31. Dezember 2012

Filmjahresrückblick 2012: Die Top Ten

If you’ve ever wondered where your dreams come from,
you look around... this is where they’re made.

(Georges Méliès, Hugo)

Statt am 21. Dezember wie von den Maya prophezeit unterzugehen, ging das Jahr 2012 doch noch weiter, sodass zum Jahresabschluss mein traditioneller Rückblick des Filmjahres natürlich nicht fehlen darf. Wie bereits in 2010 und 2011 verstärkte sich dieses Jahr der Trend der Heimkinosichtungen. Sie stiegen auch dank Video-on-demand von 92 auf 115, wohingegen die Kinobesuche von 58 auf 46 zurückgingen. In der Summe macht das also 161 Filme, die ich aus 2012 mitgenommen habe – ein neuer Rekord. Wen lediglich meine zehn Top-Filme aus diesem Jahr interessieren, der scrollt wie immer einfach zum Ende des Beitrags. Alle anderen nehme ich nun mit auf eine Rekapitulation des Filmjahres 2012.

Wie soeben erwähnt, gingen meine Kinobesuche nochmals zurück, sodass sie dieses Jahr nur knapp 29 Prozent der Gesamtsichtungen ausmachten. Nicht einberechnet sind hierbei die Wiederholungssichtungen von Drive und Beasts of the Southern Wild, die ich beide zwei Mal im Kino gesehen habe. Insgesamt entfielen zwei Drittel meiner 46 bzw. 48 Kinobesuche zudem auf Pressevorführungen, was immerhin nur vier weniger als im Vorjahr sind, aber dennoch im Vergleich dazu eine Steigerung von sieben Prozent. Entsprechend verzichtete ich darauf, einige Filme in den Lichtspielhäusern zu sehen und wartete dafür auf die Kostengünstigere Heimauswertung, die auch den bedeutenden Vorteil der Sichtung im Originalton mit sich brachte.

Rückläufig waren auch die deutschen Besucherzahlen im Kino gegenüber 2011 – trotz einer Unmenge an Sequels, Prequels und Remakes. Dennoch zählten sieben der zehn populärsten Filme in Deutschland zu einem Franchise – genauso wie die drei Werke mit den besten Bewertungen in der Internet Movie Database (IMDb). An deren Spitzenplatz setzte sich Christopher Nolans Batman-Trilogieabschluss The Dark Knight Rises mit 8.5/10 durch, gefolgt von Peter Jacksons Trilogieauftakt The Hobbit: An Unexpected Journey und Joss Whedons Superhelden-Sammelsurium The Avengers mit jeweils 8.2/10 (Stand: 31.12.2012). Zumindest dieses Jahr ist also auf die Fantasy-Fanboy-Armada wieder Verlass gewesen.

Zwei dieser Filme rankten sich auch um den Titel des ertragreichsten Film des Jahres. Mit einem erheblichen Vorsprung setzte sich dabei Marvel’s The Avengers durch, der mit einem Einspiel von rund 1,5 Milliarden Dollar Harry Potter and the Deathly Hallows: Part II als dritterfolgreichsten Film aller Zeiten (Inflationsunbereinigt) ablöste. Auf dem dritten Platz folgte The Dark Knight Rises, der immerhin auch ohne die Hilfe von 3D die Milliarden-Grenze überschritt. Selbiges pushte Skyfall auf Platz 2, nunmehr der finanziell lukrativste Bond-Film aller Zeiten – weshalb Sam Mendes wohl auch Abenteuer Nummer 24 für 2014 inszenieren darf. Auf dem vierten Rang landete The Hobbit, der ebenfalls die Milliarden-Grenze knackte.

Ohnehin hat James Bond den Zwergen und Hobbits aus Mittelerde ziemlich unerwartet finanziell den Mittelfinger gezeigt. Zumindest Europa war dem Geheimagent ihrer Majestät nämlich hörig, brach Skyfall in dessen Heimat Großbritannien doch alle Kassenrekorde und spielte doppelt so viel ein wie The Avengers. Auch in Frankreich setzte sich der Film an die Spitze, genauso wie in den Benelux-Nationen, im Norden von Dänemark über Schweden bis Finnland sowie im Süden in Griechenland und sogar in Nigeria. Dagegen stieg der dunkle Ritter nur in Ägypten wie Phönix aus der Asche, wo The Dark Knight Rises den ersten Platz beanspruchte. Und auch sonst triumphierten eigentlich nur zwei andere Filme noch den Globus.

Klar, die Erdenrächer der Avengers rund um Iron Man und Co. schnappten sich sowohl in den USA als auch international den Titel des Kassenprimus. Zuvorderst ist Marvels Film-Coup aber in englischsprachigen Nationen wie Ozeanien oder Südafrika der Spitzenreiter gewesen, sowie in Teilen von Mittel- und Lateinamerika. Namentlich waren dies Bolivien, Brasilien, Mexiko und Ecuador, wohingegen Argentinier, Kolumbianer, Peruaner, Uruguayer und Venezolaner lieber Abkühlung bei Ice Age: Continental Drift suchten. Das vierte Abenteuer von Manny, Diego und Sid reklamierte auch den Ostblock in Europa für sich, mit den Spitzenplätzen in Russland, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Kroatien und der Slovakei.

Lediglich Polen und die Ukraine zogen anderes digitales Viehzeug vor und huldigten gemeinsam mit Portugal DreamWorks’ Madagascar 3: Europe’s Most Wanted. Patriotisch gaben sich dagegen wieder mal die Türken, die mit Fetih 1453 ebenso eine nationale Produktion zum Jahressieger erklärten wie auch die Norweger (Kon-Tiki), Südkoreaner (Dodookdeul), Japaner (Umizaru 4: Brave Hearts) und Italiener (Benvenuti al nord). In Spanien obsiegte mit Lo imposible ebenso der Patriotismus, wenn die auf wahren Ereignissen basierende Geschichte auch mit britischen Darstellern verfilmt wurde. Und Deutschland? Hierzulande eroberte der letztjährige Frankreich-Hit Intouchables die Herzen von über 8,8 Millionen Teutonen.

Zu Eroberern avancierte auch eine Handvoll von Schauspielern, die 2012 sicher in bester Erinnerung behalten werden. Zum Beispiel Jonah Hill, der für Moneyball als bester Nebendarsteller eine Oscarnominierung erhielt und mit seinem Reboot von 21 Jump Street einen veritablen Hit vorlegte. Gefragt waren auch Bryan Cranston (6 Filme, u.a. Argo), Tom Hardy (5 Filme, u.a. Tinker, Tailor, Soldier, Spy) und Ronald Zehrfeld (4 Filme, u.a. Barbara). Viel Lob heimste Matthew McConaughey ein, der sich dank Nebenrollen in den Drama-Komödien Magic Mike, Bernie und Killer Joe in den Vordergrund spielte. Bei den Damen dagegen stellt am ehesten noch Elizabeth Olsen (Martha Marcy May Marlene) eine Gewinnerin dar.

Nicht nur die Jury des Filmfestivals Max Ophüls Preis, sondern auch mich beeindruckte dieses Jahr die Leistung von Peri Baumeister als dem Inzest verfallene Pianistin in Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden. Auf der Gegenseite hinterließ der stets überzeugende Michael Shannon einen nachhaltigen Eindruck als paranoider Prophet respektive prophetischer Paranoiker in Take Shelter. Den Titel Newcomer des Jahres verdient sich Ezra Miller durch sein variables Spiel in We Need to Talk About Kevin und The Perks of Being a Wallflower. Zum besten Animationsfilm des Jahres avanciert Pixars vergnüglicher Brave und im Fernsehen setzte sich The Newsroom hauchdünn vor Hälfte 1 der 5. Staffel von Breaking Bad durch.

Wofür wird 2012 nun rückblickend stehen? Für die wenig angenommene Einführung von 48fps in The Hobbit? Für den Triumphzug der Franchises angesichts dessen, dass die zehn erfolgreichsten Filme des Jahres allesamt auf Vorläufern basieren? Und 2013 verspricht nicht besser zu werden, angesichts von Iron Man 3, Thor 2, Star Trek Into Darkness, The Hobbit: The Desolation of Smaug, Catching Fire, Monsters University oder Man of Steel. Originelles Kino wird immer seltener werden, Abhilfe versprechen da wohl nur Dokumentarfilme, die für mich längst die bessere Unterhaltung liefern. Aber genug geredet, es folgen die zehn von mir favorisierten Filme aus 2012, mit den Runner Ups und Flop Ten in den Kommentaren:


10. John Carter (Andrew Stanton, USA 2012): Nach 80 Jahren in der Planung kam dieses Fantasy-Pulp-Debüt von Tarzan-Schöpfer Edgar Rice Burroughs dieses Jahr schließlich in die Kinos und scheiterte zuvorderst daran, dass Disney zu blöd war, dieses beeindruckende Spektakel um Existenzpolitik, Bürgerkrieg und A Hero’s Journey gescheit zu vermarkten. Zu unrecht gescheitert gilt daher dieses tolle Weltraum-Fantasy-Epos mit liebevollen Figuren, eindrucksvollen Effekten und ausreichend Selbstironie.

9. The Invisible War (Kirby Dick, USA 2011): Im US-Militär fallen mehr Soldatinnen einer Vergewaltigung durch einen Kameraden zum Opfer als dem Beschuss des Feindes. In dieser erschreckenden Dokumentation deckt Kirby Dick auf, dass unglaubliche 98 Prozent aller Vergewaltiger ungestraft davonkommen und ein US-Gericht diese Verbrechen lediglich als „Berufsgefahr“ abgetan hat. Es zeigt sich, dass der einst berühmte US Army-Slogan “Be All You Can Be” für viele der Soldaten wenig bedeutet.

8. We Need to Talk About Kevin (Lynne Ramsay, USA/UK 2011): Stets steht nach einem Schulmassaker die Frage nach dem Auslöser im Raum. Lynne Ramsay hat darauf in ihrem Film keine direkte Antwort, avanciert ihre Geschichte einer Mutter und ihres Sohnes doch zum zwischenmenschlichen Familiendrama mit Psycho-Horror-Anleihen. Die starke Mise-en-scéne sich wiederholender Handlungs-, Bild- und Farbelemente hinterlässt mit dem exzellenten Ensemble um Tilda Swinton einen bleibenden Effekt.

7. Die Unsichtbare (Christian Schwochow, D/F 2011): Zwar kommt der zweite Film Schwochows im Schatten von Aronofskys Black Swan daher, ist jedoch so viel besser als dieser in seinem Drama einer jungen Frau, die im Rampenlicht der Bühne ihre Introvertiertheit ablegen muss und sich im Laufe des vom Regisseur angetriebenen Identitätsbildungsprozesses immer mehr zu verlieren droht. Schwochow untermauert hiermit, dass er die größte, wenn nicht sogar die einzige deutsche Filmhoffnung ist.

6. Project Nim (James Marsh, USA/UK 2011): Nur rund ein Prozent des DNS-Materials unterscheidet den Homo sapiens vom Schimpansen. Wie viel Mensch steckt also im Affen? Das fragten sich US-Forscher in den 1970ern und zogen die Tiere unter Menschen mittels Zeichensprache groß. Eines dieser Projekte rollt James Marsh nochmals mit allen Beteiligten auf und verrät dabei weniger darüber, wie viel Mensch in einem Schimpansen steckt, sondern mehr, wie wenig Mensch doch tatsächlich im Menschen.

5. Drive (Nicolas Winding Refn, USA 2011): Die einen lieben ihn und die anderen hassen ihn – doch die meisten wissen immerhin den exzellenten Soundtrack zu schätzen, den Besten des Jahres. Refn inszeniert hier eine ruhige, bedächtige Gangster- und Liebesballade mit ordentlich Flair der 80’s und Filmen wie William Friedkins Live and Let Die in L.A. huldigend. Charakteristisch ist dabei der stete Wechsel zwischen unterkühltem Drama und überfallartiger Action in diesem wohl stylischsten Film des Jahres.

4. The Imposter (Bart Layton, UK 2011): Jährlich werden in den USA beinahe 800.000 Kinder als vermisst gemeldet, aber bis 1997 kam es noch nie vor, dass sich jemand als solches vermisstes Kind ausgegeben hat, um dessen Identität anzunehmen. Layton erzählt in seinem Doku-Thriller eine Geschichte zweier verlorener Jungen, “so bizarre, it’s hard to believe it’s true”. Mit dem vielleicht besten Reenactment aller Zeiten und Frédéric Bourdin – dem charismatischsten Antagonisten des Filmjahres 2012.

3. Amour (Michael Haneke, F/D/A 2012): Wahre Liebe zeigt sich weniger in den guten als in den schlechten Zeiten. Unter anderem auch, wenn der eine Partner körperlich abhängig vom anderen wird. Wie geht man mit dem Leiden eines geliebten Menschen um? Haneke inszeniert einen solchen körperlichen Verfall auf eindrucksvolle und eindringliche Weise im Stile eines Kammerspiels. Die Klasse seines Dramas verdankt sich dabei auch zuvorderst dem herausragenden Spiel von Trintignant und Riva.

2. Beasts of the Southern Wild (Benh Zeitlin, USA 2012): Mit seinem Debütfilm gelang Zeitlin ein modernes Indie-Filmmärchen, audiovisuell herausragend inszeniert in seiner Darstellung einer Coming-of-Age-Story über Themen wie das Loslassen und Festhalten von Objekten, Personen und Werten. Überzeugend ist nicht nur der beste Score von 2012, sondern in Dwight Henry und Quvenzhané Wallis auch zwei Laiendarsteller, die diesen magischsten Film des Jahres im Alleingang schultern können.

1. The Interrupters (Steve James, USA 2011): Egal ob Avengers, Batman oder Spider-Man, gegen Ameena Matthews vom Interventionsprogramm CeaseFire stinken sie alle ab. James’ dokumentarische Begleitung von drei Chicagoer Gewalt-Mediatoren ist nicht nur mitreißend und ausgesprochen bewegend, sondern veranschaulicht auch exzellent, wozu Menschen im Stande sind, wenn sie ihre zweite Chance ergreifen. Schließlich ist es für Wiedergutmachung, so die klare Botschaft des Films, nie zu spät.

25. Dezember 2012

Undefeated

Football doesn’t build character. It reveals it.

Die Amerikaner lieben ihren Football. Und die Amerikaner lieben ihre Underdog-Stories. Es verwundert also nicht, dass im Februar dieses Jahres mit Undefeated von Daniel Lindsay und T.J. Martin eine Football-Underdog-Story den Academy Award für den besten Dokumentarfilm gewonnen hat. Denn hier wird einem alles geboten: der Kampf eines sympathischen David gegen einen gesichtlosen Goliath (das andere Team, das System, das eigene Ego), Coming of Age, Katharsis und jede Menge Emotionen. Ein so genannter crowd-pleaser, allerdings einer im positiven Sinne. Dabei gibt es in Undefeated nichts, das man nicht aus anderen Sportfilmen bereits kennt – nur dass das hier Gezeigte authentisch ist.

Handlungsort ist der Stadtteil North Memphis in Memphis, Tennessee, wo der freiwillige Football-Coach Bill Courtney mit seinem Team versuchen will, zum ersten Mal in der 110-jährigen Geschichte der Manassas High School ein Playoff-Spiel zu gewinnen. Seine Spieler haben dabei öfters als einem lieb sein sollte denselben Hintergrund: Es sind afroamerikanische Teenager aus sozial schwachen Familien, die zumeist von ihren Großmüttern großgezogen werden, weil ihre Eltern tot sind oder im Gefängnis sitzen. Ursache ist die Schließung einer Großfabrik in den 1970er-Jahren, die zu Armut und zu steigender Hoffnungslosigkeit im Stadtteil führte. Für viele ist der Sport vielleicht der einzige Ausweg.

“I know it’s going to be my way out”, sagt beispielsweise der Left Tackle und Star des Teams O.C. Brown. Ein großer bulliger und gutherziger Kerl, dessen Geschichte ein wenig an Michael Oher aus The Blind Side erinnert. Denn damit O.C. ein Football-Stipendium erhält, muss er bei seiner College-Aufnahmeprüfung eine Mindestpunktzahl erreichen. Hierfür wird er von seinem Co-Trainer Mike Ray unterstützt, der O.C. mehrere Tage die Woche in seinem Haus in einem weißen Nobelviertel wohnen lässt, wo dieser Nachhilfeunterricht erhält. Für Ray und Coach Courtney ist dies eine selbstlose Zusatztätigkeit. “It’s not part of the job description”, sagt Courtney später, als er einen Konflikt zwischen Spielern schlichten will.

Die Beziehung zwischen Courtney und seinen Spielern ist das Herz und die Seele von Undefeated. Obschon er eine eigene Firma und daheim fünf Kinder hat, opfert der ehemalige Spieler einen Großteil seiner Zeit für die Jungs. Und nicht nur für ihr Training, sondern auch für ihre Erziehung. Denn wenn Courtney redet und schimpft, hören ihm die riesigen Kerle allesamt brav zu. Für sie, die wie O.C. oder Right Tackle Montrail ‘Money’ Brown von ihrer Großmutter aufgezogen werden, kommt Courtney einer Vaterfigur am nächsten. Kein Wunder, wuchs der Coach doch selbst ohne Vater auf. Courtney liebt seine Jungs und er liebt das Programm, dass er seit sechs Jahren auf ehrenamtlicher Basis als Trainer begleitet.

Courtney weiß dabei “damn good and well” wozu er sich jedes Jahr verpflichtet. “And I keep coming back.” Denn für viele der Jungs ist das Football-Programm von Manassas das einzige, was sie auf der richtigen Spur hält. So wie bei Chavis Daniels, einem Delinquenten, der nach 15 Monaten in Jugendhaft wieder auf die Schule geht. Er ist hochgradig aggressiv und gerät kurz nach seiner Ankunft bereits mit mehreren Leuten, darunter Money, aneinander. “At what point do you quit trying?”, fragt sich Courtney genauso wie Lindsay und Martin, als es darum geht, Chavis in der Spur zu halten. Doch wo andere aufgeben, macht Courtney weiter, glaubt an Chavis’ Potential und an dessen mögliche Katharsis.

“If you’ll allow it, football will save your life”, verspricht der Lehrer Tommy Warren später Chavis, der zu erkennen beginnt, was ihm der Sport ermöglichen kann. Nicht nur eine akademische Zukunft wie bei O.C. oder einen Lebenssinn wie bei Money, sondern auch eine erzieherische Charakterbildung. Denn Charakter, das trichtert Courtney den Spielern immer wieder ein, zeigt sich nicht dadurch “how you handle your successes but how you handle failures“. Und mit Misserfolgen kennen sie sich in Manassas aus, wird die Schule doch in der Regel von besseren Teams für mehrere tausend Dollar Gage als Aufbaugegner angeheuert. Doch mit diesen pay games, so Courtneys Ziel, soll nun Schluss sein.

Die Sportsaison der Manassas Tigers begleitet Undefeated oberflächlich. Wir sehen das erste Saisonspiel, das grandios in die Hose geht, wir sehen die Folgepartie, in der die Tigers zur Halbzeit nach zwei Touchdowns mit 0:20 hinterher hecheln. Und wir sehen die plötzliche Wende, die zum Titel der Dokumentation führt und zu jener Siegesserie, die es Courtney und seinen Spielern ermöglichen könnte, Geschichte zu schreiben. Ein Szenario der Marke „wenn nicht jetzt, wann dann“, spricht der Coach doch selbst davon, dass er dank O.C. und Co. das beste Spielermaterial in seinen sechs Jahren zur Verfügung hat. Bis dahin ist es jedoch ein weiter Weg, in dem es für O.C., Money und Chavis einige Hürden zu nehmen gilt.

Für ihre Dokumentation zogen Lindsay und Martin von Los Angeles nach Tennessee, wo sie in neun Monaten stolze 500 Stunden an Material filmten. “It was about capturing a moment in time”, sagen sie über ihren Film. Angesichts der unerwarteten Entwicklung der Manassas Tigers verdankt sich Undefeated einer glücklichen Fügung. Denn die Dokumentation könnte problemlos ein Spielfilm sein und steht als Seherlebnis Genrevertretern wie Friday Night Lights, Varsity Blues und Co. in nichts nach. Und auch wenn Undefeated nicht die beste Dokumentation des Jahres ist, so ist sie dennoch eine der Besten. Denn sie funktioniert, weil man mit jeder ihrer Figuren sympathisiert und mitfiebert – ein echter crowd-pleaser eben.

7.5/10

18. Dezember 2012

The Imposter

A story so bizarre, it’s hard to believe it’s true.

Dem US-Justizministerium nach werden jährlich beinahe 800.000 Kinder unter 18 Jahren als vermisst gemeldet oder 2.185 Kinder pro Tag. Aktuell sind es 198 Kinder und Jugendliche, die im Bundesstaat Texas vermisst werden – einer davon ist Nicholas Barclay, der heute 31 Jahre alt wäre. Im Alter von 13 Jahren verschwand er im Juni 1994 in San Antonio, Texas und wurde seither nicht mehr gesehen. Und auch wenn seine Familie der Überzeugung ist, dass er nicht mehr lebt, will sie ihn dennoch finden. “You just wanna find out what happened to him”, sagt seine Schwester Carey Gibson in Bart Laytons Dokumentarfilm The Imposter. Layton rekapituliert darin jenes Jahr 1997, als es schien, dass Nicholas wieder aufgetaucht sei.

Doch am anderen Ende der Telefonleitung war kein Verantwortlicher aus Texas, nicht einmal aus den USA, sondern der Anruf an Carey Gibson kam aus Spanien. Dort sei Nicholas in einem Kinderheim gefunden worden, nachdem er einem Sexsklavenring entflohen war. Sofort flog Gibson über den Atlantik, um ihren Bruder nach Hause zu holen. Nur, die Person, die sie abholen kam, war nicht ihr Bruder Nicholas. Statt eines 16-jährigen Jungen wartete ein 23-jähriger Twen auf sie, das französische Chamäleon Frédéric Bourdin. “From as soon as I remember, I wanted to be someone else”, erzählt dieser Layton. Und früh zeigt sich, dass die Geschichte von The Imposter nicht die eines verlorenen Jungen ist, sondern derer zwei.

Als Sohn eines Algeriers hatte es Bourdin im Kindesalter nie leicht, ein Gefühl von Liebe bekam er von seiner Mutter nach eigenen Aussagen nicht vermittelt. Er war unerwünscht und nicht gewollt – entsprechend war alles, wonach er sich immer sehnte, eine Familie zu haben. Seine Entscheidung, zu Nicholas Barclay zu werden, war dabei Zufall. Grundsätzlich war es ihm darum gegangen, in ein Kinderheim gebracht zu werden. Er adoptierte den Look und das Verhalten von Teenagern und stellte sich stumm. “It’s very hard to read a kid that doesn’t speak”, weiß Bourdin. Das Kinderheim wollte sich damit jedoch nicht begnügen, der 23-Jährige musste eine Identität beanspruchen und wählte die des vermissten Nicholas Barclay.

“He looked nothing like me”, sagt der dunkelhaarige Bourdin über den blonden und blauäugigen Nicholas. Dennoch zog er sein Unternehmen durch, färbte sich die Haare, ließ sich Tätowierungen nachstechen und sprach so wenig wie möglich, um seinen Akzent zu kaschieren. “I could convince anyone of anything”, schmunzelt Bourdin. Er überzeugte letztlich nicht nur die spanischen Behörden, sondern auch Gibson und „ihre“ Mutter Beverly Dollarhyde. “He had changed so much”, urteilt die zwar, schiebt es aber auf das von Nicholas durchstandene Trauma. Ihre Familie hatten nun ihren Jungen wieder, Bourdin hingegen hatte nun endlich eine Familie. “I never dreamt of so much”, gesteht er aufrichtig. “I was born again.”

Was folgt, sind Schulbesuche, Fernsehauftritte, Befragungen durch das FBI, ein privater Ermittler und stets die unterschwellige Frage, ob niemanden aufgefallen ist, dass dieser Junge nicht Nicholas sein konnte? Aber wie auch, wo ihn ja „seine“ Familie aufgenommen hatte? “No one would be wrong about something like that”, sagt FBI-Agentin Nancy Fisher, die den Fall von Nicholas vermeintlicher Versklavung verfolgte. The Imposter zieht einen speziell zu Beginn in seinen Bann, wenn Layton den charismatischen Bourdin seine Vorgehensweise des Identitätendiebstahls rekapitulieren und nachspielen lässt. Und es sind jene Reenactments des Films, die ihm mit seine spannungsintensive Stärke und Klasse verleihen.

Die Schauspieler für die Interviewten sehen diesen ungemein ähnlich, Layton legt Bourdins Worte Lippensynchron auf die Reenactments und liefert eine beeindruckende Mise en scene. Zwar flacht The Imposter im zweiten Akt etwas ab, nimmt jedoch zum Schluss erneut Fahrt auf, als die Fassade zu bröckeln beginnt und sich Risse aufzutun scheinen, die lange vorher existierten. Bart Layton gelang eine eindringliche und packende Dokumentation, die es mit jedem Spielfilm aufnehmen kann und die in dem so abstoßenden wie sympathischen Frédéric Bourdin eine der ambivalentesten Figuren des Jahres bietet. In einer Geschichte so bizarr, dass man kaum glauben kann, dass sie sich wirklich ereignet hat.

8.5/10

12. Dezember 2012

56 Up

“So, is it done?”“It’s never done.”

Ein Taxi in London hat niemand geringeren als Astronaut Buzz Aldrin, den zweiten Mann auf dem Mond, auf der Rückbank sitzen. Als es vor der vom Fahrgast designierten Adresse Halt macht, fährt ein zweites Taxi heran. Der Kollege fragt nach einem Autogramm, also beugt sich der Fahrer zurück und leitet die Bitte an Buzz Aldrin weiter. “No, I don’t want his autograph”, korrigierte ihn der Kollege, “I want your autograph”. Tony Walker lacht, als er Regisseur Michael Apted diese Geschichte in 56 Up erzählt. “I couldn’t believe it”, sagt der 56-jährige Brite. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Tony davon berichtet, erkannt worden zu sein. Der lebensfrohe Taxifahrer ist seit jeher einer der Teilnehmer der britischen Up-Sendereihe, die mit dem Programm die wenigsten Probleme haben.

Im Mai 2012 war wieder ein siebenjähriger Zyklus vorüber gegangen, an dessen Ende Apted immerhin 13 seiner 14 Protagonisten aus Seven Up! wiedervereinen konnte – so viele wie seit 21 nicht mehr. Inzwischen nahe am Rentenalter und größtenteils mehrfache Großeltern, fokussiert sich die neue Ausstrahlung weniger auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten der jeweiligen Teilnehmer als vielmehr auf einen Blick ihres momentanen Status Quo. Dies hat zur Folge, dass 56 Up weitaus stärker als die vorherigen Ausstrahlungen den Charakter einer Wiedervereinigung hat, die mehr als alles andere ein bloßes Wiedersehen darstellt, ohne von allzu großer tieferer soziokultureller Bedeutung zu sein. Eine Tatsache, die jedoch auch dem fortgeschrittenen Alter der Personen geschuldet ist.

Lynn Johnson genießt das Leben mit ihren Töchtern und Enkelsöhnen.
Und doch ist der neuerliche Besuch von Apted etwas anders als die vorangegangenen. Das merkt man bereits daran, dass 56 Up nicht mit Tony startet, sondern mit Sue. Sie ist immer noch mit Glen zusammen, inzwischen bereits seit 42 Up. Ohnehin, und das ist in gewisser Weise ziemlich erfreulich, hat sich keines der Paare in den vergangenen sieben Jahren getrennt. “Wether it’s through luck or determination, we worked through difficult times”, sagt Suzy über ihre Ehe zu Rupert – nahezu wortwörtlich wie bereits in 49 Up. Letztlich sind Jackie und Neil die einzigen Teilnehmer, die zum Zeitpunkt des Films keinen Partner haben. Konstanz in ihren Beziehungen zum Partner als auch zu ihren Kindern zeichnet somit auch diesen Teil von Granadas und Apteds Programmreihe aus.

“The kids are my life”, sagt Tony, der sich um seine Enkelin kümmert, da seine Tochter emotionale Probleme hat. Umso härter hat es den Londoner getroffen, als ihm seine Kinder jenes Untreuegeständnis aus 42 Up übel nahmen. Kaum ein anderer Teilnehmer der Up-Reihe hat diese so offen an sich herangelassen wie er. Ohnehin wird die Teilnahme am Programm immer öfter zum Thema in diesem selbst. “It’s not a matter I look forward to every seven years”, gesteht Andrew, der mit seiner Frau Sue jene alte Scheune aus 28 Up inzwischen zu einem ansehnlichen Ferienhaus umgewandelt hat. “So, is it done?”, fragt Apted das Paar. “It’s never done”, schmunzelt Sue und erinnert an das Unkrautproblem. Und auch Einzelgänger Neil hat kritische Worte für die Programmreihe übrig.

Neil Hughes arbeitet inzwischen als Hilfsminister seiner Kirchengemeinde.
Wie bereits Jackie in 49 Up oder auch Suzy zuvor, moniert Neil, dass viele Leute meinen würden, ihn zu kennen, nur weil sie ihn alle sieben Jahre in Apteds Dokumentation sehen. Auch Suzy und Nick sprechen an, dass die zehnminütigen Segmente nie repräsentativ widerspiegeln würden, wer sie wirklich seien. “It’s not an absolute accurate picture of me”, sagt Nick, ergänzt jedoch: “but it’s a picture of somebody – and that’s the value of it”. Bezieht man mit ein, dass fast die Hälfte der zehnminütigen Segmente – „Sorgenkind“ Neil kriegt jedoch meist fast 15 Minuten – nur aus Archivmaterial als ergänzender Kontext besteht, ist die Meinung der Teilnehmer durchaus nachvollziehbar. Allerdings haben bisher nur die Hälfte von ihnen ihren Unmut gegenüber Apted und der Kamera geäußert.

Und dennoch hat Neil immer bereitwillig und offen über sich und seine Probleme gesprochen, selbst hier, in diesem Teil tut er es wieder. Sein halbes Leben lang lebt er bereits am Existenzminimum, hat immerhin mit seiner liberaldemokratischen Arbeit einen Lebenssinn gefunden. “It’s the only way I’ve been able to make any money”, erzählt er uns. “I’ve been completely unsuccessful in trying to find a paid career in any kind.” Zudem ist Neil, der seit 35 Up ein wiedergeborener Christ ist, nun auch ein Hilfminister in seiner Kirchengemeinde. Was ihn aber wirklich erfüllen würde, wäre die Publikation seiner literarischen Arbeiten, die er sich durch die Aufmerksamkeit des Programms gewünscht hätte. Dazu kam es aber nie, im Gegensatz zur Medialisierung privater Anliegen anderer Teilnehmer.

Peter Davies (mitte) promotet die Musik seiner Band The Good Intentions.
So hatte John einst nach 21 die Reihe quittiert, um zurückzukehren, weil er sich wegen seiner Frau karikativ um benachteiligte Kinder in Bulgarien kümmerte. Auch Peter kehrt in 56 Up nach 28 Jahren zurück, weniger wegen des Programms selbst, sondern aus privaten Gründen. “I want to promote the music and the band I’m in”, sagt der ehemalige Lehrer, der nun Jurist im öffentlichen Dienst ist. Wegen der harschen Reaktionen auf seine Regierungskritik in 28 Up war er dem Programm ferngeblieben, dabei zeigt sich in Kommentaren von Nick über die Bildungspolitik Anfang der 80er-Jahre, dass die damalige Kritik von Peter am Thatcherismus nicht ganz unbegründet war. “I still believe they haven’t got a clue what they’re doing”, ist auch Lynn kein Freund der gegenwärtigen Regierung.

Die Cameron-Regierung hielt noch andere Überraschungen parat, wie eine verspätete Rente, sodass Lynns Mann weiter arbeiten muss. Auch Jackie, die seit 14 Jahren Invalidenrente kassiert, wurde vom Staat nun trotz ihrer Arthritis für arbeitstauglich eingestuft. Zugleich leidet ihre Schwiegermutter an Krebs im Endstadium, ihr zweitjüngster Sohn ist mit 19 Jahren Vater geworden und der Jüngste hat sich zur Armee gemeldet. “I think my life’s gonna be good”, ist die alleinstehende Frau dennoch überzeugt. Weitaus besser ist die Lage bei den anderen Teilnehmern. Sue leitet inzwischen ihre Fakultät und probt sich in der Freizeit in einer Drama-Klasse, Symon ist weiterhin Pflegevater für benachteiligte Kinder. “To be loved, to be wanted”, sagt er, “if you can give that to them, everything else is second”.

Suzy und Nick sind inzwischen miteinander befreundet und halten E-Mail-Kontakt.
Ihre Kinder sind sicherlich inzwischen das zentrale Thema für alle 13. Paul, der nunmehr als Hausmeister in der von seiner Frau geleiteten Seniorenanlage arbeitet, hofft, alle seine Enkel auf die Universität schicken zu können. “One thing you can’t take away from people is education”, sagt er, der stets einfache Berufe ausgeübt hat. Fast exakt dasselbe hatte Andrew einst in 21 bereits geäußert. Ihre Bildung haben auch Nick und Bruce geprägt, sodass Ersterer mit seiner zweiten Frau und Bruce mit seiner Familie nach Oxford zurückkehrten. Letzterer hofft lediglich, dass seine Söhne ihr Potential ausschöpfen. Mit der Ausschöpfung ihres eigenen Potentials scheinen die meisten der 56-Jährigen durchaus zufrieden zu sein – auch wenn für viele von ihnen, allen voran Neil, mehr möglich war.

Wie immer ist es schön zu sehen, dass alle noch munter und gesund sind, auch auf die engere Familie bezogen. Zwar weniger eindrucksvoll wie die vorangegangenen Ausgaben ausgefallen, ist 56 Up dennoch gerade für Fans der Up-Reihe ein schönes Wiedersehen, dass allerdings noch eine Spur sentimentaler hätte ausfallen können. “I suppose I have this ridiculous sense of loyalty to it, even though I hate it”, lacht Suzy. “And that’s just such a contradiction, isn’t it?” Angesichts der dann nahenden Rente und des hohen Alters von Apted selbst, könnte 63 Up vermutlich die letzte Rückkehr darstellen. Denn er trägt wohl einen großen Teil dazu bei, dass die meisten immer mitmachen. Und wer weiß, vielleicht kehrt dann zum womöglich großen Finale 2019 auch Charles nach 42 Jahren zurück.

8/10

6. Dezember 2012

Beasts of the Southern Wild

Once there was a Hushpuppy and she lived with her daddy in The Bathtub.

Das Kino hatte wohl spätestens mit dem Kurzfilm L’arrivée d’un train en gare de La Ciotat der Gebrüder Lumière den Status etwas „Magischen“ inne. Ein Erlebnis, in dem Realität und Fiktion zu verschwimmen schienen, vermutlich weniger dem Film als solchen denn dem frühen Filmerlebnis per se geschuldet. Mit der Zeit und mit den Jahrzehnten wurden die magischen Filmmomente immer rarer und seltener. Je mehr Filme produziert werden, desto mehr Einheitsbrei ist darunter und desto seltener werden kleine, magische Werke. Dass “movie magic” noch nicht ausgestorben ist, beweist Benh Zeitlin mit seinem Indie-Märchen Beasts of the Southern Wild.

Die darin erzählte Geschichte ist unterm Strich relativ simpel, handelt es sich doch um ein Coming of Age-Drama. Gemeinsam mit ihrem Vater Wink (Dwight Henry) und einigen anderen Aussiedlern wohnt die 6-jährige Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) in der Inselsiedlung The Bathtub vor der Küste von Louisiana. Als sich dann plötzlich Winks gesundheitlicher Zustand verschlechtert und ein hereinbrechender Sturm The Bathtub unter Wasser setzt, muss Hushpuppy, die sich für die beiden Situationen verantwortlich fühlt, schnell lernen, ihre Kindlichkeit abzulegen und zudem ihren rechtmäßigen Platz als “king of The Bathtub” einzunehmen.

In semi-Selbstständigkeit erzogen, Hushpuppy wohnt in einem eigenen Trailer, beginnt die Handlung, als Wink für kurze Zeit verschwindet. Mit seinem Gesundheitszustand beschäftigt, gerät der alleinerziehende Vater bei seiner Rückkehr mit seiner Tochter schließlich aneinander und erleidet dabei just in dem Moment einen Anfall, als sich ein Sturm ankündigt, vor dem die Kinder des Bathtub seit jeher gewarnt wurden. Hushpuppy sieht sich als Auslöser für beide Vorfälle – und viel mehr. “The whole universe depends on everything fitting together just right”, sinniert sie. “If one piece busts, even the smallest piece…the whole universe will get busted.”

Fortan vermischen sich bisweilen die Ebenen zwischen Realität und Fiktion, wenn das kleine Mädchen versucht, mit der Umwälzung ihrer Lebenswelt klarzukommen und dies in Einklang mit dem bringen will, was ihr von ihrer Lehrerin Miss Bathsheba (Gina Montana) beigebracht wurde. “Sometimes you can break something so bad”, meint Hushpuppy, “that it can’t get put back together”. Eben das versucht Beasts of the Southern Wild jedoch zu schaffen: alles wieder so zusammenzufügen, wie es vorher war. Für Hushpuppy bedeutet dies, dass Wink als einziges Familienmitglied im Bild bleibt. Für Wink bedeutet es, seiner Tochter eine Zukunft zu ermöglichen.

Von zentraler Bedeutung ist dabei die gemeinschaftliche Kommune des Bathtub, einer eigenen kleinen Welt, die sich an der zivilisatorischen Basis bewegt. Den Kindern wird hier beigebracht, zu überleben, während sie gleichzeitig für jenen Sturm präpariert werden, der irgendwann kommen muss. Somit ist The Bathtub auch im Verständnis seiner Bewohner nur ein Ort auf Zeit – ein Paradies, das irgendwann verloren wird. Zumindest solange niemand bereit ist, dafür zu kämpfen. Obschon keine Hierarchie zu erkennen ist, nimmt Wink doch eine Vorreiterrolle ein. Zumindest unter jenen Mitgliedern, die sich vom Sturm nicht haben vertreiben lassen.

Somit erzählt Benh Zeitlin, der mit diesem Film ein beeindruckendes Debüt abliefert, prinzipiell vom Überleben einer Gemeinschaft, sowohl als kleine Familie zwischen Wink und Hushpuppy als auch als große Familie mit den übrigen Mitgliedern der Kommune. Zugleich dreht sich die Handlung um das Loslassen und Festhalten von Objekten, Personen und Werten. Für die Sechsjährige hält Beasts of the Southern Wild zudem in gewisser Weise eine Odyssee bereit, in der sie sich später ihrer eigenen Vergangenheit stellen muss, um sich auf ihre Zukunft einlassen zu können. “I see that I’m a little piece of a big, big universe”, realisiert Hushpuppy am Ende.

Dabei ist Zeitlins Film letztlich nur so gut, wie seine beiden Darsteller, die diesen tragen. Das Ergebnis ist umso beachtlicher, da es sich um Laien handelt. So balanciert Bäcker Dwight Henry gekonnt zwischen den resignierenden Momenten seiner Figur und jenen Augenblicken, in denen er um die Zukunft seiner Tochter kämpft. Henry verleiht Wink Optimismus und Charme, was ihn auch in seinen wenigen Szenen sympathisch werden lässt. Das Highlight ist aber die Leistung von Quvenzhané Wallis: Sich stark und zugleich verletztlich gebend, ist es ihre Hushpuppy, die den Film weitestgehend alleine schultert und dies gekonnt über die gesamte Dauer.

Ebenfalls erwähnenswert ist die Kameraarbeit von Ben Richardson und insbesondere die musikalische Untermalung von Zeitlin und Dan Romer. Ihr Bläser- und Streicherorchester inszeniert ländlich-folkloristische Musik von jener lebensbejahenden Kraft, von der auch der Film erzählt. Und spätestens, wenn das Orchester zum großen Finale ausholt und Hushpuppy dann in einer starken Schlusseinstellung am Ende ihres Reifeprozesses angelangt ist, spürt man als Zuschauer, was auch zuvor während Beasts of the Southern Wild des Öfteren aufgeblitzt ist: Eine cineastische Gänsehaut und das Wissen, dass “movie magic” doch noch nicht ausgestorben ist.

9/10

2. Dezember 2012

Filmtagebuch: November 2012

À BOUT PORTANT [POINT BLANK]
(F 2010, Fred Cavayé)
6/10

ΑΛΠΕΙΣ [ALPEN]
(GR 2011, Giorgos Lanthimos)
7.5/10

THE AMAZING SPIDER-MAN
(USA 2012, Marc Webb)
3.5/10

AMOUR
(F/D/A 2012, Michael Haneke)
8.5/10

BARBARA
(D 2012, Christian Petzold)
6/10

BEATS RHYMES & LIFE: THE TRAVELS OF A TRIBE CALLED QUEST
(USA 2011, Michael Rapaport)
7/10

BEAUTY DAY
(CDN 2011, Jay Cheel)
6/10

BERNIE
(USA 2011, Richard Linklater)
6.5/10

BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA [ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA]
(TR/BIH 2011, Nuri Bilge Ceylan)
7.5/10

BOOGIE NIGHTS
(USA 1997, Paul Thomas Anderson)
4/10

BRAVE
(USA 2012, Mark Andrews/Brenda Chapman)
7.5/10

BUCK
(USA 2011, Cindy Meehl)
6/10

COSMOPOLIS
(CDN/F/P/I 2012, David Cronenberg)
7/10

THE CURSE OF KING TUT’S TOMB
(USA 2006, Russell Mulcahy)
1.5/10

ЕЛЕНА [ELENA]
(RUS 2011, Andrey Zvyagintsev)
7.5/10

END OF WATCH
(USA 2012, David Ayer)
6.5/10

GROUNDHOG DAY
(USA 1993, Harold Ramis)
10/10

HEAD GAMES
(USA 2012, Steve James)
7.5/10

THE HOLE
(USA 2009, Joe Dante)
6.5/10

THE INVISIBLE WAR
(USA 2012, Kirby Dick)
8/10

THE ISLAND PRESIDENT
(USA 2011, Jon Shenk)
5.5/10

KOI NO TSUMI [GUILTY OF ROMANCE]
(J 2011, Sono Sion)
6/10

EN KONGELIG AFFÆRE [DIE KÖNIGIN UND DER LEIBARZT]
(DK/S/CZ 2012, Nikolaj Arcel)
6.5/10

LIFE OF PI
(USA 2012, Ang Lee)
6/10

LOVELY, STILL
(USA 2008, Nicholas Fackler)
5/10

MAGNOLIA
(USA 1999, Paul Thomas Anderson)
1/10

ET MAINTENANT ON VA OÙ? [WER WEISS WOHIN?]
(F/LB/ET/I 2011, Nadine Labaki)
5.5/10

MARGARET
(USA 2011, Kenneth Lonergan)
3.5/10

MISTÉRIOS DE LISBOA
(P/F 2010, Raoul Ruiz)
6.5/10

MY WEEK WITH MARILYN
(UK/USA 2011, Simon Curtis)
5.5/10

NUIT BLANCHE [SLEEPLESS NIGHT]
(F/B/L 2011, Frédéric Jardin)
4.5/10

THE O.C. - SEASON 3
(USA 2005/06, Ian Toynton u.a.)
7/10

THE O.C. - SEASON 4
(USA 2006/07, Ian Toynton u.a.)
6.5/10

PIRANHA 3DD
(USA 2012, John Gulager)
7/10

THE QUEEN OF VERSAILLES
(USA/NL/UK/DK 2012, Lauren Greenfield)
7.5/10

RENOIR
(F 2012, Gilles Bourdos)
5.5/10

RUBY SPARKS
(USA 2012, Jonathan Dayton/Valerie Faris)
6/10

SAFETY NOT GUARANTEED
(USA 2012, Colin Trevorrow)
7/10

THE SECOND EXECUTION OF ROMELL BROOM
(D/USA 2012, Michael Verhoeven)
6/10

SMALL TOWN MURDER SONGS
(CDN 2010, Ed Gass-Donnelly)
4/10

SNEAKERS
(USA 1992, Phil Alden Robinson)
6.5/10

SOUTH PARK - SEASON 16
(USA 2012, Trey Parker)
7.5/10

SUCKER PUNCH [EXTENDED CUT]
(USA/CDN 2011, Zack Snyder)
4/10

SUSHI: THE GLOBAL CATCH
(USA/J/AUS/PL/SGP 2012, Mark Hall)
6.5/10

TED
(USA 2012, Seth MacFarlane)
6/10

TEXAS KILLING FIELDS
(USA 2011, Ami Canaan Mann)
4.5/10

THIS MEANS WAR
(USA 2012, McG)
5/10

THREE KINGS
(USA/AUS 1999, David O. Russell)
4/10

TINY FURNITURE
(USA 2010, Lena Dunham)
6.5/10

WILLIAM S. BURROUGHS: A MAN WITHIN
(USA 2010, Yony Leyser)
4.5/10