18. Juni 2009

The Truman Show

How’s it going to end?

Wir leben in einer perversen Welt. Einer Welt, in der ein Fußballspieler für eine Summe verscherbelt wird, die sich im Grunde bereits in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt einer Republik wie Kiribati setzen lässt. Und in der Reality-Shows mit Paris Hilton und Sarah Connor den Markt füllen. Da ist es nur schwacher Trost, dass unsere Gesellschaft noch nicht ganz das Niveau von The Truman Show erreicht hat. Ungerechtfertigter Weise war Peter Weirs satirisches Meisterwerk seiner Zeit bei den Oscars außen vorgestanden. Der brillante Hauptdarsteller Jim Carrey war erst gar nicht berücksichtigt worden. Bei einer Konkurrenz wie Shakespeare in Love und Roberto Benigni im Grunde ein Schlag ins Gesicht. Vielleicht wirkte das von Andrew Niccol beschworene Szenario Ende der Neunziger einfach noch zu phantastisch, als dass man Niccols vorausschauendes Genie entsprechend würdigen konnte. Und genial ist an The Truman Show viel, womöglich alles.

An einem Tag wie jedem anderen macht sich Truman Burbank (Jim Carrey) auf zur Arbeit, als plötzlich eine Beleuchtung vom Himmel fällt. Ein verdutzter Truman denkt sich nicht viel dabei und schon im Wagen werden im Radio die Geschehnisse plausibel erklärt. Kurz noch an den Kiosk, wo die Zeitung tituliert, dass Seahaven der Wohnsitz Nummer Eins der USA sei und eine Modezeitschrift für die Frau gekauft. Eine kurze Begegnung mit den Zwillingen Ron und Don neben einer Werbereklame bringt Truman dann ins Büro. Hier gibt er sich seinen eigenen Träumen hin. Es sind noch 41 Tage bis zu seinem 30. Geburtstag, doch Truman hat Seahaven noch nie verlassen. Der Wunsch nach Fiji zu fliegen wird sowohl von Gattin Meryl (Laura Linney) als auch vom besten Freund Marlon (Noah Emmerich) abgetan. Wieso irgendwo anders leben, wo man es in Seahaven doch so schön hat? Aber nichts ist mehr wie es war für Truman. Spätestens dann nicht, als er seinen für tot geglaubten Vater mitten auf der Straße wiedersieht. Als dieser kurz darauf abgeführt wird, häufen sich für Truman die Verdachtsmomente.

Die Brillanz des hier Gezeigten verdankt sich dem beißend satirischen Unterton, den Regisseur Peter Weir nachträglich von Niccol in dessen Skript, das zuerst als Thriller konzipiert war, einbettete. Das Konzept der Truman Show ist derart gelungen, dass sich Fernsehproduzenten wie Rupert Mordoch oder Aaron Spelling wohl in den Arsch gebissen haben, etwas derartiges noch nicht umgesetzt zu haben. Denn seit beinahe 30 Jahren läuft sie nun, die Truman Show, und das 24 Stunden täglich. “We found many viewers leave him on all night for comfort”, gesteht Christof (Ed Harris), der Regisseur und Schöpfer der Show. Christof stellt gleich zwei Anspielungen dar: einerseits ist er der Schöpfer jener Welt, die Truman nicht anders kennt, und nimmt quasi eine Gott-ähnliche Stellung ein. Dies wird besonders deutlich, als er sich kurz vor Trumans Freiheit per Mikrofon zuschalten lässt und seiner „Schöpfung“ mit den Worten begegnet: “I am the creator“. Andererseits kann Christof auch als Anspielung auf den Künstler Christo angesehen werden, als Verhüller der Wahrheit oder eines ganzen Lebens.

Ohnehin lässt sich The Truman Show exzellent als Beispiel für die Genesis lesen. “The world, the place you live in, is the sick place”, rechtfertigt sich Christof gegenüber Sylvia (Natasha McElhone), einer Gastdarstellerin der Show und Trumans große Liebe. Und in der Tat lebt Truman in einer Art Utopia, einer Welt ohne Gewalt, Kriminalität und Armut. Somit ein Hort des Friedens und für sich genommen ein Garten Eden. Es ist Trumans finale Erkenntnis, die ihm den Verbleib in Eden verwehrt und ihn in die Realität wechseln lässt. Somit stellt Weirs Film ein Exempel für den menschlichen freien Willens dar. War Truman krank, kümmerte sich der Schöpfer um ihn. Drohte Gefahr, wie als Truman unachtsam vor einen Bus läuft, kann Christof einschreiten und seine behütende Hand ausstrecken. Es ist also Trumans (unbewusstes) Opfern seiner Freiheit, die ihm den Schutz seines Schöpfers beschert. Zugleich ist Weirs Film aber auch ein Aufwerfen existentialistischer Fragen nach der Grenze der Realität, wie sie Ende der neunziger Jahre zahlreich (The Matrix, The 13th Floor, Dark City) aufgeworfen wurden.

“We accept the reality of the world with which we are presented”, erklärt Christof die Verblendung von Truman. Und wie fasste es Jim Jarmusch nicht zuletzt in The Limits of Control zusammen: “Sometimes the reflection is far more present than the thing being reflected.” So wie seine Leidensgenossen Douglas Hall in The 13th Floor und John Murdoch in Dark City muss Truman seine Fassade buchstäblich bröckeln sehen. Perfekt dabei Carreys Mimik, als er die Studiokulisse rammt und das Ausmaß seines Käfigs begreift. Dass Menschen über The Real World und Big Brother ihre Privatsphäre freiwillig opfern, ist dabei gegenwärtig nur der Auftakt. Schließlich hadern jene Projekte an dem Selbstinszenierungsdrang der Protagonisten. “You were real. That's what made you so good to watch”, nennt Christof seiner Schöpfung den Grund für den Erfolg. Insofern stellt The Truman Show nur den nächsten großen Schritt dar, den die Unterhaltungsbranche auf ihrer Quotenjagd bewältigen muss. Ein ähnliches Bild beschwörten einige Jahre später auch Matt Stone und Trey Parker in ihrer South Park-Folge Cancelled, welche die Erde als Reality-Show von Aliens für Aliens repräsentiert.

Zum Schreien sind bereits die Vermarktungsansätze, die sich in den gegenwärtigen Medien finden. Allen voran das Product Placement, das gerade von Meryl-Darstellerin Hannah Gill (Laury Linney) propagiert wird. Ähnliches findet sich heute in jedem gewöhnlichen Blockbuster, von Casino Royale bis hin zu The Day the Earth Stood Still. Immer wird der Moment genutzt, um ein Produkt n die Kamera zu halten und seine Vorzüge zu loben. So hat es die Truman Show geschafft, sich allein durch Product Placement zu vermarkten. Von dem Sog, den das Progamm auf die Weltbevölkerung zu haben scheint – Weir beschränkt sich auf wenige Beispiele – ganz zu schweigen. Daher kann The Truman Show auf drei Ebenen betrachtet werden, sei es ein satirisches Zerrbild von Medienethik oder die biblischen oder existentialistischen Ansätze. Zu verdanken ist dies Andrew Niccols pointierten Drehbuch. Phänomenal allein die Versuche, Truman von seinen Fluchtgedanken abzubringen. Wo sonst findet man ein Reisebüro, dass vor Terroristen auf Flügen warnt (ganze drei Jahre vor 9/11) oder einen Blitzeinschlag mit den Worten propagiert: “It could happen to you!“

Jedoch bedauert man, dass Niccol stets nur an der Oberfläche der Dinge bleibt. Schade, dass Trumans Umwelt nie wirklich thematisiert wird. Schließlich arbeiten seine Mutter (Holland Taylor) und auch sein bester Freund Marlon bereits über 20 Jahre mit ihm zusammen. Gerade bei Letzterem wäre ein tieferer Fokus interessant gewesen, besonders wenn man eine geschnittene Szene betrachtet, denn zwischen Marlon-Darsteller Louis, der seit er sieben Jahre alt ist in der Show spielt, und Hannah besteht zumindest in Weirs Film soviel Unterschied nicht. Welche emotionalen Bindungen da zwischen den Schauspielern und Truman entstanden sein müssen, will uns Niccol nicht verraten. Genauso bleibt die juristische Besonderheit, dass ein Unternehmen ein Kind adoptieren kann (und anschließend mit diesem umspringen kann, wie es beliebt), unerklärt und im Nachhinein nur Mittel zum Zweck. Allerdings hätte wohl ein näherer Einblick nicht nur die Laufzeit gesprengt, sondern auch die grundsätzliche Stringenz und Harmonie des thematischen Hauptfadens unterbrochen.

Rückblickend ist es ein meisterlicher Schachzug, die ernste und grundsätzlich tragische Rolle des Truman an Jim Carrey zu geben. Der kommt zwar nicht umhin, gelegentlich in sein übliches Muster zu verfallen, doch ist es Carrey, der dem Film letztlich seinen Stempel aufdrückt. Sowohl Linney als auch Emmerich wissen ihre Nebenparts überzeugend auszufüllen, in kleinen Rollen lassen sich hier bereits Peter Krause und Paul Giamatti bewundern. Für Ed Harris, der erst fünf Tage vor Christofs erster Szene zur Besetzung stieß, sollte sich sein gefälliges Spiel mit einem Golden Globe und einer Oscarnominierung auszahlen. Nicht minder beeindruckend geraten die großartige Kameraarbeit von Peter Biziou sowie die musikalische Untermalung von Burkhard von Dallwitz (allein „Truman Sleeps“ ist wahrlich ein Traum). Trotz einiger weniger zufriedenstellender Dinge ist The Truman Show dennoch ein Meisterwerk seines Genres. Sowohl Satire als auch Drama, zugleich unterhaltsames Medium und Kritik an Unterhaltungsmedien. Ein Film, der noch einige Jahre trotz seines Alters aktuell sein wird.

10/10

2 Kommentare:

  1. Ja, ein wirklich toller Film - und so schön zeitlos, den schaut man auch noch in zehn Jahren und findet ihn gut.

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