25. Dezember 2012

Undefeated

Football doesn’t build character. It reveals it.

Die Amerikaner lieben ihren Football. Und die Amerikaner lieben ihre Underdog-Stories. Es verwundert also nicht, dass im Februar dieses Jahres mit Undefeated von Daniel Lindsay und T.J. Martin eine Football-Underdog-Story den Academy Award für den besten Dokumentarfilm gewonnen hat. Denn hier wird einem alles geboten: der Kampf eines sympathischen David gegen einen gesichtlosen Goliath (das andere Team, das System, das eigene Ego), Coming of Age, Katharsis und jede Menge Emotionen. Ein so genannter crowd-pleaser, allerdings einer im positiven Sinne. Dabei gibt es in Undefeated nichts, das man nicht aus anderen Sportfilmen bereits kennt – nur dass das hier Gezeigte authentisch ist.

Handlungsort ist der Stadtteil North Memphis in Memphis, Tennessee, wo der freiwillige Football-Coach Bill Courtney mit seinem Team versuchen will, zum ersten Mal in der 110-jährigen Geschichte der Manassas High School ein Playoff-Spiel zu gewinnen. Seine Spieler haben dabei öfters als einem lieb sein sollte denselben Hintergrund: Es sind afroamerikanische Teenager aus sozial schwachen Familien, die zumeist von ihren Großmüttern großgezogen werden, weil ihre Eltern tot sind oder im Gefängnis sitzen. Ursache ist die Schließung einer Großfabrik in den 1970er-Jahren, die zu Armut und zu steigender Hoffnungslosigkeit im Stadtteil führte. Für viele ist der Sport vielleicht der einzige Ausweg.

“I know it’s going to be my way out”, sagt beispielsweise der Left Tackle und Star des Teams O.C. Brown. Ein großer bulliger und gutherziger Kerl, dessen Geschichte ein wenig an Michael Oher aus The Blind Side erinnert. Denn damit O.C. ein Football-Stipendium erhält, muss er bei seiner College-Aufnahmeprüfung eine Mindestpunktzahl erreichen. Hierfür wird er von seinem Co-Trainer Mike Ray unterstützt, der O.C. mehrere Tage die Woche in seinem Haus in einem weißen Nobelviertel wohnen lässt, wo dieser Nachhilfeunterricht erhält. Für Ray und Coach Courtney ist dies eine selbstlose Zusatztätigkeit. “It’s not part of the job description”, sagt Courtney später, als er einen Konflikt zwischen Spielern schlichten will.

Die Beziehung zwischen Courtney und seinen Spielern ist das Herz und die Seele von Undefeated. Obschon er eine eigene Firma und daheim fünf Kinder hat, opfert der ehemalige Spieler einen Großteil seiner Zeit für die Jungs. Und nicht nur für ihr Training, sondern auch für ihre Erziehung. Denn wenn Courtney redet und schimpft, hören ihm die riesigen Kerle allesamt brav zu. Für sie, die wie O.C. oder Right Tackle Montrail ‘Money’ Brown von ihrer Großmutter aufgezogen werden, kommt Courtney einer Vaterfigur am nächsten. Kein Wunder, wuchs der Coach doch selbst ohne Vater auf. Courtney liebt seine Jungs und er liebt das Programm, dass er seit sechs Jahren auf ehrenamtlicher Basis als Trainer begleitet.

Courtney weiß dabei “damn good and well” wozu er sich jedes Jahr verpflichtet. “And I keep coming back.” Denn für viele der Jungs ist das Football-Programm von Manassas das einzige, was sie auf der richtigen Spur hält. So wie bei Chavis Daniels, einem Delinquenten, der nach 15 Monaten in Jugendhaft wieder auf die Schule geht. Er ist hochgradig aggressiv und gerät kurz nach seiner Ankunft bereits mit mehreren Leuten, darunter Money, aneinander. “At what point do you quit trying?”, fragt sich Courtney genauso wie Lindsay und Martin, als es darum geht, Chavis in der Spur zu halten. Doch wo andere aufgeben, macht Courtney weiter, glaubt an Chavis’ Potential und an dessen mögliche Katharsis.

“If you’ll allow it, football will save your life”, verspricht der Lehrer Tommy Warren später Chavis, der zu erkennen beginnt, was ihm der Sport ermöglichen kann. Nicht nur eine akademische Zukunft wie bei O.C. oder einen Lebenssinn wie bei Money, sondern auch eine erzieherische Charakterbildung. Denn Charakter, das trichtert Courtney den Spielern immer wieder ein, zeigt sich nicht dadurch “how you handle your successes but how you handle failures“. Und mit Misserfolgen kennen sie sich in Manassas aus, wird die Schule doch in der Regel von besseren Teams für mehrere tausend Dollar Gage als Aufbaugegner angeheuert. Doch mit diesen pay games, so Courtneys Ziel, soll nun Schluss sein.

Die Sportsaison der Manassas Tigers begleitet Undefeated oberflächlich. Wir sehen das erste Saisonspiel, das grandios in die Hose geht, wir sehen die Folgepartie, in der die Tigers zur Halbzeit nach zwei Touchdowns mit 0:20 hinterher hecheln. Und wir sehen die plötzliche Wende, die zum Titel der Dokumentation führt und zu jener Siegesserie, die es Courtney und seinen Spielern ermöglichen könnte, Geschichte zu schreiben. Ein Szenario der Marke „wenn nicht jetzt, wann dann“, spricht der Coach doch selbst davon, dass er dank O.C. und Co. das beste Spielermaterial in seinen sechs Jahren zur Verfügung hat. Bis dahin ist es jedoch ein weiter Weg, in dem es für O.C., Money und Chavis einige Hürden zu nehmen gilt.

Für ihre Dokumentation zogen Lindsay und Martin von Los Angeles nach Tennessee, wo sie in neun Monaten stolze 500 Stunden an Material filmten. “It was about capturing a moment in time”, sagen sie über ihren Film. Angesichts der unerwarteten Entwicklung der Manassas Tigers verdankt sich Undefeated einer glücklichen Fügung. Denn die Dokumentation könnte problemlos ein Spielfilm sein und steht als Seherlebnis Genrevertretern wie Friday Night Lights, Varsity Blues und Co. in nichts nach. Und auch wenn Undefeated nicht die beste Dokumentation des Jahres ist, so ist sie dennoch eine der Besten. Denn sie funktioniert, weil man mit jeder ihrer Figuren sympathisiert und mitfiebert – ein echter crowd-pleaser eben.

7.5/10

1 Kommentar:

  1. Zustimmung auf ganzer Linie. Der Coach als Trainer, Vaterersatz, helfende Hand, Freund, Prediger, Lehrer...das ist einfach beeindruckend (“It’s not part of the job description” - ob das alles da steht bezweifel ich auch :D)
    Und mit Friday Night Lights im Gepäck konnte ich nicht anders, als diese Doku zu mögen =)

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