11. Juni 2013

Sunset Blvd.

Stars are ageless, aren’t they?

Worte können Karrieren zerstören. So scheiterte mancher Schauspieler am Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm, was nicht erst im vergangenen Jahr in The Artist zum Thema wurde. Michel Hazanavicius’ Oscargewinner erzählte dabei keine völlig neue Geschichte, eher eine Art von Prequel mit Happy End zu Billy Wilders Sunset Blvd. In seinem Film noir-Meisterwerk aus dem Jahr 1950 berichtete Wilder vom vergessenen Stummfilm-Star Norma Desmond (Gloria Swanson), die in ihrer einsamen Villa am Sunset Boulevard auf eine Rückkehr ins Filmgeschäft unter der Regie ihres alten Gönners Cecil B. DeMille wartet. Dass sie es am Ende wieder vor die Kameras schafft, ist dann jedoch keinem neuen Film von ihr geschuldet.

Stattdessen schwimmt in ihrem Pool die Leiche des erfolglosen Drehbuchautoren Joe Gillis (William Holden), mit zwei Kugeln im Rücken und einer im Bauch. Schon bald werden die Klatschreporter um Hedda Hopper den Vorfall genüsslich in den Medien zerreißen. “Maybe you’d like to hear the facts”, lädt uns derweil Gillis als Erzählstimme auf eine Rückschau der Ereignisse ein. Sechs Monate zuvor hatte der verschuldete B-Movie-Autor bei der Flucht vor seinen Gläubigern zufällig Schutz auf dem Anwesen von Norma Desmond gesucht. Von ihr angeheuert, ihr selbst geschriebenes Drehbuch zu straffen, verlor sich Gillis nach und nach in einem Abhängigkeitsverhältnis zu der Diva. Mit tragischen Konsequenzen.

Was passiert aus einem Film-Star, wenn seine Zeit verstrichen ist? Diese Frage stellten sich Wilder und Co-Autor Charles Brackett Ende der 1940er. Das Ergebnis ist auf eine Art ein klassischer Film noir, auf der anderen Seite allerdings auch eine Satire mit Meta-Anleihen über Hollywood selbst. “I just think that pictures should say a little something”, kritisiert die Lektorin Betty Schaefer (Nancy Olson) da bei einem Studio-Treffen das neueste Skript von Gillis. “Oh, one of those message kids”, entgegnet dieser höhnisch. “Just a story won’t do.” Ihr neckisches Gezanke wird dann letztlich von Paramount-Produzent Sheldrake (Fred Clark) mit dem Vergleich beendet, dass sie klingen “like a bunch of New York critics”.

Es ist daher die Ironie von Sunset Blvd., dass der B-Movie-Autor Gillis erst in bzw. durch seinen Tod die Chance hat, eine große Geschichte zu erzählen. Gefangen im Studio-System will Sheldrake sein Baseball-Drama zum Frauen-Softball-Streifen umwandeln. Vermarktung ist alles, soviel versteht Gillis dann zumindest selbst, wenn er sich bei Norma Desmond größer macht als er in Wirklichkeit ist. Aus der Arbeit für wenige Wochen werden daraufhin mehrere Monate und ab einem gewissen Zeitpunkt spielt Normas Drehbuch ohnehin keine Rolle mehr. Gillis ist inzwischen zu ihrem “boy toy” verkommen und zieht nach einem Wasserschaden im Gästehaus schließlich hinüber ins Schlafzimmer ihrer ehemaligen Ehemänner.

“Older woman who’s well to do. A younger man who’s not doing too well”, fasst es Gillis für Betty zusammen. Zuvor hat er in Normas Butler Max, einst der viel versprechende Regisseur Maximilian von Mayerling und Normas erster Gatte, gesehen, wohin ihn sein Weg wohl führen könnte. Wöchentlich schreibt er Fan-Briefe an die Hausherrin; als er erfährt, dass Paramount nicht unentwegt anruft, um Norma mit Cecil B. DeMille zu vereinen, sondern um ihren Wagen für ein Period Piece zu leasen, wird dies verschwiegen. The show must go on – wenn auch nur hier in Normas Palast am Sunset Boulevard. “You used to be big”, staunt Gillis zu Beginn. “I am big”, erwidert Norma brüskiert. “It’s the pictures that got small.”

Für Gillis ist klar, die Diva “was still sleepwalking along the giddy heights of a lost career”. Die Kommode und Wände zieren Bilder von sich selbst und auch im Privatkino werden Woche für Woche nur Norma Desmond Filme für Norma Desmond aufgeführt. “I don’t wanna be left alone”, klagt sie und umgibt sich doch nur mit sich selbst. Abgesehen von den gelegentlichen Bridge-Abenden mit anderen verblichenen Stimmfilm-Stars (darunter Buster Keaton). Zuvor schon musste sie ihren Schimpansen-Begleiter beerdigen – heutzutage fühlt man sich an angesichts einer solchen Primaten-Liebe an Prominente wie Michael Jackson – selbst eine tragische Figur à la Norma Desmond – oder Justin Bieber erinnert.

Ohnehin hat Wilders Meisterwerk nichts von seiner Aktualität eingebüßt. “There’s nothing tragic about being 50”, beschwört Gillis am Ende die Desmond. “Unless you’re trying to be 25.” Wer sieht die Szene und denkt nicht an Nicole Kidman, Meg Ryan und all die anderen Hollywood-Damen, die jenseits der 40 wöchentlich die Botox-Spritze anlegen? In seinem bissigen Kommentar auf Hollywood – “it is a wonder Hollywood ever let Wilder work again”, schrieb Colin Kennedy in der britischen Empire – eignet sich Sunset Blvd. dabei ebenso gut als companion piece zu Robert Aldrichs What Ever Happened to Baby Jane? wie zu Rob Reiners Misery. Schließlich ist auch Gillis ein Autor, gefangen in der Welt einer Verrückten.

Horror, Satire, Film noir – Wilder mäandert geschickt zwischen den Genres. Dabei ist sein Film am Ende natürlich auch großes Charakterkino, mit Dank an sein Darsteller-Trio. Gloria Swanson beherrscht diesen Film und umso beachtlicher ist es, dass sich weder William Holden noch Erich von Stroheim von der seinerzeit bereits abgetretenen Aktrice an die Wand spielen lassen. Sie alle erhalten später ihr Grande Finale, wenn in Normas Mord an Gillis dieser nicht nur eine Geschichte erzählen darf, sondern sogar eine, die wie es Betty nennen würde, etwas zu sagen hat. Norma dagegen ist das Objekt der Kamerabegierde (“All right, Mr. DeMille. I’m ready for my close-up”), mit Max als deren anweisender Regisseur.

Zugleich wurde nur angerissen, worüber sich ausgiebiger diskutieren ließe. Zum Beispiel ob sich eher Norma oder Betty für die Rolle der Femme fatale qualifiziert. Immerhin ist es Gillis’ Romanze mit Letzterer, die ihn endgültig ins Verderben stürzt und die Ereignisse im Finale lostritt. Oder man ergötzt sich an Locations wie Paramounts Autorenabteilung und fragt sich, ob sich die Coens hier zu Barton Fink inspirieren ließen. Billy Wilders Sunset Blvd. ist ein zeitloses Meisterwerk, das auch nach über 60 Jahren nichts von seiner Kraft eingebüßt hat. “I don’t want you to think I thought this was going to win any Academy Award”, hatte Gillis bezüglich seines Skripts gesagt. Wilder wiederum wurde mit einem Oscar ausgezeichnet.

10/10

6 Kommentare:

  1. Auch einer der Filme, die ich schon immer mal sehen wollte, aber noch nicht dazu gekommen bin. Sollte ich mir wirklich mal zulegen und auch anschauen. Wie so viel. Achja...

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    1. Musst du dir einfach mal ein paar Klassiker zum nächsten Geburtstag auf Blu-ray schenken lassen :)

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  2. Man hat mal 'ne Gemeinsamkeit. Feiertag!

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  3. Auch wir sind uns hier ausnahmsweise mal einig :)

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    1. Bei den Klassikern stimmen wir eben überein ;)

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