16. Februar 2008

Vantage Point

Stop! Rewind that.

Das der amerikanische Präsident nicht gerade zu den beliebtesten Menschen dieses Planeten gehört, das wissen wohl die meisten Menschen, und manchmal ist die Abneigung gegen diesen so groß, dass es Personen gibt, die einen Mordanschlag auf ihn verüben. Siebzehn Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ist dies der Fall gewesen, in vier Fällen mit positivem bzw. negativem Ausgang. Was bezweckt man mit einem Attentat auf den mächtigsten Mann der Welt? Gegen die Politik eines Landes kann man dadurch nicht rebellieren, lediglich ein Lebenszeichen seines Widerstandes abgeben. Ein Attentat auf den amerikanischen Präsidenten nahmen sich auch die Kinoneulinge Barry Levy als Drehbuchautor und Pete Travis als Regisseur vor. In ihrem Action-Thriller Vantage Point besucht der US-Präsident Ashton (William Hurt) ein Gipfeltreffen bezüglich des Krieges gegen den Terrorismus in Salamanca, wo er sich mit dem Bürgermeister in der abgeschlossenen Plaza Mayor vor versammelter Zuschauermenge trifft. Währenddessen werden die Strassen vor der Plaza mit Protestgegner gegen Ashton gesäumt, von den Medien rund um Sendeleiterin Rex Brooks (Sigourney Weaver) jedoch ignoriert. Die Kritik am amerikanischen System ist für das Fernsehen nicht interessant, das macht sie auch gegenüber ihrer Reporterin Angie (Zoё Saldaña) klar, die sich einen Hinweis vor laufender Kamera über die Stimmung der Menge nicht verkneifen konnte. Man bekommt hier als Zuschauer eine entscheidende Szene zu sehen, die vielleicht die einzige Antwort auf all die Fragen bereitstellt, die Travis’ Film im Begriff ist loszutreten.

Bevor sich der Zuschauer versieht, wird das gesamte Geschehen nochmals auf Anfang zurückgespult, diesmal aus dem Blickwinkel eines anderen Beteiligten. Dies ist die Idee und das Konzept, für das Vantage Point steht, resultierend aus einem fünfzig Jahre alten japanischen Film. 1950 gewann Regisseur Akira Kurosawa für Rashōmon Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig und zog somit die Augen der westlichen Filmwelt zum ersten Mal gen Osten. Sein Film beschäftigte sich mit dem Mord an einem Ehemann und reflektierte die Handlung über vier Augenzeugenberichte, sowohl durch den vermeintlichen Täter als auch das Opfer. Die Academy honorierte dies mit einer Nominierung zum besten fremdsprachigen Film und etablierte Kurosawa als einen der Regisseure unserer Zeit. Dieselbe Idee liegt nunmehr „8 Blickwinkel“ zugrunde, nur mit der Ausnahme dass es das Publikum mit der doppelten Anzahl von Blickwinkeln und weitaus mehr Action zu tun bekommt. Angepriesen wird der Film dabei mit dem Untertitel „8 Fremde, 8 Blickwinkel, 1 Wahrheit“, was, wie man am Ende des Filmes feststellen wird, nicht ganz den Tatsachen entsprechen dürfte. Zumindest drei der beteiligten Personen kennen sich, denn man erlebt das Attentat aus der Sicht von Ashton selbst, wie auch seiner beiden Secret Service Agenten Barnes (Dennis Quaid) und Taylor (Matthew Fox). Außerdem spielt auch der amerikanische Tourist Howard Lewis (Forest Whitaker) eine wichtige Rolle, denn er hat – wie einst Abraham Zapruder beim Kennedy-Attentat – die Schüsse auf den Präsidenten mit einer Kamera gefilmt und wird daraufhin in das Geschehen hineinverwickelt. Zudem gibt es noch ein Pärchen und mögliche Verdächtige deren Sicht wichtig ist.

Die Produzenten und Beteiligten von Vantage Point loben die Rashōmon-Struktur ihres Filmes über alle Maßen, denn man könne den Film nur verstehen, wenn man alle acht Blickwinkel kennt, da jeder einzelne ein Puzzlestück des ganzen sei. Dumm nur, dass diese Rechnung nicht aufgeht, denn schon in der Mitte des Filmes beginnt man spätestens zu wissen wie der Hase läuft, wer mit wem und wieso ergibt sich daraus von selbst. Hier hätte man mehr Einfallsreichtum beweisen können und einfach einen anderen Weg wählen sollen, als man es getan hat. Denn das problematischste an Travis’ Film ist dass er durch seine Handlung und seine Auflösung unwahrscheinliche viele Fragen aufwirft, bedauerlicherweise jedoch keine einzige davon beantwortet, zumindest nicht zufrieden stellend. Die ausgesuchte Geschichte funktioniert aber lediglich dann glaubwürdig, wenn man sie absichert, verbindet, erklärt, nachvollziehbar gestaltet. Einfach drauflos schreiben, in der Hoffnung überraschende Wendungen zu erzielen reicht da leider nicht aus. Die Auflösung enttäuscht ohne dabei per se schlecht zu sein, wäre man intensiver auf die Thematik des Handelns eingegangen. Hierbei hätten Rückblenden geholfen und eine Dehnung der einzelnen Charaktergeschichten, denn der Film muss nicht zwingend eine Lauflänge von neunzig Minuten haben, 15 Minuten mehr hätten ihm sehr gut getan, wenn dafür die Figuren und ihre Motivationen mehr Tiefe verliehen worden wäre.

Dabei ist der Hintergrund des Filmes der, dass niemand der ist, der er vorgibt zu sein. So gibt es überhaupt kein Attentat auf den Präsidenten, da dieser zu dem öffentlichen Auftritt ein Double geschickt hat und es stellt sich mit fortlaufender Dauer heraus, dass nicht die Frage ist, wer etwas mit dem Attentat zu tun hat, sondern wer eigentlich nicht. Held der Geschichte ist dabei der emotional labile Geheimdienstagent Barnes, der zum ersten Mal wieder im Einsatz ist, nachdem er vor einem Jahr Ashton das Leben vor einem anderen Attentat gerettet hat. Seine Begleitung, wie sich herausstellen wird, ist nicht ohne Hintersinn, so wie das meiste was geschieht nicht ohne Hintersinn ist. Und hier steckt die Crux des ganzen, denn das Attentat und seine Details sind so ausgearbeitet und hintersinnig, dass alles ziemlich unglaubwürdig wirkt und die Logik gerne mal ad absurdum geführt wird. An Action mangelt es Vantage Point jedoch nicht, auch wenn die hauptsächliche Action – das Attentat und seine Nachwehen – sich wiederholen. Denn Travis spult nach jedem Blickwinkel die Szenerie zurück, zurück zu zwölf Uhr, die Ausgangsbasis für den Film. Während Figuren wie Rex Brooks, Frank Barnes, Präsident Ashton, Howard Lewis oder der spanische Polizist Enrique (Eduardo Noriega) ihre Blickwinkel ausgiebig wiedergeben dürfen, werden die von Veronica (Ayelet Zurer), Suarez (Saïd Taghmaoui) und Javier (Edgar Ramirez) in ein einzelnes Kapitel komprimiert. Wenn man berücksichtigt, dass Sigourney Weaver kaum zu sehen ist, hätte man sich durchaus mehr Fokus auf Charaktere wie Kent Taylor oder andere gewünscht.

Seine Arbeit an Vantage Point stellt das erste Kinodrehbuch von Barry Levy dar und auch für Fernsehregisseur Pete Travis ist es der erste Ausflug auf die große Leinwand. Vielleicht findet sich hier die mangelhafte Ausarbeitung der Figuren, denn wie nah sich Figuren wie Barnes und Taylor stehen, erfährt man lediglich aus dem Presseheft („wie Brüder“, findet man dort). Diese und ähnliche andere Eigenschaften sucht man im Film vergeblich, denn dieser konzentriert sich allein auf seine Handlung und vernachlässigt dabei seine Charaktere. Da er sich jedoch am Ende wiederum auf diese beruft, kann seine Geschichte nicht anders als einbrechen. So gelingt es dem Action-Thriller tatsächlich den überbewerteten Rashōmon noch zu unterbieten, obschon die Actionszenen, Kameraführung und Schnitt bestens bearbeitet sind. Letzterer im Übrigen vom Ex-Regisseur Stuart Baird, nach erfolglosen Ausflügen ins Kino wieder an das Schnittpult zurückgekehrt. Am besten gelungen und das Herzstück des Filmes ist die exzellente Musik vom Isländer Atli Örvarsson, die jede Szene passend und äußerst spannend untermalt. Auch das Darstellerensemble weiß zu überzeugen, selbst wenn manche der Darsteller (5 US-Stars, 4 international-etablierte) durch ihre komprimierten Rollen nicht ihr ganzes Talent abrufen können. Vantage Point will vieles sein, ohne dem gerecht zu werden – das traurige daran ist, dass der Ansatz dazu da war. So ist der Film jedoch nicht mehr als ein technisch sehr gut gemachter doch inhaltlich durchschnittlicher Thriller mit Starensemble und 24-Feeling.

4/10

1 Kommentar:

  1. Noch nie etwas von gehört. Dem Fazit zu urteilen, scheint das so auch in Ordnung zu gehen.

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