13. Oktober 2012

Snow White and the Huntsman vs. Mirror Mirror

Kreativität in Hollywood ist seit längerem eine eher rare Sache. Und wenn es eine Idee für einen Film gibt, haben sie oftmals mehrere Personen gleichzeitig. Sozusagen. Daher veröffentlichten 1998 sowohl Pixar als auch DreamWorks je einen Film über Ameisenhelden (A Bug’s Life vs. Antz). Im selben Jahr drohte zudem sowohl in Deep Impact als auch in Armageddon ein Meteorit die Erde auszulöschen. Auch sonst leuchten die Glühbirnen gerne mal doppelt auf. So waren ursprünglich zwei unterschiedliche Filme über Frida Kahlo als auch Sherlock Holmes geplant, produziert wurden letztlich nur Frida und Sherlock Holmes, während die Projekte um Jennifer Lopez beziehunsweise Sacha Baron Cohen auf Eis gelegt wurden.

Die Liste der filmthematischen Doppelgänger ließe sich fortsetzen mit den 2006er Zauberer-Mysterien The Prestige und The Illusionist, den Mars-Missionsfilmen aus dem Jahr 2000, Mission to Mars und Red Planet, oder den Vulkan-Dramen Dante’s Peak und Volcano von 1997. Dieses Jahr erschienen im Abstand von wenigen Wochen Snow White and the Huntsman und Mirror Mirror, zwei unterschiedliche Adaptionen der Schneewittchen-Mär der Gebrüder Grimm. Der eine Film war düster gehalten, der andere dagegen bunt. Aber welcher ist nun besser oder gut? An dieser Stelle soll anstatt eines gewöhnlichen Reviews ein Head-to-Head feststellen, wer die Schönste (Verfilmung) im ganzen Land ist.

Snow White

Auf der einen Seite haben wir Twilight-Vamp Kristen Stewart, die mit Schnutengesicht im Kerker gehalten und dennoch eines Tages vom Zauberspiegel zur “fairest of them all” gekürt wird. Es zählen eben die inneren Werte. Anschließend auf der Flucht und in steter Not, ist sie bis zum Finale abhängig von ihren männlichen Protagonisten, sodass Snow White and the Huntsman gar nicht so emanzipiert daherkommt, wie man zuvor vielleicht hätte vermuten können. Stewart bleibt dabei ähnlich blass wie in ihren bisherigen Filmen, mit einer pathetischen Kriegsrede à la Jeanne d’Arc als grausigem Highlight. Sex-Appeal-Faktor: 15%

Weitaus puppenhafter und lebendiger kommt dagegen Phil Collins’ Tochter Lily daher, die ebenfalls eine Gefangene der bösen Königin ist, wenn auch sehr viel sauberer im privaten Schlafgemach gehalten. Wieso beide Königinnen die Mädchen am Leben erhalten, bleibt allerdings offen. Die Snow White in Mirror Mirror ist sehr viel selbstbestimmter und aktiver als die stewartsche Version. Sie übernimmt das Kommando im Zwergenhaushalt, wird per Montage zur kampferprobten Mini-Amazone und wirkt besser ausgearbeitet, was vielleicht daran liegt, dass die Figur näher an der Disney-Version orientiert ist. Sex-Appeal-Faktor: 85%

The Evil Queen

Und wenn sie nicht gestorben ist, dann schreit Charlize Theron noch heute. Sich total der Hysterie hingebend, keift die Südafrikanerin den Großteil ihrer Dialogzeilen und ist angetrieben vom Wahn nach ewiger Jugend. Oder ewiger Macht. Oder beidem. Scheinbar mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet, die nie vollends erklärt werden (ihr Bruder hat jedenfalls keine), lässt ihre tyrannische Ravenna das Land vor die Hunde gehen, weil das eben das ist, was Tyrannen so machen. Da Geschrei aber nicht sonderlich maliziös ist und Theron jegliche Selbstironie abgeht, fehlt es auch dieser Figur schlicht an Charakter. Bitch-Faktor: 30%

Völlig von der Erde losgelöst spielt dagegen Julia Robert genüsslich ihre böse Königin mit ordentlich Hang zur Selbstironie (“They’re not wrinkles. They’re just crinkles”) und einem gehörigen Schuss Sarkasmus. Zwar fehlt auch ihrer Figur die Motivation, ebenso wie ihre Beziehung zum Zauberspiegel offene Fragen zurücklässt, aber Roberts ist einer der Höhepunkte des Films. Insbesondere ihre Dialoge mit Nathan Lane, aber auch ihr im Übermaß ausgelebter Hang zum Narzissmus zeichnen die Figur aus, die letztlich nur darunter leidet, dass ihr das Drehbuch ein ausgesprochen schwaches Finale zugestanden hat. Bitch-Faktor: 70%

The Love Interest

Es ist schon bemerkenswert, dass Kristen Stewart auch in Snow White and the Huntsman wieder gleich zwei love interests an die Backe geschmiert bekommt. Das kennt sie ja bereits aus den Twilight-Filmen oder Adventureland. Ähnlich wie dort sind sie einem auch hier ziemlich Jacke wie Hose, sowohl Chris Hemsworths charmefreier Antiheld „Eric“ aka der Jägersmann als auch Sam Claflins aufrechte Jugendliebe. Ersterer versucht sich (und scheitert) als verwitweter Alkoholiker in einer Rolle, für die er zu jung scheint. Letzterer hat von vorneherein den Kürzeren gezogen, da er in der Friend Zone festhängt. Mr. Right-Faktor: 50%

Ein völlig anderes Kaliber ist dagegen Armie Hammers Prinz Alcott, der als treudoofer Naivling zum Liebesobjekt für Snow White und zum Goldesel für die Königin avanciert. Letztlich dient Hammers Prinzenrolle eher dem comic relief, sodass ihm zumindest Hemsworths Macho-Figur bei einer direkten Konfrontation problemlos den Gar ausmachen würde. Da in Mirror Mirror jedoch weniger aufgesetzte Pseudo-Seriosität von Bedeutung ist, denn selbstironische Persiflage, fällt Alcotts peinliches Welpenverhalten weniger negativ auf als man erwarten würde. Zudem wirkt seine Zuneigung zu Snow White aufrichtiger. Mr. Right-Faktor: 50%

The Dwarves

Welche Rolle die Zwerge in Snow White and the Huntsman spielen, merkt man bereits am Titel: Sie wurden schlichtweg ersetzt. Zwar prominent gecastet sind sie jedoch extrem unpräsent, abgesehen vom Übergang des zweiten zum dritten Akts. An und für sich würde der Film auch ohne sie genauso funktionieren, da sie einem schlicht nicht in Erinnerung bleiben. Einige von ihnen wie Ian McShane, Ray Winstone oder Nick Frost sind eklatant unterfordert, außer Eddie Marsan und Toby Jones kriegt auch keiner von ihnen – bis auf den achten Zwerg, dessen Schicksal vorhersehbar war – wirklich einen Charakter. Heigh-Ho-Faktor: 15%

Anders dagegen in Mirror Mirror, wo schon allein die Tatsache ins Auge springt, dass es sich um eine Multi-Ethnische-Zwergentruppe handelt. Vom Asiaten über den Latino bis hin zum Kaukasier stellen sie hier mehr eine Art Zusammenschluss dar, weniger einen Familienverbund. Außerdem sind sie auch weitaus mehr in die Handlung eingebunden und verfügen dementsprechend über klar erkennbare Persönlichkeiten – was sie am meisten von ihren Pendants des anderen Films unterscheidet. Bis auf den etwas nervigen Wolf sind sie auch allesamt ziemlich liebenswert in ihrer oftmals anarchischen Art und Weise. Heigh-Ho-Faktor: 85%

The Mirror

Nun zum Zauberspiegel, der als eine Art Schönheits-11880 die eigentliche Handlung erst lostritt und damit zumindest eine untergeordnete Rolle einnimmt. In Snow White and the Huntsman ist er ein riesiger Gong aus dem heraus sich eine verhüllte Gestalt herausmorpht. Matrix trifft Herr der Ringe. Er ist es, der die in ihrem eigenen Dreck dahinvegetierende Snow White zur “fairest of them all” erhebt – und sie damit zur Zielscheibe macht. Ähnlich übertrieben aufwendig inszeniert wie Tarsems Pendant, bedenkt man, dass der Spiegel im weiteren Verlauf kaum eine Rolle spielt und hier in der 2. Hälfte somit fehlt. Wiedererkennungs-Faktor: 40%

Wie in allen anderen Bereichen gerät der Spiegel in Mirror Mirror weitaus lebendiger. Hier ist er ein Doppelspiegel, in welchem sich Roberts’ böse Königin mit sich selbst konfrontiert sieht, was dem Ganzen eine weitaus psychologischere Ebene verleiht. Warum der Spiegel in einer Art Resort-Hütte im Meer beheimatet ist, bleibt allerdings ebenso offen wie seine Herkunft und Funktionsweise. Immerhin wird er aber im Finale nochmals zur Sprache gebracht und mit dem Geschehen in der „Realität“ verknüpft und ist durch seine Doppeldeutigkeit nicht nur Hokuspokus, sondern eine Art Meta-Kommentar. Wiedererkennungs -Faktor: 60%

The Minion

Was wäre ein Bösewicht ohne seinen Lakai als treuen Diener? Ravenna hat in Finn ein blondes Brüderlein mit bescheuerter Frisur, der auf irgendeine Art und Weise von seiner Schwester über die Jahre hinweg jung gehalten wurde – zumindest relativ gesehen. Ihm ist es zu verdanken, dass Snow White zur Mitte des ersten Akts hin ausbrechen kann und auch später ist er seiner Schwester keine sonderlich große Hilfe. Offen bleibt, wozu man den Jägersmann engagiert hat, wenn Finn und Co. ohnehin auch in den dunklen Wald gehen. Dass er von Depri-Alki Eric später problemlos kalt gemacht wird, spricht auch nicht wirklich für ihn. Support-Faktor: 40%

Ein völlig anderes Kaliber ist dagegen Nathan Lane als passend benannte Ulknudel Brighton. Gekonnt spielt er sich mit Roberts die Bälle hin und her und fungiert als vergnüglicher aber nie lächerlich werdender Hilfsdiener. Genauso wie im Zwillingsfilm ist es dem Lakaien zu verdanken, dass Snow White entkommen kann und ihrem Tod entgeht. Brighton wird dafür auch in kafkaesker Weise bestraft. Mit seinem komödiantischen Charme passt Lane sehr viel besser in Mirror Mirror als auf der Gegenseite der mürrisch dreinblickende Sam Spruell. Letztlich hätte Tarsems Film wohl von noch mehr Lane-Roberts-Momenten sogar profitiert. Support-Faktor: 60%

The Monster

Paradoxerweise trumpfen beide Filme auch mit einer Bestie im Wald auf. In Snow White and the Huntsman ist sie Wikipedia zufolge ein Troll, der von seiner Gestaltung so aussieht, als hätten die Designer zu viele Filme von Guillermo del Toro geschaut. Optisch zwar durchaus ansprechender und zudem bedrohlicher wirkend als sein Kollege in Mirror Mirror, taucht der Troll jedoch so plötzlich auf wie er verschwindet – letztlich ohne einen Zweck zu erfüllen. Damit ist er Bestandteil eines ohnehin ziemlich unsinnigen zweiten Akts, in welchem Rupert Sanders’ Adaption auf einmal märchenhaft wirken will – und dabei scheitert. Freak-Faktor: 50%

Dem Schema treu bleibend erinnert die Bestie bei Tarsem eher an einen Bastard aus Fuchur der Unendlichen Geschichte und Mushu aus Mulan. Ein Kuddelmuddel aus verschiedenen Tieren, sucht die Bestie hier den Wald heim – zumindest laut Brighton. Da man das Monster aber bis zum Finale nicht zu Gesicht kriegt und ansonsten sogar die Zwerge als die weitaus „gefährlicheren“ Waldbewohner anmuten, erfüllt auch dieses Monster im Grunde keinen rechten Zweck. Das ist der schwachen Exposition geschuldet, aber auch dem Finale, das wie bereits mehrfach angesprochen in Mirror Mirror leider ziemlich verschenkt wird. Freak-Faktor: 50%

The Castle

Ein Großteil beider Handlungen spielt in dem jeweiligen königlichen Schloss. Die Chance für Snow White and the Huntsman auch mal eine Rubrik für sich zu entscheiden. Das Schloss am Strand kommt genauso düster daher wie der Rest des Films, macht jedoch strategisch um einiges mehr Sinn als die Version von Tarsem. Abgeschottet mit dem Meer im Rücken ist es sehr gut zur Verteidigung gedacht, bedenkt man, dass Angreifer nur über einen schmalen Sandstreifen und auch hier scheinbar nur während Ebbe attackieren können. Snow White und ihre Zwergenarmee schaffen es dennoch. Märchenschloss-Faktor: 80%

Weitaus unsinniger und zudem optisch nicht besonders ansprechend gerät das Schloss in Mirror Mirror. Wie ein liebloser Hinterhof-Kreml sieht es aus und ist am Ende eines Felsvorsprungs beheimatet. Damit ist auch dieses Schloss nur von einer Seite aus zu attackieren, sodass es sich zwar gut verteidigen, allerdings auch gut abschotten lässt. Würde man sich bemühen, die kurze Felsverbindung zu zerstören, wäre das Königshaus erstmal auf sich allein gestellt, während man sich das Königreich einverleibt. Strategisch wie optisch zieht Tarsems ziemlich lieblose Variante klar den Kürzeren – enttäuschend. Märchenschloss-Faktor: 20%

The Tone

Abschließend soll nochmals auf den Grundton der zwei Filme eingegangen werden. Snow White and the Huntsman versucht sich als düstere und seriöse Adaption des Schneewittchen-Stoffs, macht aber speziell im zweiten Akt viel falsch. Sei es Snow Whites drogeninduzierter Spaziergang durch den dunklen Wald, die Begegnung mit dem Troll oder die darauf folgende quietschbunte und somit farbharmonisch beißende Episode im “happy place”. Der Film ist voller unsinniger oder verschenkter Momente, denen bei aller Ernsthaftigkeit ein gewisses Maß an Selbstironie oder Aufgelockertheit nicht geschadet hätte. Atmosphäre-Faktor: 25%

Wie man es – zumindest zu einem Großteil – richtig macht, zeigt dagegen Tarsem Singh mit Mirror Mirror. Einer optisch wie narrativ quietschbunten Verfilmung derselben Story, die sich zu keinem Zeitpunkt ernst nimmt, sondern im Gegenteil mit einigen Elementen des Märchens wie dem vergifteten Apfel geschickt spielt. Letztlich hätte noch mehr Anarchie dem Film gut getan, überzeugt er doch gerade in seinen Gaga-Momenten. Warum das Finale so in den Sand gesetzt wurde, bleibt zwar rätselhaft, aber der herrliche Bollywood-Abspann macht dann wieder ordentlich Spaß und passt zur vorherigen Tonalität. Atmosphäre-Faktor: 75%

Fazit

Tarsem wusste, was er erzählen wollte und wie er es erzählen wollte. Über weite Strecken hat dies auch perfekt funktioniert. Dagegen kommt Rupert Sanders’ Film als Kuddelmuddel daher, das zwar erfolgreicher an den Kinokassen lief, bei dem der Regisseur aber aufgrund anderer Umstände nicht mehr beim kolportierten Sequel mit an Bord sein wird. Die Frage, welches der schönste Schneewittchen-Film im Land ist, lässt sich somit nach einem klaren 8:3-Sieg aus dem Head-to-Head-Direktvergleich ziemlich eindeutig beantworten. Winner by defeat: Mirror Mirror!

2 Kommentare:

  1. Sehr schöne Besprechung! Wirklich unterhaltsam geschrieben und obwohl mich beide Filme nicht interessieren, habe ich sie komplett gelesen. Besonders über die generelle Dualität von Hollywood-Ideen könnte man bestimmt ein ganzes Buch verfassen...

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    1. Dabei glaube ich, dass dir MIRROR MIRROR ganz gut gefallen könnte.

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