31. Januar 2016

Leaving Las Vegas

Like the kling klang king of the rim ram room.

In wenigen Wochen geht sie wieder los, die Sehnsucht der Stars nach einem Oscar. Allen voran Leonardo DiCaprio lechzt nach fünf erfolglosen Anläufen nach der Goldstatue als Bestätigung seines Schaffens und Status’ – dabei ist der Oscar oft weniger Segen denn Fluch. Was wurde aus Adrien Brody und Roberto Benigni oder aus Halle Berry und Jennifer Hudson nach ihrem Gewinn? Jüngere Zuschauer erinnern sich vermutlich gar nicht einmal daran, dass Nicolas Cage auch zum erlesenen Kreis der Prämierten zählt. Der Schauspieler, der sich heuer primär auf dem DTV-Markt in flachen B-Movies – neben Kollegen wie Hayden Christensen und Veronica Ferres– wiederfindet, reckte die Statue vor rund 20 Jahren für Leaving Las Vegas in die Höhe.

Darin spielt er Ben, einen Drehbuchautor in seinen Dreißigern, der beruflich wie körperlich am Ende angelangt ist – dem Alkohol sei Dank. Frau und Kind haben ihn bereits verlassen, ob Bens Alkoholismus dafür der Auslöser war oder umgekehrt ist der Figur selbst nicht mehr klar. Als er schließlich von seinem Filmstudio gekündigt wird, bildet dies den letzten Anreiz für einen wohl schon länger unterbewusst gefassten Plan: sich ins Jenseits zu trinken. Mit seiner Abfindung im Gepäck macht sich Ben auf nach Las Vegas, wo er auf die Prostituierte Sera (Elisabeth Shue) trifft. Jeder für sich eine gebrochene und vom Leben gebeutelte Seele, entwickeln beide über die nächsten Tage und Wochen eine romantische Beziehung zueinander.

Über die Hintergründe der Figuren verrät Regisseur und Drehbuchautor Mike Figgis (in beiden Kategorien seinerzeit ebenfalls Oscar-nominiert) dem Publikum nicht viel. Die Umstände für Bens Alkoholismus bleiben offen, genauso die für Seras Profession. Dabei schneidet Leaving Las Vegas gerade im Fall von Letzterer bisweilen zu Psychiaterterminen, die von der Figur wahrgenommen werden, in denen sie aber nicht auf ihre Vorgeschichte eingeht. So wandelt Sera Abend für Abend über die Straßen von Vegas und bietet ihren Körper für 30 Minuten à $300 (und $500 im Anschluss daran) an. “I’m an equation most of the time”, erläutert sie ihrem Psychiater, der vermutlich in einer ähnlichen Preisklasse wie die Prostituierte arbeitet.

Die Beziehung zwischen Ben und Sera wird mit kleinen Momenten erklärt. So sehnt er sich weniger nach Sex mit ihr, sondern begnügt sich mit ihrer Gesellschaft. Eine simple Geste, die bei der von ihrem Zuhälter Yuri (Julian Sands) misshandelten Frau emotional viel bewirkt. “The only thing I have to come home to is a bottle of mouthwash to get the taste of cum out of my mouth”, fasst Sera es selbst zusammen. Und gesteht: “I’m tired of being alone. So tired.” Es ist ihre Einsamkeit, die Ben und Sera zusammenführt. Er akzeptiert ihren Beruf und besteht darauf, ihre Miete zu übernehmen, als sie ihn bei sich einquartiert. Und sie wiederum toleriert nicht nur seinen Alkoholismus, sondern schenkt ihm zum Einzug obendrein einen Flachmann.

“It looks like I’m with the right girl“, meint Ben da als Kompliment. Dabei lässt Sera später durchaus durchblicken, dass sie die Hoffnung hegt, ihre Beziehung könnte Ben von seinem Suizidplan abbringen. Doch Ben hat seinen Entschluss bereits gefasst. Figgis lässt beide in seinem etwas unharmonisch wirkenden Schlussakt kurz getrennte Wege gehen und spart hierbei den von Cage sogar ganz aus. Es ist ein etwas unsauberer Abschluss einer Geschichte, die grundsätzlich nie vollends stimmig gerät. Angefangen mit Seras visuell wenig berauschend überblendeten Therapiesitzungen bis hin zu einem müden Subplot mit polnischen Gangstern, die zum Ende des ersten Akts des Films Seras Zuhälter Yuri aus der Handlung befördern.

Sie hatte Ben zuvor auf seinem Weg nach Las Vegas ebenso an einer Tankstelle getroffen wie Yuri in einem Pfandhaus. Zufallsbegegnungen, die völlig irrelevant sind, wie auch Yuri als Figur – er kriegt sowohl gewalttätige wie fürsorgliche Szenen mit Sera – luftleer im Raum hängen bleibt. Hinzu kommen offene Fragen wie die, wie sich Sera einen Psychiater leisten kann. Oder warum Ben mit Ausgaben von $300 pro Tag kalkuliert in vier Wochen zu sterben (inklusive seiner Abfindung und dem Verkauf seiner Uhr und seines Wagens besäße er dann keine $9,000). Weitaus ärgerlicher als die unfertige Figurenzeichnung und das etwas überrumpelnde Ende des Films gerät allerdings die musikalische Untermalung von Leaving Las Vegas.

Figgis, zugleich Komponist seines Films, steuerte zahlreiche Jazz-Stücke zu Bens Geschichte bei. Nur will Jazz als musikalische Begleitung eines Alkoholiker-Zerfalls in Las Vegas nicht wirklich passen und reißt mehr aus dem Geschehen raus als dass es einen in dieses hineinzieht. Gerät zumindest der Soundtrack zuerst erfreulich stimmiger, greift Figgis in der Folge fast ausschließlich auf melancholische Stücke von Sting zurück. Eine ärgerliche Entscheidung, die zumindest akustisch die Unstimmigkeit untermauert, die dem Film auch narrativ an mancher Stelle innewohnt. Zumindest darstellerisch überzeugt Leaving Las Vegas jedoch fast über seine gesamte Laufzeit hinweg dank der Leistung von Nicolas Cage und Elisabeth Shue.

Cage legte jedoch bereits hier wieder verstärkt seine Ticks solcher Filme wie Vampire’s Kiss an den Tag (nach Werken wie Guarding Tess), die er später zu seinem universellen Markenzeichen ausweiten sollte. Dennoch sind die Darbietungen der Hauptdarsteller fraglos das Qualitätsmerkmal eines Films, der inhaltlich nicht immer zu überzeugen weiß. Ungeachtet dessen, dass er seine Momente hat, beispielsweise wenn sich Ben und Sera miteinander verabreden, während im Hintergrund zwei Nonnen versuchen, mit Flyern die Sünder von ihren Vergehen abzubringen. Nach einer kurzen Karriere-Hochphase ist es um Cage nun wieder etwas ruhiger geworden. Aber der Mann braucht auch keinen Oscar, um zu den Stars seiner Zunft zu gehören.

6/10

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