26. Juni 2014

Fargo – Season One

What if you’re right and they’re wrong?

Wenn tatsächlich Filme mal einen TV-Ableger produzieren, dann in Regel einen in Animationsform. Aber auch Hits wie Ferries Bueller’s Day Off oder Highlander erhielten Fernsehformate, dass es aber eine TV-Version eines Films von Joel und Ethan Coen geben würde, war so nicht vorhersehbar. Immerhin sind die Werke der Brüder oft weitestgehend in sich abgeschlossen. Und dennoch schickte sich dieses Jahr Noah Hawley – der seine Meriten zuvor als Autor und Produzent bei Bones verdient hat – an, das coensche Kult-Meisterwerk Fargo als Miniserie umzusetzen. Die zehnteilige Serie ist nun einerseits ziemlich referentiell an den 1987er Film angelegt, zu dem sie ein Spin-off darstellt. Sie weicht jedoch auch ausreichend genug ab.

Spielte die Originalgeschichte in Minneapolis und Brainerd, Minnesota im Jahr 1987, wo der Autoverkäufer Jerry Lundegaard seine Ehefrau von zwei Schmalspurganoven aus Fargo, North Dakota entführen ließ, nur um von der schwangeren Polizeichefin Marge Gunderson überführt zu werden, setzt die Serie 19 Jahre später ein. Im Jahr 2006 treffen sich zufällig der maliziöse Verbrecher Lorne Malvo (Billy Bob Thornton) und der duckmäuserische Versicherungskaufmann Lester Nygaard (Martin Freeman) in einer Krankenhaus-Notaufnahme. Und treten aufgrund von Misskommunikation eine Lawine von Ereignissen los, die in den nächsten zwölf Monaten zahlreiche Menschen – schuldige wie unschuldige – das Leben kosten wird.

Plötzlich sind Lesters nervige Ehefrau und der Polizeichef von Bemidji, Minnesota tot – und Lester der Hauptverdächtige. Zumindest wenn es nach Polizistin Molly Solverson (Allison Tolman) geht. Von deren Thesen will der neue schusselige Polizeichef Oswalt (Bob Odenkirk) aber nichts wissen. Währenddessen ist Lorne Malvo bereits weitergezogen, zu seinem nächsten Opfer. Der bibeltreue Supermarkt-Magnat Stavros Milos (Oliver Platt) wird erpresst – für Malvo der Beginn eines perfiden Psychospiels. Seine Schatten wirft er jedoch auch auf den Straßenpolizisten Gus Grimly (Colin Hanks), der einen Fehler begeht und diesen wieder korrigieren will. Und auch an Fargo und dem dortigen Mafia-Kartell gehen die Ereignisse nicht spurlos vorbei.

Die Handlung ist somit weitestgehend eine andere zwischen Fargo, der Serie und Fargo, dem Film. Dafür ähneln sich einige Figuren ziemlich stark. So ist Martin Freemans Lester Nygaard ebenso deutlich an Jerry Lundegaard angelegt wie Allison Tolmans Molly Solverson an Frances McDormands Marge Gunderson. Und wenn später zwei Auftragskiller in Person von Adam Goldberg und Russell Harvard auf den Plan treten, wirken die wie weniger schusselige Versionen von Steve Buscemi und Peter Stormare. Bob Odenkirks Polizeichef erinnert derweil mehrfach an den armen Officer Lou aus dem Original, während Billy Bob Thorntons Lorne Malvo am ehesten in Anton Chigurh aus No Country for Old Men wohl sein Vorbild findet.

Wie dieser wirkt Malvo wie das wandelnde Böse, allerdings weniger als naturell denn willentlich. Lorne Malvo ist durchtrieben und bösartig – und auch deshalb das eigentliche Highlight von Noah Hawleys Fargo. Da darf er in Tieranekdoten seinen Gegenübern subversiv drohen oder diese in teils semantische Diskussionen verwickeln (Letztere erinnern erneut an Chigurh). Billy Bob Thornton spielt die Figur dabei bis zur Perfektion, was allerdings nicht allzu bemerkenswert ist. Denn generell agiert das Ensemble von Fargo am Limit, was auch der wie so oft brillante Martin Freeman veranschaulicht. Hinzu kommen starke Leistungen aus der zweiten Reihe, seien sie von Bob Odenkirk oder Kate Walsh als verwitwete, alkoholabhängige Ex-Stripperin.

Wirkt Fargo in den ersten Folgen noch ziemlich nah – fast zu nah – am Kinofilm, beginnt sich die Show ab der Mitte glücklicherweise verstärkt zu emanzipieren. Besonders in Person von Freemans Lester Nygaard, der in bester Nietzsche-Manier solange in den Abgrund geblickt hat, bis der sich in ihm selbst breit macht. Seine Entwicklung dürfte selbst Walter White zur Pastorentochter werden lassen, wenn er mehr und mehr zu einer Art Frankensteins Monster mutiert. Hawley selbst ordnet seine Serie einem klaren Gut-Böse-Schema unter, dessen helle Seite von den Gutmenschen wie Molly Solverson, ihrem Vater und Ex-Polizisten Lou (Keith Carradine) sowie Gus Grimly und dessen Tochter Greta (Joey King) verkörpert werden.

Man kann der Serie nun durchaus vorwerfen, dass die Nebenhandlungen mit Oliver Platt sowie Adam Goldberg und Russell Harvard nicht wirklich irgendwohin führen und dafür wiederum das Ende etwas überhastet abgespult wird. Dafür gewinnen die finalen Episoden enorm an Spannung, da zwar der Ausgang an sich in gewisser Weise vorhersehbar ist, nicht jedoch,wie er zustande kommt. Bemängeln ließen sich natürlich auch die zahlreichen Referenzen und Hommagen an die Werke der Coens. Diese stören mal mehr, mal weniger. So wird Marge Gundersons Finalpredigt wiederholt wie es auch Zitate zur Restaurant- und Parkhausszene gibt. Selbst das Schlussbild hat Noah Hawley eins-zu-eins für seine Serie übernommen.

Amüsanter sind dagegen die etwas subtileren Querverweise. Beispielsweise, wenn Malvo im Finale Morton’s Fork einen Gebrauchtwagen entwendet und dessen Kennzeichen (“DLR“) mit der Kamera eingefangen wird. Oder wenn das Haus von Lesters Bruder von seinem Schnitt her an das der Lundegaards angelehnt ist. Hinzu kommt eine geniale Plansequenz in Who Shaves the Barber? – selten wurde besser veranschaulicht, dass weniger in den meisten Fällen tatsächlich mehr ist. So unterhaltsam Billy Bob Thorntons Figur aber ist, zeigen sich gerade zu Beginn bereits erste Abnutzungserscheinungen seiner Charakterzüge. Glücklicherweise emanzipiert er sich jedoch wie Lester und Molly im Verlauf der Serie etwas von ihren coenschen Vorlagen.

Insofern ist Noah Hawleys Fargo im besten Sinne coenesk, wird die Serie doch von ihren Figuren bestimmt und von deren Widrigkeiten. Zu den besten Folgen zählen wohl Who Shaves the Barber? und A Fox, a Rabbit and a Cabbage, generell ist wie angesprochen die zweite Hälfte der Serie der ersten überlegen. Fargo ist dabei nicht nur etwas für Fans der Coens und des 1987er Films, die ganzen Zitate sind allerdings eindeutig für die Coen-Heads. In seiner Summe also kann die Fernsehverwertung des zweifachen Oscarpreisträgers somit als gelungen erachtet werden. Ob es allerdings wirklich einer zweiten Staffel – die wie True Detective neu strukturiert werden soll – bedarf, sei dahingestellt. Sehenswert ist Fargo aber allemal.

7.5/10

19. Juni 2014

Summer School

Who wants gum?

Für die meisten Menschen ist Mark Harmon vermutlich schlicht: NCIS’ Leroy Jethro Gibbs. Für mich dagegen ist er seit über 25 Jahren Shoop. Genauer: Freddy Shoop. In Carl Reiners Komödie Summer School gab Harmon vor 27 Jahren einen Sportlehrer, der von Phil Gills (Robin Thomas), dem Vize-Rektor seiner Schule, zum Englischdozent für einen Ferienkurs (engl. summer school) verdonnert wurde. Dabei wollte Shoop, ein Laisser-faire-Lehrer par excellence, eigentlich mit seiner Freundin nach Hawaii. Doch die Letzten bestraft das Leben – in diesem Fall sprichwörtlich. Will Shoop eine Festanstellung an seiner High School, muss er den Ferienkurs übernehmen. Auf den hat der Sportlehrer aber genauso wenig Lust wie seine Schüler.

Summer School avancierte mit seiner simplen Prämisse letztlich in den USA zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres 1987. Mit einem Einspiel von 35 Millionen Dollar landete man knapp hinter Mel Brook’s Spaceballs, ließ dafür aber unter anderem Steven Spielbergs Empire of the Sun, Joe Dante’s Innerspace sowie den als Kult verehrten The Princess Bride hinter sich. Roger Ebert mag darüber zum Jahresende den Kopf geschüttelt haben, gab er Summer School zur damaligen Zeit doch nur einen halben Stern und warf dem Film vor, witzlos zu sein und keine Existenzberechtigung zu haben. Harte Worte, wenn man bedenkt, dass dies derselbe Kritiker ist, der Alex Proyas’ Knowing einen der besten Filme des Jahres 2009 nannte.

Grundsätzlich verdient Summer School natürlich nicht mehr oder weniger seine Existenz wie jeder andere Film. Und was man aus ihm zieht, hängt vermutlich auch davon ab, was man in ihn hineinbringt. Am Ende ist es ein Film, der alle seine Protagonisten weiterentwickelt, die Figuren ihr wahres Potential erkennen lässt. Sei es Mark Harmons Freddy Shoop, der zwar Lehrer ist, aber erst lernt, was dies wirklich heißt. Oder seien es seine Schüler, allen voran wohl der Maskenafficionado und Alkoholiker Francis Gremp (Dean Cameron), der sich lieber “Chainsaw” nennt – nach seinem Lieblingsfilm, dem Carl Reiner zu Beginn des dritten Akts sogar ganz speziell Referenz erweisen wird. Aber auch der Rest der Klasse verbessert sich.

Dabei widmet sich der Film nicht allen Schülern ausführlich, sondern lediglich einer Handvoll. Und selbst hier bleiben Figuren wie Courtney Thorne-Smith als surfende und ihrem Lehrer – in vielerlei Hinsicht ein Gleichgesinnter – verfallende Pam. Ihre Anhimmelei wird dem kathartischen Finale geopfert oder fiel vielleicht auch nur dem Schnitt zum Opfer. Dabei begeht das Filmende nicht den Fehler, zum vollkommenen Happy End zu geraten. Dass Shoop am Ende aber seine Biologie-Kollegin Robin Bishop (Kirstie Alley) aus den Fängen von Vize-Rektor Gills rettet, versteht sich in diesem Genre praktisch von selbst. Zugleich steht die Romanze jedoch hinter der Beziehung zurück, die Shoop während des Films zu seiner Klasse entwickelt.

Die Figuren sind dabei allesamt sympathisch, ihre Weiterentwicklung im Rahmen des Films glaubhaft. Witzlos ist Summer School zudem keineswegs, man darf eben nur nicht humorlos sein. Wenn im ersten Akt ein Charakter verschwindet, um im Finale wieder aufzutauchen, ist das ein kleines Highlight für sich. Aber auch eine Szene, in der eine Aushilfslehrerin mittels gorigem Make-up à la Stan Winston aus eigener Schule von den Schülern verschreckt werden soll, ist wie zuvor ein Monty Python-Zitat derselben Sparte einer der Höhepunkte dieses Films. Der wird die meiste Zeit problemlos von Mark Harmons lässig-liebevollen Shoop allein geschultert, allerdings fügen sich auch die übrigen (Jung-)Darsteller überzeugend ein.

Man könnte sagen, der Erfolg gab Carl Reiners Film – der Regisseur hat zu Beginn einen, die Handlung auslösenden, Cameo – Recht. Denn Summer School ist eine locker-leichte Schulkomödie, die im Vergleich zu heutigen Genrevertretern (beispielsweise Superbad) natürlich sehr viel handzahmer daherkommt. Aber auch das macht eben ihren Charme aus, wie ihn die (Schul-)Komödien der Achtziger à la The Sure Thing und Just One of the Guys eben besaßen. Sicherlich mit einer gewissen Portion Nostalgiebonus, aber eben auch, weil die Erinnerungen der Kindheit 15 Jahre später bestätigt wurden, ist Summer School mit Mark Harmons Shoop ein Film, den ich nicht missen will. Zumindest für mich ist das Existenzberechtigung genug.

9.5/10

12. Juni 2014

The Last Days on Mars

Oh, for fuck’s sake.

Ein Weltall-Film wäre kein Weltall-Film, wenn nicht irgendetwas schief gehen würde. Seien es Schäden am Raumschiff, gefährliche außerirdische Organismen oder durchgeknallte Crew-Mitglieder. Und gerne auch mehrere Komponenten zusammen. Insofern ist Ruairí Robinsons Sci-Fi-Horror The Last Days on Mars fraglos ein Weltall-Film. Allerdings kein sonderlich guter, andererseits jedoch auch kein wirklich schlechter. Wenn Variety’s Justin Chang resümiert, dass es sich letztlich um nichts anderes als “Red Planet of the Dead” handelt, trifft dies den Nagel im Grunde auf den Kopf. Und dennoch vermag Robinsons Debütfilm zumindest in seiner ersten Hälfte alles andere als zu enttäuschen. Nur ist da eben auch noch die zweite Hälfte.

Am Anfang steht der Abschied. Nach sechs Monaten auf der Mars-Oberfläche darf eine achtköpfige internationale Crew die Heimreise zur Erde antreten. Für manche sicherlich nicht früh genug, während andere wie Vincent Campbell (Liev Schreiber) aufgrund von Missstimmungen mit Kollegen wie Kim Aldrich (Olivia Williams) eher vom Regen in die Traufe kommen. Noch 19 Stunden verbleiben, als zwei Mann nochmals eine Expedition wagen. Den Grund finden die Übrigen schnell raus: entgegen der Ergebnisse des letzten halben Jahres scheint der Kollege doch bakterielles Leben entdeckt zu haben. Nur: Vor Ort passiert ein Unfall und als Teamleiter Brunel (Elias Koteas) nach draußen geht, will kurz darauf etwas anderes in die Mars-Station rein.

Wie dem Variety-Fazit zu entnehmen, ist The Last Days of Mars im Prinzip ein Zombie-Film auf unserem Nachbarplaneten. Durch die Bakterien wird einer der Astronauten infiziert, entwickelt sich zum aggressiven lebenden Toten. Die Seuche greift um sich und schon bald sehen sich die Figuren dezimierter und dezimierter. Und wie das so ist mit Zombie-Pandemien, wird sich um die Ursache nicht sonderlich viel geschert. Dabei handelt es sich bei diesen Mars-Zombies um wahrlich außergewöhnliche Exemplare. Die nicht nur gezielt ihren Weg finden, sondern auch Türen öffnen können – notfalls halt per Explosion. Für Campbell, Brunel, Aldrich, Rebecca Lane (Romola Garai) und Robert Irwin (Johnny Harris) beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.

Gerade in den ersten 45 Minuten gerät das Ergebnis durchaus spannend, atmosphärisch dicht und in gewisser Weise auch persönlich. Robinson nimmt sich Zeit, die Charaktere ein wenig vorzustellen. Zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, sei es zwischen Campbell und Lane oder Campbell und Aldrich. Auch andere Figuren werden grob angerissen, ihre Dynamik gezeigt. Aber erscheint der erste Zombie auf der Matte, ist das alles plötzlich dahin. Das Rennen und Schlagen steht im Vordergrund. Zwar nimmt sich der Film zu Beginn des finalen Akts nochmals kurz Zeit, die Figuren wieder hervorzuheben, doch folgt er bald wieder dem altbekannten Schema. Ein gewöhnlicher Zombie-Film in einem ungewöhnlichen Setting. Was schade ist.

Schade, weil irgendwann wieder nur gerannt, geschlagen und getreten wird, statt sich einfach mal Zeit zu nehmen und anders zu sein als der Einheitsbrei. Und sei es auch nur einen, in diesem Fall: den zweiten Akt, lang. Es muss ja nicht gleich in Panspermie-Sülze ausarten wie in Mission to Mars, aber etwas Neues hätte Robinson schon auftischen dürfen. So folgt The Last Days on Mars dem klassischen Abzählreim-Schema des Genres, was ihn dank der Exposition und Figurenzeichnung anschließend entsprechend vorhersehbar macht. Dass die Handlung dabei auf dem Mars spielt, ist auch relativ irrelevant und dient lediglich als Auslöser für einige Widrigkeiten, denen sich Campbell, Lane und Co. im Laufe des Films ausgesetzt sehen.

Dabei ist das Ensemble interessant zusammengestellt, rund um Schreiber, Garai, Williams und Koteas. Der Film hätte durchaus Potential gehabt, mit einer derartigen Besetzung in einem derartigen Genre und einer derartigen Location. Nur hätte er sich hierfür mehr an The Thing und weniger an Europa Report orientieren müssen. So wirkt Ruairí Robinsons Debüt etwas verschenkt, dabei startet der erste Langspielfilm des Iren vielversprechend. Bis die gefährlichen außerirdischen Organismen zu durchgeknallten Crew-Mitgliedern führen. Und damit zu zwei Komponenten des klassischen Weltall-Films. Hätte The Last Days on Mars stattdessen eine neue hinzugeführt, wäre er außergewöhnlich. So ist er aber nur ein weiterer Genre-Zombie.

5.5/10

6. Juni 2014

Fando y Lis | El Topo | The Holy Mountain

Er wird geführt als Theaterkünstler, Autor, Regisseur, Schauspieler, Musiker, schreibt Comics, sieht sich als spiritueller Guru, Zen-Meister, Pantomime und beherrscht Tarot. Für seine Fans ist Alejandro Jodorowsky kurz: ein Kult-Regisseur. Sie vergöttern seine Filme El Topo und The Holy Mountain (in Deutschland als Montana Sacra – Der heilige Berg vertrieben) – und mehr hat sich der Regisseur, so ist seinem Audiokommentar zu The Holy Mountain zu entnehmen, auch nie gewünscht. Verehrt zu werden und Filme zu erschaffen, „um die Menschheit zu verändern“. Die Menschheit hat er zwar nicht verändert, dafür aber – so lassen es positive Besprechungen vermuten – das Leben mancher Zuschauer. Gerade die hatten nun Grund zur Freude.

Denn im Frühjahr 2014 erschienen mit El Topo und The Holy Mountain endlich seine beiden größten Filme auf Blu-ray, hierzulande in einer beachtenswerten Box gemeinsam mit Jodorowskys Erstling Fando y Lis vom Label Bildstörung vertrieben. Frisch vom Index genommen zeigt sich El Topo von seiner vermeintlich besten Seite, da passt es, dass – zumindest im Ausland (und damit als Import-Option) mit The Dance of Reality nicht nur nach vielen Jahren ein neuer Film des chilenischen Surrealisten auf der Bildfläche erschien (und mit ihm das Versprechen auf ein El Topo-Sequel), sondern auch die Dokumentation Jodorowsky’s Dune Einblicke gibt, wie die Adaption von Frank Herberts Kultroman aus Jodorowsys Geist gewirkt hätte.

Fando y Lis

Nachdem Jodorowsky in Frankreich in Zusammenarbeit mit Marcel Marceau 1957 den Pantomimen-Kurzfilm La cravate gedreht hat (der ebenfalls der Bildstörung-Box beiliegt), versuchte er sich ein Jahrzehnt später mit Fando y Lis an seinem ersten Spielfilm. Dieser war wiederum eine Adaption eines Stücks von Fernando Arrabal, mit dem Jodorowsky an Performance Art arbeitete. Das Drehbuch des Auteurs war jedoch nur eine Seite lang – was Bände für den Inhalt des Films sprechen dürfte. Eine richtige Handlung ist in diesem nur rudimentär vorhanden, wenn Fando (Sergio Klainer) mit seiner halbseitig gelähmten Freundin Lis (Diana Mariscal) auf der Suche nach der sagenumwobenen Stadt Tar ist. Eine Odysee im wahrsten Sinne des Wortes.

„Falls es Tar nicht gibt, werden wir es erfinden müssen“, realisiert Lis früh, während ihre Reise das junge Paar in einen Steinbruch treibt, der zugleich Dantes Inferno und ein Spiegelbild der Welt ist. Hier trifft Fando auf Transvestiten und alte lüsterne Frauen, die mit eingelegten Pfirsichen Poker spielen. Zugleich aber auch auf seine Eltern und die Traumata, die deren Beziehung bei ihm einst hinterlassen hat. Lis bleibt dabei oftmals buchstäblich auf der Strecke, während Fando auszieht, um Erfahrungen zu machen. Er ist „fasziniert von der Verdorbenheit der Welt“, klärt Jodorowsky im Audiokommentar auf. Und diese Verdorbenheit ergreift infolgedessen auch immer mehr Besitz von Fando selbst, mit dramatischen Konsequenzen.

Jodorowsky inszeniert Fando y Lis – für den man ihm laut Audiokommentar beim Filmfestival in Acapulco töten wollte – dabei wie eben das: Performance Art. Untermalt von anachronistischer Musik herrschen surreale Bildelemente vor. Eine Jazz-Session in einer Bauruine, nur echt mit brennendem Piano als Hommage an Dalí. Für seine beiden Figuren bietet der Film quasi eine Reise zu sich selbst, dem Leiden der eigenen Kindheit. Dabei lässt der Film viel Spielraum zur Interpretation, ist eben voll und ganz Kunst, weniger Unterhaltung. Der Zuschauer wird insofern selbst zum Suchenden. „Ist das der Weg nach Tar?“, fragt Fando an einer Stelle einen Mann im Steinbruch. „Wenn du glaubst, dass er es ist, dann ist er es“, lautet dessen Antwort.

El Topo

Bereits zwei Jahre später würde der Chilene seinen bis heute berühmtesten Film drehen. Für El Topo wählte er „ein Genre, das jeder gern haben und verstehen würde“: den Western. In diesem ist die Hauptfigur ein in schwarz gekleideter Westernheld (gespielt von Jodorowsky selbst), der mit seinem nackten Sohn für Gerechtigkeit sorgt. Laut Regisseur ist El Topo ein rachsüchtiger Gott, „eine Mischung aus jüdischen Rabbis, Zorro und Elvis Presley“. Zu Beginn stößt er auf ein wahres Blutbad in einem kleinen Dorf und bringt im Alleingang die verantwortliche Mörderbande zur Strecke. Zugleich befreit er auch eine junge Frau (Mara Lorenzio), für die er seinen Sohn verstößt und die ihn schließlich in sein Verderben reißen wird.

Angeheizt, vier Meister in der Wüste zu finden und zu töten, beginnt El Topo seinen Niedergang. „Damit ich dich lieben kann, musst du der Beste sein“, sagt ihm die Geliebte. Und so merzt El Topo jene Meister aus, um schließlich selbst zum Opfer der Liebe zu werden. Nach einer spirituellen Katharsis kehrt er in einer messianischen Mission zurück – nur um erneut zu Scheitern. In El Topo vermengt Jodorowsky religiöse Elemente mit Motiven der Alchemie und des Tarot. Kabbala trifft auf C.G. Jung, mit einer Prise Jean-Luc Godard. Sinn und Zweck ist die Zerstörung des hollywoodschen Konzepts von Gut und Böse, und so wurden für die Produktion echte Pferde ausgeweidet, Raben erschossen, Insekten gegessen und Kaninchen zum Herzkollaps getrieben.

Kunst fordert eben Opfer, würde Jodorowsky vermutlich argumentieren. Und auch wenn sich sein Film offiziell in zwei Teile teilt und inoffiziell als vier Kurzfilme gedreht wurde (um die Gewerkschaft zu bescheißen), folgt er im Grunde doch einer Drei-Akt-Struktur. Zu Beginn am ehesten klassischer Western mit El Topo als Rächer, beginnt im zweiten Akt sein durch die Frau herbeigeführter Niedergang, ehe im Schlussakt die Erlösung angestrebt wird. Zugleich wird El Topo als Figur messianisch verklärt, sei es, wenn er bitteres Wasser süß macht, die Stigmata Jesu erleidet oder schließlich nach seiner „Wiederauferstehung“ auf einem Esel in die Stadt reitet. „Ich bin kein Gott, ich bin ein Mann“, rezitiert der nun bekehrte Pistolero-Christus.

Jahrelang in Deutschland indiziert wegen seiner „verrohenden Wirkung“ auf die Jugend, ist El Topo vielmehr ein surreal-spiritueller Western, der gänzlich unbedenklich ist. Der Film bietet manches nette Bild, so wie einen Armlosen, der einen Beinlosen trägt – „zwei Krüppel ergeben einen John Wayne“, wie es Jodorowsky im Audiokommentar nennt. Sein Kuddelmuddel aus Alchemie, Tarot Pantomime und Religion ist ganz nett, bisweilen jedoch etwas zäh. Vielleicht auch, weil er sich nie ganz eines seiner Elemente hingibt. „Du schießt, um dich selbst zu finden“, sagt der zweite Meister zu El Topo. „Ich, um mich zu verlieren.“ Und der Regisseur hält es vermutlich so, wie seine Figur an einer Stelle selbst resümiert: „Zu viel Perfektion ist ein Fehler.“

The Holy Mountain

Auch wenn Alejandro Jodorowsky für El Topo wohl am bekanntesten ist, gilt The Holy Mountain als sein Magnum Opus. Mit finanzieller Unterstützung von seinen Gönnern John Lennon und Yoko Ono schien es dem Film zumindest finanziell an nichts zu fehlen. Zu diesem Zeitpunkt war der Chilene bereits im New Yorker Szene-Untergrund ein gefeierter Visionär, was sein bereits ausgereiztes Ego noch weiter zu befeuert haben schien. „In meinen Filmen wollte ich immer Gott sein“, verriet der Auteur im Audiokommentar zu Fando y Lis. Sein The Holy Mountain sollte nun kein gewöhnlicher Film werden, auch nicht wirklich Kunst, vielmehr eine eigene Religion, um die Menschheit wachzurütteln, „die seit dem Mittelalter krank ist“, so der Regisseur.

Eine unverstellbare Bürde, möchte man meinen, einen Film zu erschaffen, der all das korrigiert, was die menschliche Zivilisation in einem halben Jahrhundert verbockt hat. Inspirieren ließ sich Jodorowsky erneut von der Alchemie, von Tarot, aber auch von René Daumals Mount Analogue sowie dem Konsum von LSD und halluzinogenen Pilzen. Die Handlung ist erneut frei zur Interpretation, zu Beginn wird ein christusähnlicher Dieb (Horacio Salinas) – nur echt mit zwölf Huren als Apostel inklusive einem Schimpansen – in einen Turm entsandt, wo ein Alchemist (Jodorowsky) mit ihm aus Scheiße Gold herstellen will. Denn Gold sei „das Material des Lebens“. Gesagt getan, und dennoch nur der Anfang einer spirituellen Reise.

Gemeinsam mit sieben anderen – augenscheinlich Vertretern der Planeten des Solarsystems – wird der Dieb zu einem Schüler des Alchemisten, auf ihrem Weg fernab von materiellem Besitz hin zur Erleuchtung und zur Unsterblichkeit. Der gesamte zweite Akt widmet sich dabei der Vorstellung der sieben Planetenvertreter, die bemerkenswert schräg gerät. So plant Saturn, Krieg gegen Peru zu führen und Neptun ist aus irgendwelchen Gründen ein faschistischer Polizeistaat. Wirklich klar wollen die Symbole und Metaphern einem aber auch mit dem Audiokommentar nicht recht werden, auch wenn die erschossenen Studenten zu Beginn auf eine Militärjunta und begeistert mitfilmende Touristen auf ignorante Amerikaner hindeuten.

Die Handlung steht jedoch in The Holy Mountain hinter der Kraft seiner Bilder zurück – da sind sich die überschwänglichen Kritiken fast unisono einig. Diese loben den von der Leine gelassenen Wahnsinn, die Opulenz und bei ihnen scheint Jodorowsky das erreicht zu haben, was er eigentlich mit Dune bezwecken wollte: eine LSD-Erfahrung zu erzeugen, ohne LSD nehmen zu müssen. Für Fans von visuellen Spielereien bietet der Film dann auch genug und ist dahingehend weitaus experimenteller und prätensiöser als seine beiden Vorgänger. „Es ist leicht, eine andere Welt zu betreten, wenn man es nur fest genug will“, sagt Alejandro Jodorowsky im Audiokommentar von The Holy Mountain. Was im Grunde auch sehr gut sein Schaffen beschreibt.

Blu-Ray
Fando y Lis ist nur als DVD in der Box enthalten, entsprechend fällt die Bild- und Tonqualität aus. Ein scharfer Transfer ist dagegen bei der Blu-Ray zu El Topo gelungen, allerdings auf Kosten des Filmkorns. Dennoch: So gut sah und klang der Film vermutlich noch nie. Dies lässt sich prinzipiell sicher auch über The Holy Mountain sagen, wo das Bild nicht ganz so scharf und detailreich gerät, dafür aber auch das Filmkorn nicht ausmerzt. Als Extras warten ein Doku-Feature zu Jodorowskys Person, ein Mini-Feature zu Tarot, geschnittene Szenen zu The Holy Mountain sowie die Soundtracks zu El Topo und The Holy Mountain und in zwei Booklets ein Interview-Exzerpt aus den 1970ern plus ein gut geschriebener Essay von Claus Loeser.

Darüber hinaus sind zu allen drei Filmen Audiokommentare enthalten, die fast unterhaltsamer als die eigentlichen Filme ausfallen. Und die viel über Jodorowsky Selbstverständnis aussagen. In ihrer Quintessenz wiederholen sie sich allerdings, wenn der Chilene mal um mal berichtet, wer ihn alles wegen seiner Filme lynchen wollte oder was er alles lange vor seiner Zeit voraus gesehen hat (unter anderem die Glaubenskriege unserer Zeit, Roboter und das Internet). Amüsant ist es aber allemal, wenn er Sigmund Freud und Buddha (!) als „Idioten“ bezeichnet und davon erzählt, wie er als Kind in Chile den Penis eines toten Matrosen beerdigte oder über Supermans Sexleben sinniert. Für Jodorowsky-Fans ist diese Bildstörung-Box fraglos ein Muss.

1. Juni 2014

Filmtagebuch: Mai 2014

24 - SEASON 1
(USA 2001/02, Stephen Hopkins u.a.)
7/10

AVATAR (3D)
(USA/UK 2009, James Cameron)
7.5/10

AVENGERS CONFIDENTIAL: BLACK WIDOW & PUNISHER
(USA/J 2014, Shimizu Kenichi)
5.5/10

BAIT [BAIT 3D - HAIE IM SUPERMARKT] (3D)
(AUS/SGP 2012, Kimble Rendall)

4.5/10

THE BIG BANG THEORY - SEASON 7
(USA 2014, Mark Cendrowski u.a.)
7/10

CABIN FEVER: PATIENT ZERO
(USA 2014, Kaare Andrews)
1.5/10

CASA DE MI PADRE
(USA 2012, Matt Piedmont)
6/10

THE CRASH REEL
(USA 2013, Lucy Walker)
7.5/10

FANDO Y LIS
(MEX 1968, Alejandro Jodorowsky)
4.5/10

GODZILLA (3D)
(USA/J 2014, Gareth Edwards)

4/10

GOJIRA [GODZILLA]
(J 1954, Honda Ishirô)

8/10

THE HOBBIT: AN UNEXPECTED JOURNEY
[DER HOBBIT – EINE UNERWARTETE REISE]
(USA/NZ 2012, Peter Jackson)

0.5/10

THE HOBBIT: THE DESOLATION OF SMAUG
[DER HOBBIT – SMAUGS EINÖDE]
(USA/NZ 2013, Peter Jackson)

0/10

THE HOLY MOUNTAIN [DER HEILIGE BERG]
(MEX/USA 1973, Alejandro Jodorowsky)

2.5/10

HULK
(USA 2003, Ang Lee)
7/10

I KNOW THAT VOICE
(USA 2013, Lawrence Shapiro)
5/10

THE INSTITUTE
(USA 2013, Spencer McCall)
5.5/10

KIDS FOR CASH
(USA 2014, Robert May)
6/10

KISS OF DEATH
(USA 1995, Barbet Schroeder)
5.5/10

MOEBIUSEU [MOEBIUS, DIE LUST, DAS MESSER]
(ROK 2013, Kim Ki-duk)

4/10

MONONOKE-HIME [PRINZESSIN MONONOKE]
(J 1997, Miyazaki Hayao)

8/10

MONSTERS
(USA 2010, Gareth Edwards)
5.5/10

MOSURA TAI GOJIRA [GODZILLA UND DIE URWELTRAUPEN]
(J 1964, Honda Ishirô)

6.5/10

OMAR
(PSE 2013, Hany Abu-Assad)
6.5/10

THE PUNISHER [EXTENDED VERSION]
(USA/D 2004, Jonathan Hensleigh)

5.5/10

PUNISHER: WAR ZONE
(USA/CDN/D 2009, Lexi Alexander)
3.5/10

SAN DAIKAIJŪ: CHIKYŪ SAIDAI NO KESSEN
[FRANKENSTEINS MONSTER IM KAMPF GEGEN GHIDORAH]
(J 1964, Honda Ishirô)

4/10

SCARY MOVIE 2
(USA/CDN 2001, Keenen Ivory Wayans)
6/10

SPIDER-MAN 2
(USA 2004, Sam Raimi)
8.5/10

SPIDER-MAN 3
(USA 2007, Sam Raimi)
7/10

TONARI NO TOTORO [MEIN NACHBAR TOTORO]
(J 1988, Miyazaki Hayao)

9.5/10

EL TOPO
(MEX 1970, Alejandro Jodorowsky)
6/10

THE TRIP TO ITALY
(UK/I 2014, Michael Winterbottom)
7.5/10

TURISTAS
(USA 2006, John Stockwell)
4.5/10

Retrospektive: X-Men


X-MEN
(USA 2000, Bryan Singer)
7/10

X2 [X-MEN 2]
(USA/CDN 2003, Bryan Singer)

8/10

X-MEN: THE LAST STAND [X-MEN – DER LETZTE WIDERSTAND]
(USA/CDN/UK 2006, Brett Ratner)

4/10

X-MEN ORIGINS: WOLVERINE
(USA/CDN/UK 2009, Gavin Hood)
3/10

X-MEN: FIRST CLASS [X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG]
(USA/UK 2011, Matthew Vaughn)

5.5/10

THE WOLVERINE [WOLVERINE: WEG DES KRIEGERS]
(USA/UK 2013, James Mangold)

6/10

X-MEN: DAYS OF FUTURE PAST (3D)
[X-MEN: ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT]
(USA/UK 2013, Bryan Singer)

6.5/10