8. Mai 2010

I Love You Phillip Morris

Or you can suck his cock. Your choice.

In Superbad ließ Drehbuchautor Seth Rogen sein auf ihm selbst basierendes Alter Ego Seth (Jonah Hill) einen Penis-Fetisch durchleben. Der gesamte Abspann des Filmes besteht aus amüsanten Penis-Sketchen in unterschiedlichen Posen und Filmzitaten. Es ist ein ebensolcher Penis-Sketch, der in Glenn Ficarras und John Requas Tragödie I Love You Phillip Morris dem Helden letztlich zur Krux wird. Über Monate hinweg manipulierte Steven Russell (Jim Carrey) die Bilanzen seiner Firma, um letztlich durch einen unachtsamen Penis-Sketch auf einer der Bilanzen seines Betrugs überführt zu werden. Der Film basiert auf dem Leben von Steven Jay Russell, der mehrfach zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde (unter anderem wegen Versicherungsbetrugs) und nicht minder mehrfach aus dem Gefängnis ausbrach. Dank der Brillanz seiner Ausbrüche trägt er die Spitznamen „Houdini“ und „King Con“. Doch der Film von Ficarra und Requa ist keine Gaunerkomödie, sondern eine Liebestragödie.

Steven Russell führte ein normales amerikanisches Leben. Verheiratet mit der überzeugten Christin Debbie (Leslie Mann) ging er sonntäglich in die Kirche, half bei der örtlichen Polizei aus und erzog seine Tochter in aller Liebe. Was Stevens Familie und Freunde nicht ahnten: Steven ist homosexuell, war es schon als Kind (ein junger Steven erblickt in einer Rückblende eine penisförmige Wolke). Einen Autounfall später akzeptiert Steven seine sexuelle Orientierung auch und lebt sie fortan öffentlich aus. Ein zu Beginn eingeführter Subplot um seine Adoptionsherkunft verliert sich spätestens hier dann auch völlig aus den Augen (seine Integration wirkt zwar nicht störend, verkommt jedoch zu einer Belanglosigkeit). Frau und Kind also zurückgelassen zieht Steven nach Florida und frönt mit seinem Liebhaber Jimmy (Rodrigo Santoro) einen luxuriösen Lebensstil. Denn wer schwul ist, hat einen hohen Lebensstandard, erklärt Steven dem Publikum aus dem Off. Mit gefälschten Kreditkarten und Identitäten hält der Lebemann sein Glück aufrecht.

All dies ist letztlich ein umfangreicher Prolog für die eigentliche Geschichte, die erst beginnt, als Steven eines Tages schließlich im Gefängnis landet. I Love You Phillip Morris zeigt hier bereits auf, was später zur Gewohnheit wird: Russells Gaunereien spielen eine untergeordnete Rolle. Ficarra und Requa begrenzen die Integration von Russells Tricks auf ein Minimum. Was angesichts seiner genialen Gefängnisausbrüche (z.B. färbte er seine Gefängniskluft mit geklauten Farbstiften in das Grün der Ärzteuniform und spazierte einfach aus dem Gefängnistrakt) im dritten Akt etwas bedauerlich ist, da die Summe seiner zahlreichen Ausbrüche einem Best-Of gleich in einer Montage „verschenkt“ wird. Aber es handelt sich nicht um eine Gaunerkomödie. „This is a love story“, bezeichnet der wirkliche Steven Russell seine Geschichte. Dabei ist es weniger eine Liebesgeschichte als eine Geschichte über die Liebe. Denn im Nachhinein werden alle von Stevens Handlungen durch Liebe bestimmt.

Dies beginnt bereits mit seiner Ehe zu Debbie, die Steven aus Liebe aufrecht erhielt, selbst wenn er sich homosexuellen Affären hingab. Entgegen möglichen Eindrücken (und einigen etwas platten, aber dennoch charmanten Witzen) spielt Stevens Homosexualität dabei eine untergeordnete Rolle. Seine Liebe zu Jimmy ist nicht mehr eine Liebe zu einem Mann wie es eine Liebe zu einem Partner ist. Um Stevens eigene Äußerung, dass Schwulsein teuer sei, einen Riegel vorzuschieben, integrieren Ficarra und Requa wenig später noch einen Dialog zwischen Debbie und Jimmy, in welchem Erstere Letzteren fragt, ob Kleptomanie und Homosexualität Hand in Hand gehen. „What the fuck are you talking about?“, lautet die folgerichtige Antwort. Im Grunde ließen sich Stevens Liebhaber auch durch Liebhaberinnen ersetzen. Mit welcher Unverklemmtheit I Love You Phillip Morris zu Werke geht, ist erfrischend. So lassen sich auch etwas lahme Oralsex-Szenen leichter verzeihen.

Der Titelgebende Phillip Morris (Ewan McGregor) findet sich dann in einem von Stevens Gefängnisinsassen. „It was lust at first sight“, blickt der echte Steven auf ihre erste Begegnung zurück. McGregor unterspielt den naiven Schönling mit einer exzellenten Leistung, die weit über seinen anderen Nebenrollen dieses Jahres (The Ghost Writer und The Men Who Stare at Goats) steht. Der blonde Phillip Morris ersetzt die klassische Blondine, die stets auf die falschen Kerle hereinfällt und somit nur ausgenutzt wird. Auch mit seiner Hausfrauen-Mentalität nimmt I Love You Phillip Morris somit durchaus das klassische Rollenbild auf, mit dem Unterschied, es mit homosexuellen Figuren zu besetzen. In gewissem Sinne wird Morris jedoch mit (zu) wenig Tiefe versehen, sodass er selbst durchweg das reine love interest und in dieser Funktion der MacGuffin des Filmes bleibt. Im Vordergrund steht unentwegt, welche Wege Steven beschreitet, um sich selbst und seinem Freund einen teueren Lebensstil zu verschaffen.

Ficarras und Requas Film ist dabei keineswegs perfekt, die Erzählfolge von hinten heraus ist ebenso unnötig, wie Stevens Adoptionsherkunft und Suche nach seiner Geburtsmutter. Auch einige Elemente rund um die Beziehung zu Jimmy fallen etwas zu langatmig aus. Der große Vorzug von I Love You Phillip Morris ist jedoch, dass der Film dennoch stimmig ausfällt, auch in seinen redundanten Momenten (Steven und Phillip in trauter Zellen-Zweisamkeit) nie langweilt (Stichwort: „My word is my motherfuckin' bond“). Zudem wird die homosexuelle Rollenbesetzung als selbstverständlich erachtet und daher bis auf wenige Ausnahmen nicht in den Vordergrund gerückt. Dies alles verleiht ihm einen erstaunlich reifen Ton, bedenkt man seinen Ursprung aus den erschreckend verklemmten Vereinigten Staaten. Es wäre wünschenswert, wenn in diesem Falle der Film von der Realität eingeholt werden würde. Schließlich zeigte bereits Superbad, dass ein Penis-Fetisch nicht zwingend „schwul“ sein muss.

8/10

3 Kommentare:

  1. Volle Zustimmung, lediglich McGregor fand ich jetzt nicht unbedingt besser als etwa in "Männer die auf Ziegen starren" was, wie Du auch erwähnst, aber zum Teil sicher daran liegt dass seine Figur zu wenig Tiefe bekommt.

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  2. sehr exakte review. sah ich ganz ähnlich. auch wenn ich mr mcgregor zumindest im original gar nicht sooo "naivblödblondplatt" fand (da macht die deutsche synchronisierung einiges vom subtilen charme kaputt).

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  3. Die Synchro kann ich nicht beurteilen, die Besprechung basiert ja auf dem Original.

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