prophezeit eine Reklame zu Beginn des Filmes. Doch was passiert ist, erfährt man nicht.

Wenn man jedoch wie Stanton eine sozialkritische Komponente in seinen Film einbaut, die weit über den kleinen moralischen Zeigefinger geht, den man sonst aus Animationsfilmen (Und die Moral von der Geschicht: …) gewohnt ist, enttäuscht das. Wieso wurde die Welt so schmutzig, wo sind die anderen Lebewesen? Diese Fragen, welche die Menschen betreffen, ignoriert der Film durchweg. So wundert sich der Kommandant der Axiom später auch nicht, den Anweisungen eines siebenhundert Jahre alten Präsidenten zufolgen. Scheinbar bestand kein Kontakt zwischen der Exekutive und ihren Untertanten, andernfalls lässt sich das Verhalten des Kommandanten nicht erklären. Natürlich ist WALL•E vordergründig eine Geschichte über die Liebe zweier Individuen zueinander. Da Stanton diese Romanze jedoch in ein sozialkritisches Umfeld setzt, muss er für jenes auch Verantwortung zeigen. Woher kommen zum Beispiel die Babys auf der Axiom? Hierbei muss es sich ja um Retortenkinder handeln, zeigt das Verhalten von John und Mary doch, dass ein sexuelles Interesse zwischen den Passagieren im Grunde nicht vorhanden ist. Aber hierfür bleibt Stanton ebenso ein Antwort schuldig, wie für die Intention von BnL seine Bürger subversiv zur Füllerei aufzurufen. Die Verblüffung von Mary bei ihrer Entdeckung ist zwar eine nette Referenz zu John Carpenters They Live, doch fehlt auch hier die inhaltliche Tiefe.

In WALL•E konfrontiert Stanton das Publikum also mit gesellschaftlicher Sozialkritik, die auf keinen fundierten Boden aufbaut und somit letztlich zum Scheitern verurteilt ist. Vor allem, da der Film auch überhart mit der menschlichen Rasse ins Gericht geht. Natürlich sucht der Mensch nach bequemeren Wegen und wenn er in einem Hovercraft-Sessel sitzen könnte, würde er dies tun. Aber nicht unentwegt, zumindest nicht ein Teil der Menschheit. Jenen Teil präsentiert Stanton allerdings nichts. Bei ihm sind die Menschen eher Kollektiv als Individuen, alle gleich gestrickt, ohne irgendeine Eigenständigkeit in welcher Art auch immer. Das ist zwar in seiner Kontradiktion zu den Robotern durchaus mit einem gewissen Sinn versehen, der jedoch wenig plausibel erscheint. Schließlich ist der Mensch dafür bekannt, Beziehungen zu bestimmten Ob- oder Subjekten aufzubauen. Das zeigt bereits die erste Begegnung, die WALL•E mit einem Menschen (John) hat. Sofort findet eine Identifikation und Akzeptanz statt – und zwar gegenüber WALL•E als eigenständigem Individuum. Daher ist auch hier die Kontradiktion des Menschen als lebloser Kreatur und des Roboters als Gefühlswesen wenig fundiert. Somit verliert sich Stanton mit seinem Sozialrüffel etwas im Sande, zieht das ganze Thema viel zu groß auf, ohne sich ernsthaft damit auseinander zu setzen. Wie es besser geht, haben Tim Johnson und Karey Kirkpatrick vor zwei Jahren mit Over the Hedge gezeigt, in welcher dieselbe Kritik in einer einzigen Einstellung auf denselben Nenner gebracht wurde. Generell hat Stanton Probleme eine stringente Handlung zu skizzieren, was bereits die etwaigen „Abkürzungen“ in Finding Nemo gezeigt haben, die auch hier in WALL•E erneut zu findet sind. Diese redundanten Momente wie das unentwegte Bennennen der beiden Titelfiguren untereinander („WALL•E!“ – „Eeeeeva!“ – „WALL•E“ – „Eeeeeva!“, ff.) wirken hier etwas eintönig mit der Zeit.

Nichtsdestotrotz weiß WALL•E die meiste Zeit zu unterhalten, was jedoch bei einer Zweitsichtung bereits wieder anders aussehen kann. Vordergründig liegt dies natürlich an seinen infantilen Robotern, allen voran WALL•E und der Reinigungsroboter M-O, der sich im wahrsten Sinne des Wortes zum running gag („Foreign contaminant!“) entwickelt. Wie immer in Animationsfilmen sind es daher die unmenschlichen Wesen, denen menschliche Züge verliehen werden. Dies gelingt bei den Robotern nicht weniger als im Fall eines Ratatouille bei Ratten. Am meisten profitiert hier natürlich EVE, die ihr Augen-Pixel ebenso variieren kann, wie ihre Seitenflügel. Da haben es WALL•E und M-O durchaus schwerer. Hier ist es meist die Motorik, die für emotionale Ausdrücke steht, ebenso wie die Töne, welche die Roboter machen. So kommt man natürlich nicht umhin ein Lob an Ben Burtt auszusprechen, der neben den beiden Robotern auch noch allgemein für den Ton im Film verantwortlich war. Dass Burtt dabei für Pixar der richtige Mann schien, findet sich in dessen Filmographie, die seine Beteiligung an der Star Wars-Reihe sowie E.T. offenbart. Neben dem Sound ist es auch die musikalische Komposition von Thomas Newman, welche für die Erzeugung der liebevollen Atmosphäre sorgt. Die Symbiose aus Burtts Ton und Newmans Musik ist die meiste Zeit unwiderstehlich und vereint sich mit den exzellenten Effekten – die man von Pixar gewöhnt ist – zu einem tollen audio-visuellen Erlebnis. Wie hier bei Pixar stets die Grenzen weiter nach vorne geschoben werden, ist beeindruckend. Ebenso wie die Müllskyline oder WALL•Es Weltraumflug zur Axiom. Hier verspricht sich wieder einmal ein spannender Zweikampf im Frühjahr bei den Academy Awards zwischen Pixars Film und Kung Fu Panda, DreamWorks zumindest optisch nicht minder gelungenem Beitrag.

Abgesehen von all den Kritikpunkten ist WALL•E jedoch eine gelungene Liebesgeschichte, zwischen zwei Robotern. Die Persönlichkeit, die WALL•E über die Dauer von 700 Jahren hinweg entwickelt hat, ist so unschuldig wie hinreißend. Die Beziehung zu seinem einzigen Freund, der Küchenschabe, nicht weniger ergreifend wie gegenüber EVE. Seine Flirtversuche sind es hierbei, die das Publikum zum Lachen bringen, wenn WALL•E nach einer Bespitzelungsaktion fluchtartig Reißaus nimmt und letztlich von einer Kolonne Einkaufswagen umgefahren wird. Es ist das ein Videoband des Musicalfilms Hello, Dolly in welchem sich WALL•E's Sehnsüchte manifestieren. Der Ausdruck von Zuneigung und Liebe durch Händehalten wird für den kleinen Roboter zum Lebensinhalt. Gerade in der Simplizität dieser Geste liegt die ganze Unschuld jenes wandelnden Schaltkreises. Dennoch lassen sich auch Kritikpunkte an seinem Verhalten findet, „zwingt“ er EVE schließlich zu ihrem ersten „Händchenhalten“ und entwickelt sich bisweilen zum unermüdlichen Stalker. Doch man nimmt es ihm nicht wirklich übel, sieht darüber hinweg, und lässt sich in diese sympathische Welt entführen, die einige geniale Einfälle birgt, aber grundsätzlich an der lax ausgearbeiteten Geschichte zu knabbern hat. Hier ist Bird seinem Pixar-Kollegen doch weit voraus, auch wenn es in seinen Filmen weniger um den „Ach wie süß“-Faktor geht, als durch seine Handlung zu punkten. Insgesamt ist WALL•E fraglos ein sehenswerter Film, der sich nahtlos in die beispielhafte Filmographie von Pixar einreiht. Ob er jedoch nach der zweiten oder dritten Sichtung immer noch funktioniert, bleibt abzuwarten. Lobenswert ist an dieser Stelle auch erneut Pixars Kurzfilm vor dem Hauptfilm. War Lifted damals vor Ratatouille etwas eintönig, so ist Presto diesmal eine meisterhafte Leistung und regt im Grunde sogar mehr zum Lachen an, als es dem anschließende Abenteuer von WALL•E zu gelingen vermag.

8/10

2 Kommentare:

  1. Weitestgehend keine Zustimmung von meiner Seite aus. ;)

    PRESTO fand ich nett, aber auch nur "nett".

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  2. Ahja, damit kann man leben :D

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