15. April 2010

Män som hatar kvinnor

Read it and weep, Kalle Blomkvist…

Man sollte sich nichts vormachen. Kann etwas, das Begeisterungsstürme in mehreren Ländern gleichzeitig auslöst, wirklich von qualitativer Sonderklasse sein? Sind die Menschen dafür bekannt, unisono etwas, das tatsächlich „sehr gut“ ist, anzuerkennen? Sicher, Harry Potter ist eine bewundernswerte Reihe über Phantasie, die Tausende Kinder (wieder) zum Lesen animierte. Aber aus literarischer Sicht merkt man eben doch, dass es von einer arbeitslosen Hausfrau geschrieben wurde. Auch Dan Browns Bestseller The Da Vinci Code liest sich wie die Arbeit eines Stümpers, was nichts damit zu tun hat, dass weltweit 80 Millionen Kopien von dem Roman verkauft werden konnten. Soweit ist es mit Stieg Larssons Millennium-Trilogie dann noch nicht, die als Paket lediglich auf 21 Millionen verkaufte Exemplare kommt. Aber deshalb nicht minder euphorisch von der Masse aufgenommen wurde. Man sollte sich aber nichts vormachen. Auch Larssons Schreibstil ist rudimentär und ausgesprochen simpel in seiner Semantik gehalten.

Wohl die einfachste Möglichkeit, möglichst viele Menschen anzusprechen. Wer will sich auch durch kafkaeske Sätze quälen, wenn es locker flockig aus der Hüfte kommt? Eine derartig erfolgreiche Reihe verlangt dann natürlich nach filmischer Umsetzung. Und eine europäische filmische Umsetzung - speziell aus Schweden, so scheint es in den letzten beiden Jahren - schreit nach einem amerikanischen Remake. Kaum erschien Män som hatar kvinnor, der in Deutschland Verblendung und im Englischsprachigen Raum The Girl with the Dragon Tattoo (zwei gänzlich dämliche Titel, von denen einen bescheuerter ist als der andere) heißt, im vergangenen Monat nun also in Großbritannien und den USA, folgten bereits die ersten Meldungen über ein geplantes Remake. Namen wie David Fincher, der zuletzt einen Film mit Pop-Star Justin Timberlake gedreht hat, machten die Runde. Schweden ist en vogue in Hollywood, wo Matt Reeves, Inszenator von Cloverfield, mit Let Me In gerade das Remake zu Låt den rätte komma in beendet hat.

Die Geschichte von Män som hatar kvinnor ist dabei trotz ihrer fast 700 Seiten relativ simpel. Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) ist Journalist für das Blatt „Millennium“ und damit eine Art Alter Ego von Stieg Larsson selbst. Als er wegen Verleumdung zu drei Monaten Haft verurteilt wird, weil er (scheinbar) fälschlicherweise dem Industriellen Wennerström Waffenhandel unterstellte, verbringt er das letzte halbe Jahr vor Haftantritt damit, einem anderen Industriellen, Henrik Vanger (Sven-Bertil Taube), bei dessen inzwischen vierzigjähriger Recherche bezüglich des Schicksals seiner verschwundenen Nichte Harriet (Ewa Fröling) zu unterstützen. Hilfe erfährt Blomkvist, Spitzname „Kalle Blomkvist“, dabei von der misshandelten Hackerin Lisbeth Salander (Noomi Rapace), die wiederum ursprünglich von Vanger engagiert wurde, um herauszufinden, ob Blomkvist zu Recht gegen Wennerström ermittelt hatte. Vangers einziger Hinweis an den Enthüllungsjournalisten: Die Ursache für Harriets Verschwinden findet sich wohl in der Familie.

Ein Mann, eine Frau. Filme sind auch nur Menschen - oder so ähnlich -, weshalb der Blomkvist und die Salander dann auch ziemlich schnell Körperflüssigkeiten austauschen. Ein Aspekt, der wohl wie Salanders eigener Handlungsstrang um ihren juristischen Vormund, den perversen Anwalt Bjurman (Peter Andersson), und ihre in zaghaften Rückblenden angedeutete schwere Kindheit Kostproben für die kommenden Teile Flickan som lekte med elden (a.k.a. Verdammnis/The Girl Who Played with Fire) und Luftslottet som sprängdes (a.k.a. Vergebung/The Girl Who Kicked the Hornest’s Nest) darstellen. Für Niels Arden Oplevs Verfilmung des ersten Teiles als Stand-Alone wirken Salanders Abenteuer jedoch nur bedingt interessant und fallen letztlich denselben Problemen zum Opfer, die der Film in seinem vierten Akt entwickelt. Bis dahin und somit im Rahmen seiner eigentlichen Geschichte und derer drei Akte, ist Män som hatar kvinnor durchaus ein spannender europäischer Thriller und dies trotz seiner konstruierten Handlung.

Natürlich muss Blomkvist in wenigen Tagen schaffen, was der Polizei in vier Jahrzehnten nicht gelang. Ein narratives Element, das genauso verzeihlich ist, wie die fehlende Erklärung für Salanders Interesse an Blomkvist. Letzteres vielleicht auch nur ebenso Material für die kommenden Filme, aber wie bereits angesprochen ein Makel für die hier alleinstehende Handlung. Was als Harriets Geschichte beginnt, verliert sich dann in der Titelgebenden Prämisse: Männer, die Frauen hassen. Die beiden ungleichen Ermittler stoßen auf Serienmorde, die weitreichende Folgen haben. Weniger dramatisch inszeniert als Browns Da Vinci Code, sind sich die ermittlerischen Recherchen nicht unähnlich. Die Blomkvists und Langdons dieser Welt sehen eben das, was die Regierungsapparate nicht entdecken. Sonst würden sie auch Mulder heißen. Die Exposition der Mordserie, die dafür sorgt, dass man Harriet beginnt zu vergessen, kann daher nach über anderthalb Stunden im Grunde auch nur in einer unzufriedenstellenden Auflösung münden.

Diese wäre verschmerzbar, würde Niels Arden Oplev bzw. Stieg Larsson sich nicht bemühen, sich nach diesem Nesselsitz noch weiter in jenem Unkraut zu wälzen. Denn eigentlich ist die Geschichte erzählt, doch Larsson baut eine weitere Wendung ein, die den Film in einem unnötigen vierten Akt münden lässt. Fortan wird das dargebotene Szenario mit jeder neuen Enthüllung, jeder fortlaufenden Minute, lächerlicher und verkommt zu einer Selbstdemontage, wie man sie selten miterlebt hat. Bedauernswert, dass man es nicht nach hundert Minuten gut sein lässt und sich mit einem spannenden Thriller verabschiedet, sondern stattdessen in einem Meer aus billigen Enthüllungen verliert, die entgegen der zuvor fruchtlosen Ermittlung nun unwahrscheinlich zügig wie eine Zeitungsbeilage aus dem Film heraus purzeln. Ein Aspekt, der Män som hatar kvinnor im Nachhinein ausgesprochen schadet. Kann etwas, das Begeisterungsstürme in mehreren Ländern gleichzeitig auslöst, wirklich von qualitativer Sonderklasse sein? Scheinbar nicht.


5.5/10

4 Kommentare:

  1. Jup, völliger Durchschnitt. ZDF-Film am Sonntag.

    AntwortenLöschen
  2. Ziemlich genau die Kritik, die ich von dir nach deinem Kommentar erwartet hatte. Aber meine Meinung dazu kennst du ja... ;)

    AntwortenLöschen
  3. Wenn das das Niveau eines ZDF Films am Sonntag ist, dann sollte ich wohl Sonntags ins ZDF einschalten. Ich find den Film super ;)
    Da haben mich deine Kritikpunkte weniger gestört, hat mich sehr, sehr gut unterhalten =)

    AntwortenLöschen