9. Februar 2014

Akira

Why do you always have to save me?

Keine 280 Seiten stark ist J.R.R. Tolkiens The Hobbit, was einen Mann wie Peter Jackson jedoch nicht davon abhält, daraus eine 9-stündige Filmtrilogie zu wälzen. Was der Vorlage fehlt, wird einfach durch Appendixe oder Wiederholungsszenen der Lord of the Rings-Serie aufgefüllt. In der Filmbranche ist ein derartiges Aufblähen bei einer Buchadaption eher ein Ausnahmefall. Denn in der Regel werden allerlei Charaktere und Nebenhandlungsstränge aus der Verfilmung gekürzt, notfalls zumindest der finale Band einer Romanreihe auf zwei Filme ausgedehnt. Entsprechend war 1988 klar, dass Ōtomo Katsuhiro vor einem Problem stand, als es darum ging, seinen über 2.000 Seiten starken Manga Akira zu verfilmen.

Dieser war von 1982 bis 1990 als Schwarzweißserie im Young Magazine erschienen, bei uns in Deutschland brachte ihn von 1991 bis 1996 der Carlsen Verlag in 19 Bänden auf den Markt. Insofern dürfte deutlich sein, dass Film und Manga nicht identisch miteinander sein konnten – nicht zuletzt, da der Manga zeitlich nach dem Film abschloss. Und in der Tat muss der Zuschauer in Akira auf viele Nebenhandlungen sowie -figuren ganz verzichten, während einige (big player) unter ihnen wie Miyako, Nezu oder Ryu teilweise gar karikiert und für den Handlungsverlauf ignoriert werden. Im Grunde konzentriert sich Ōtomo-san in seinem Film zuvorderst auf die erste Hälfte seines Mangas – was grundsätzlich funktioniert.

Am Anfang beider Geschichten steht jene verhängnisvolle Nacht in einem von einem Dritten Weltkrieg gebeutelten Japan der Zukunft, in der es die Motorrad-Gang von Schüler Kaneda (Iwata Mitsuo) in den Altstadtteil von Neo-Tokio zieht. Als das Gangmitglied Tetsuo (Sasaki Nozomu) dort einen Unfall erleidet, weil er mit einem ergrauten Jungen kollidiert, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Das Militär erscheint und entführt den verletzten Tetsuo mit auf die Basis. Dort stellt sich heraus, dass in dem Schüler ungeahnte telekinetische Kräfte geweckt wurden. Diese wiederum drohen in Akira jene Person zu wecken, die Jahrzehnte zuvor durch eine Gewaltentladung ihrer eigenen Kräfte jenen Dritten Weltkrieg entfachte.

Unterdessen trifft Kaneda auf die junge Kei (Koyama Mami), die Mitglied in einer terroristischen Widerstandsbewegung ist, die Akira für ihre eigenen Zwecke gewinnen will. Gemeinsam versuchen sie schließlich, Zugang zu Tetsuo und zu dem Militärkomplex zu erhalten, in dem sich er sowie andere übernatürlich begabte Subjekte wie Tetsuo und Akira aufhalten. Dort ist der leitende Colonel Shikishima (Ishida Taroh) wiederum mit seinem Forscherteam bestrebt, ein zweites Erwachen von dem seiner Zeit in Kälteschlaf versetzten Akira um jeden Preis zu verhindern, während Tetsuos unkontrollierbare Kraft mehr und mehr wächst und hierbei droht, ihren jugendlichen Wirt zu übermannen. Ist Neo-Tokio noch zu retten?

So weit die stark reduzierte Filmhandlung, die als komprimierte Version des Mangas fungiert und zuvorderst durch ihre Cyberpunk-Elemente zu beeindrucken wusste. Grundsätzlich waren für die filmische Verarbeitung einige Zugeständnisse nötig, darunter der Gore-Gehalt der Vorlage. Auch Kaneda wird im Film weitaus positiver gezeichnet als seine teils ambivalente Darstellung im Manga, dessen zahlreiche Redundanzen jedoch gestrichen wurden. Keine sich stetig wiederholenden Fluchtszenen von Kaneda und Kei, kein ewiges Hin und Her zwischen allen vertretenen Parteien, seien sie Militär, Gang oder Widerstand. Allerdings fehlt so im Film auch ein entscheidendes Merkmal: der Titelgebende Akira selbst.

Wo dessen Erwachen im Manga weitaus früher geschieht und ihn so zu einer, wenn auch eher passiven, Figur, in Akira macht, ist Akira im Anime eher eine mit Namen versehende Gefahr. Das ist auf der einen Seite bedauerlich, da der Manga seine eigentliche Stärke erst erlangt, als Ōtomo Neo-Tokio in eine postapokalyptische Dystopie stürzt. Zumindest eine Überlegung hätte es wert sein können, diesen Aspekt von Akira in einem zweiten, ebenfalls rund zweistündigen Film zu verarbeiten, gehen dem Anime hier auf der einen Seite doch viele beeindruckende visuelle Bilder verloren, allen voran jedoch eine intensivere Charakterzeichnung von Tetsuo. Denn Platz für Persönlichkeiten ist in der Anime-Fassung wenig.

Wirklich gehetzt wirkt diese immerhin nur, wenn man den direkten Bezug zum Manga kennt. Ansonsten vermag es Ōtomo-san durchaus geschickt und zufriedenstellend, die Essenz seiner Geschichte in 120 Minuten zu erzählen. Und sogar Aspekte zu integrieren, die im Manga zu kurz kamen. Denn jene “ultimative energy”, die Akira und Tetsuo bemannt, wohnt in jedem Menschen inne – man müsste sie nur anwenden. Immerhin kommen die Figuren zu dem Schluss: “Maybe we weren’t meant to meddle with that ultimate power”. Als Kommentar auf eine Nachkriegswelt und jugendliche Entfremdung funktioniert der Anime zwar insofern nur bedingt, seine Bedeutung für das Genre eint ihn jedoch mit seinem Manga-Pendant.

War dieses für den Westen einst der Türöffner für das Comic-Äquivalent, führte die Verfilmung die USA und Co. in den Anime-Bereich ein und avancierte zum Meilenstein des Zeichentricks. Nicht von ungefähr zählt Ōtomos Magnus opum neben Kōkaku Kidōtai zum Pantheon des Animations-Genres. Und so ließe sich ein Zitat des Films im Grunde auch auf diesen selbst münzen: “Buried within it is a new seed. We need only wait for the wind which will make it fall to fruition.” Da Akira nicht den Umfang des Mangas erreicht, richtet sich der Film speziell an diejenigen, die Sci-Fi und Animes nicht abgeneigt sind, denen jedoch ein 2.000-Seiten-Manga zu aufwendig ist. Insofern ist Akira quasi ein Anti-Hobbit.

8/10

2 Kommentare:

  1. Ich mag den Film auch sehr, habe ihn allerdings schon lange nicht mehr gesehen. Vom Manga hatte ich mir damals bei der deutschen Veröffentlichung die ersten zwei Bände gegönnt und hätte auch gerne weitergelesen, doch waren sie damals unerreichbar teuer für einen Schüler.

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    1. Ja, sowas kann einem das Geld aus der Tasche ziehen. Meine Stadtbibliothek hat die Reihe praktischerweise im Bestand :-)

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