6. Juni 2008

X-Men

What do you say we give the geeks another chance?

In den 1970er Jahren entstanden die größten und erfolgreichsten Superhelden des Marvel-Verlags, darunter Spider-Man, Hulk oder die X-Men. Dabei sind die X-Men etwas jünger als die beiden genannten Kollegen, wenn auch nur ein Jahr. Im Jahr 1963 erschufen Stan Lee und Jack Kirby eine Gruppe Mutanten, die die Menschheit vor einer feindlich gesinnten Gruppe anderer Mutanten zu beschützen versucht. Zu Beginn lief die Serie jedoch etwas schleppend und vermisste noch ihr heute bekanntestes Mitglied: Wolverine. Der mysteriöse Einzelgänger stieß erst in Ausgabe 94 zu den X-Men, wobei er sein Debüt zuvor in einer Ausgabe des Hulk feierte. Inzwischen, und dies nicht erst durch die Kinotrilogie von 20th Century Fox, steht Wolverine jedoch stellvertretend für die X-Men.

In ihrer Ursprungsformation bestanden die X-Men aus Professor X, Cyclops, Jean Grey, Storm, Angel, Beast und Iceman. Interessanterweise markieren die X-Men die einzige Marvel-Serie, die seit ihrer Entstehung durchgehend veröffentlicht wird - im Gegensatz zu Spider-Man, den Fantastic Four oder Hulk. Was die X-Men dabei von den anderen Marvel-Superhelden unterscheidet, sind ihre Kräfte. Denn diese sind im Gegensatz zu Spider-Man oder Hulk kein Unfallrsultat, sondern Mutationen im Zuge der Evolution. Die X-Men sind eine Minderheit, die einen Sprung in der DNS-Kette erfahren hat, der ihnen ihre individuellen Fähigkeiten beschert. Daher können die Mutanten niemandem die Schuld für ihr Schicksal zuschieben, sondern ihr Dasein ist letztlich schlichtweg ihr Schicksal.

Angesichts der Popularität der X-Men, war eine Verfilmung seit jeher im Gespräch. In den späten Achtzigern begannen die Gespräche für eine Adaption und wie zur damaligen Zeit üblich, fiel hierbei auch der Name von Tim Burton, der mit seinen Batman-Filmen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen sollte. Damals sicherte sich Carolco Pictures die Rechte an den Marvel-Mutanten. Ebenjene Firma, die unter anderem hinter der Rambo-Trilogie stand und in James Cameron einen bekannten Schirmherren hatte, der hier als Produzent fungieren sollte (sich aber später Spider-Man zuwandte). Carolco spielte für seinen Film mit einigen bekannten Namen, darunter für Cyclops (Michael Biehn, Vince Vaughn, Edward Norton), Rogue (Natalie Portman) oder Storm (Angela Bassett).

Mit entscheidend schien schienen jedoch die Rollen von Jean Grey und Wolverine zu sein, rankten sich um Erstere Darstellerinnen wie Julianne Moore, Charlize Theron oder Ashley Judd. Für Wolverine waren neben Keanu Reeves auch Mel Gibson und Russell Crowe im Gespräch. Letztlich wurde es der Schotte Dougray Scott, der aufgrund seines Engagements in Mission: Impossible II jedoch absagte. Den Zuschlag erhielt dann der australische Mime Hugh Jackman, der mit seiner Darstellung des charmanten Grantlers den Durchbruch schaffen und zu seinem heutigen Starruhm aufsteigen sollte. Wie sein Comic-Pendant ist auch Jackman inzwischen das filmische Gesicht der X-Men geworden und erhält 2009 unter der Regie von Oscarpreisträger Gavin Hood sein eigenes Sequel.

Noch mehr Chaos als bei der Besetzung gab es lediglich beim Drehbuch zum Film. Im Laufe der Jahre wurden 25 Fassungen geschrieben, eine der ersten stammte vom Oscarprämierten Andrew Kevin Walker (Se7en) aus dem Jahr 1994. Sein Drehbuch wurde anschließend von John Logan (Gladiator) überarbeitet, das wiederum bei Michael Chabon (Wonder Boys) landete. Dieser konzentrierte sich ganz auf die innere Struktur der X-Men und ersparte sich die Anwesenheit von Antagonisten. Verständlich, dass dies das Studio wenig erfreute, weshalb das Skript zur Überarbeitung an Ed Solomon (Men in Black) weitergereicht wurde. Als man mit dessen Fassung ebenso unzufrieden war, kam Joss Whedon (Firefly) an Bord, der der Einfachheit halber ein vollkommen neues Drehbuch schrieb.

Inzwischen war nach einiger Überzeugungsarbeit Bryan Singer als Regisseur engagiert worden, der mit Whedons Skript zu seinen The Ususal Suspects-Partner Christopher McQuarrie ging, der die bisherigen Entwürfe überarbeitete. Am Ende vermerkte die Writers Guild of America lediglich David Hayter als Drehbuchautoren, da dieser als Letztes am Drehbuch gewerkelt hatte. Abgesehen von einigen charakterlichen Änderungen, die gleich angesprochen werden, muss man jedoch eingestehen, dass X-Men zu jenen Comic-Verfilmungen gehört, die ein funktionierendes und stringentes Drehbuch besitzen. Diesem gelingt es außerdem den sozialkritischen Subtext der Vorlage nicht nur geschickt, sondern auf die gesamte Trilogie übertragen sogar sehr bemerkenswert zu adaptieren.

Was die X-Men zusätzlich von den anderen Superhelden unterscheidet, ist ihr Team-Charakter. Die Folge ist eine Unmenge an Figuren, was eine Kinoauswertung nicht erleichtert. Singer verzichtet daher auf viele X-Men und beschränkt sich, mit unterschiedlicher Charaktertiefe, auf einige von ihnen. Dennoch kommen prominente X-Men wie Cyclops (James Marsden) und Storm (Halle Berry) unter die Aufmerksamkeitsdefiziträder der Hollywoodmachinerie, nehmen sie neben Wolverine (Hugh Jackman) doch lediglich eine Sidekick-Funktion ein. Noch härter trifft es die Partei der Antagonisten, bei denen nur Magneto (Ian McKellen) ausführlicher beleuchtet wird, während Mystique (Rebecca Romijn), Toad (Ray Park) und Sabretooth (Tyler Mane) austauschbare Handlanger repräsentieren.

Besonders die ambivalente Beziehung zwischen Wolverine und Sabretooth geht X-Men leider völlig ab. Neben Jackmans Charakter stellt Singer auch Jean Grey (Famke Janssen) ausführlicher vor und bildet im Laufe des Films eine perfekte Einleitung für den Trilogieverlauf (den Singer selbst dann nicht mehr vollendete). Ansonsten bekommt man ein gewisses Verständnis für von Professor X (Patrick Stewart) und Rogue (Anna Paquin). Letztere wird vor ihrem Aufeinandertreffen mit Ms. Marvel gezeigt, sodass sie nur über einen Teil ihrer späteren Kräfte verfügt. Sie hat natürlich ihre Funktion im Finale, doch zu Lasten ihrer eigenen (Comic-)Persönlichkeit. Zugleich presst Singer sie in die Rolle von Kitty Pride, wenn Paquin als Protege und emotionales Anhängsel von Wolverine dargestellt wird.

Der Subtext von X-Men ist dabei durchaus sozialkritisch motiviert, behandelt die Serie ganz zentral Themen wie Rassismus, Diskriminierung, Genozid und Faschismus. Erfreulich, dass dies auch Einzug in Singers Film findet, der sich primär für den Diskriminierungsfaktor interessiert. Wenn Senator Kelly (Bruce Davison) im Parlament eine Liste mit denunzierten Mutanten zu Tage fördert und vehement deren Demaskierung verlangt, ist dies ein gelungenes Spiegelbild der McCarthy-Ära. Das Mutanten-Thema wird im Film folglich sozio-politisch behandelt, und Magneto scheint sich mit dem Urteil abgefunden zu haben, das nur den offenen Konflikt als Lösung bietet. Die gute Seele repräsentiert sein alter Freund und Weggefährte Professor X, der an den positiven Wandel der Menschheit glaubt.

Hier divergiert der Film wohl am meisten zu Spider-Man, werden die Mutanten doch nicht mit Paraden bejubelt, sondern müssen im Untergrund arbeiten und eine Gesellschaft beschützen, die sie nicht akzeptiert, sondern verachtet. Gerade weil die X-Men verhasst sind, imponiert ihr Edelmut mehr als bei den anderen Comicfiguren. Bedauerlicherweise versäumt es die Trilogie mit den Marauders auf einen weiteren Subtext einzugehen. Bei den Marauders handelt es sich nämlich um eine Gruppe von Mutanten, die aufgrund ihrer anatomischen Mutationen im Gegensatz zu Jean Grey oder Rogue noch verdeckter leben muss. Immerhin wurde es geschafft, manche der Marauders zum Treffen der Bruderschaft der Mutanten im Trilogie-Abschluss X-Men: The Last Stand zu integrieren.

Die X-Men stellen quasi stellvertretend für die Afroamerikaner während der Bürgerrechtsfrage der 1960er Jahre. Bezeichnenderweise sind unter den X-Men wiederum selbst kaum Farbige, nimmt Storm hier eine Ausnahmestellung ein. Doch Singer greift nicht nur soziopolitische Themen auf, sondern er spickt X-Men auch mit einigen Referenzen, natürlich zur Comic-Serie, aber auch zu The Phantom Menace oder Enter the Dragon. Zur Verfügung standen ihm dabei moderate 75 Millionen Dollar, während Sam Raimi für Spider-Man immerhin fast das Doppelte erhielt. Weltweit gelang es dem Film dann auch nur bescheidene 300 Millionen Dollar einzuspielen, die sich in keiner Weise mit dem Erfolg von Spider-Man (Einspiel: 821 Mio.) messen können, sondern lediglich mit Ang Lees Hulk.

Dabei ist X-Men ein starker Film, das Drehbuch trotz seiner Querelen, überzeugend und auch die spärlich eingesetzten Effekte durchaus glaubwürdig. Lediglich in der Mitte verzeichnet Singers Film eine leichte Schwächephase, namentlich die zweite Fluchtszene von Rogue. Trotz allem macht der Film über weite Strecken ungemein Spaß, besitzt Tempo und Tiefe. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass X-Men maßgebend verantwortlich für die neue Welle an Comic-Verfilmungen war. Selbst wenn Blade zwei Jahre zuvor und Spider-Man zwei Jahre danach auch ihren Teil beitrugen. Fans vermissen vielleicht die Vertiefung einiger Nebenfiguren (beziehungsweise Integration solcher Charaktere wie Gambit), dennoch zählt Bryan Singers X-Men zu den wenigen gelungenen Genrebeiträgen.

8.5/10

11 Kommentare:

  1. d'accord, aber "lediglich 75 Millionen Dollar standen Singer zur Verfügung."
    Hört sich an als wäre das ein billiges B-Movie

    AntwortenLöschen
  2. Ich fand den Film auch ziemlich gelungen, wenngleich mir "X2" noch ein Stück besser gefällt. Den dritten Teil habe ich bislang noch gar nicht gesehen.

    AntwortenLöschen
  3. Die X-Men sind quasi die Afro-Amerikaner in der heutigen amerikanischen Gesellschaft, diskriminiert und erwünscht.

    Das klingt etwas platt, finde ich.

    Ansonsten Zustimmung, wobei dem Film m.E. wirklich der Makel anhaftet, sich nur wie ein Pilot anzufühlen. Alles wird lediglich angerissen, eingefphrt, aber richtig zur Sache geht es noch nicht. Der zweite löst aber jedes Versprechen haushoch ein und überflügelt diesen hier um Längen, auch weil er den Subtext wesentlich feinfühliger ausbaut.

    AntwortenLöschen
  4. Feines Superhelden Kino. Gerade das Understatement gefällt mir hier, die Charaktere stehen im Vordergrund, nicht ausufernde Action und Effekthascherei. So muß es sein.

    AntwortenLöschen
  5. 75 Millionen sind schon recht gering für dieses Comic-Action-Vehikel. War auch eher vorausgreifend gedacht, kostete Spiderman 2 ja bereits 200 Millionen.

    Lauter "X2"-Fanboys? Da krieg ich es ja jetzt schon mit der Angst zu tun, was für Vorwürfe ich mir bei der Besprechung dann anhören darf *muaha*

    AntwortenLöschen
  6. Joa, mag die X-Men auch sehr. Sowohl die Charaktere als auch die Umsetzung. Nur Teil drei schwächelt. Ansonsten sehenswerte Trilogie. Ist allerdings schon etwas länger her, dass ich einen Teil gesehen habe.

    AntwortenLöschen
  7. Komisch, den zweiten fand ich nicht so pralle, erst der dritte hat mir wieder richtig Spaß gemacht.

    AntwortenLöschen
  8. Der dritte war doch völlig blamabel. Wesentlich schlechter inszeniert als die Vorgänger und der Subtext wird zur Staffage.

    Na ja, du musst ja immer aus der Reihe tanzen. ;)

    AntwortenLöschen
  9. Subtext, Subtext, Subtext. Immer diese Suche nach Tiefgründigkeit im Blockbuster Kino;) X-Men2 ist doch im Finale der größte Witz;):D

    AntwortenLöschen
  10. Sehr interessant diese Einführung in das Thema mit dem ganzen "Chaos" um Drebücher, Regisseure und Schauspieler. Umso erfreulicher, dass aus X-Men dann doch letzlich der starke Film geworden ist, als der er sich heute darstellt.

    AntwortenLöschen
  11. der dritte krankt nicht mal so sehr an der Inszenierung, vielmehr am unterirdischen Buch. So oder so fällt der zu den ersten beiden wesentlich ab.

    Das Finale von X2 war doch klasse.

    AntwortenLöschen