27. April 2011

Catfish

Art is the lie that tells the truth.
(Pablo Picasso)

Das vergangene Jahr stand im Zeichen der Faux Documentary, mit Banksys grandiosem Exit Through the Gift Shop, dem bereits in seiner Vorproduktion durchschaubaren Joaquin-Phoenix-Rap-Biopic I’m Still Here und dem viel diskutierten Indie-Hit von Sundance: Catfish. Seit seiner Premiere wird im Internet viel diskutiert, ob der Film echt oder fiktiv sei, respektive wie viel von dem stimmt, was dem Zuschauer hier eingeredet wird. Während Dokumentarfilmer Morgan Spurlock (Super Size Me) die Authentizität von Catfish bezweifelt, versichern Ariel Shulman und Henry Joost, ebenso wie Protagonist Yaniv Shulman, dass alles zu 100 Prozent real sei. Wie im Fall von Banksys Film, entscheidet der Zuschauer selbst.

Wurde David Finchers The Social Network, ebenfalls im vergangen Jahr, als der Zeitgeist-Film schlechthin gelobpreist, gebührt dieser Titel wohl eher Catfish. Mittels Google Earth, YouTube, iPhone und Facebook erzählen Henry Joost und Ariel „Rel“ Shulman die Geschichte von Rels kleinem Bruder Yaniv „Nev“ Shulman. Der 22-jährige Photograph erhält eines Tages ein Wasserfarbenbild einer seiner abgedruckten Photographien und beginnt daraufhin eine Facebook-Freundschaft mit Abby, der 8-jährigen Künstlerin des Bildes, sowie ihrer MILF-Mutter Angela und ihrer scharfen 19-jährigen Tochter Megan. “The Facebook Family. That’s what we’ll call them“, scherzt Nev in die Kamera von seinem Bruder und Henry.

Es stellt sich heraus, dass Abby ein Wunderkind ist, deren Bilder für tausende von Dollar verkauft werden, was es ihr ermöglicht, ein Gebäude zu kaufen und in eine Galerie umzufunktionieren. Mit den Monaten fokussiert sich Nevs Interesse jedoch auf Megan, mit der er eine intime Internetbeziehung beginnt. Sie schickt ihm eigens für ihn eingespielte Lieder, er ihr gephotoshopte Bilder. Als Nev, Rel und Henry dann nach einem Dreivierteljahr beruflich nach Colorado reisen und dort feststellen, dass Megans Lieder nicht von ihr stammen, sondern aus YouTube kopiert wurden, beginnen sich erste Zweifel einzustellen. Um die Wahrheit zu erfahren, fahren die drei nach Ishpeming, Michigan, wo die Familie lebt.

Dass das, was Catfish präsentiert, zu schön um wahr zu sein erscheint, dämmert einem spätestens, wenn Angela von Abbys teuer verkauften Bildern erzählt. Nev wiederum gibt sich sehr viel naiver und gutgläubiger, was natürlich der Entwicklung der Geschichte zuträglich ist. Die eigentliche Enthüllung, die am Ende des zweiten Aktes vollzogen wird und deren Konsequenz den letzten Akt ausmacht, ist dabei nur bedingt schockierend (selbst Nev und Co. thematisieren sie als Möglichkeit zu Beginn des zweiten Akts). Somit stellt sich von vorneherein nicht die Frage, ob etwas mit Megan nicht stimmt, sondern was es ist, dass nicht stimmt. Daher kann der Film sein Spannungsgerüst auch nur bis zu jener Enthüllung tragen.

In der Schilderung von Nevs Lebensalltag, der sich primär an seinem MacBook und dort in Facebook abspielt, sowie der „Recherche“-Mittel der Google-Dienste und YouTube, gelingt es Catfish gerade in seinem ersten Drittel exzellent ein Kontemporärbild der US-amerikanischen Gesellschaft zu zeichnen. Anstatt sich eine Freundin in der Weltmetropole New York zu suchen, verlagert Nev seine Sehnsüchte ins Internet und befriedigt seine romantischen Bedürfnisse in einem sozialen Netzwerk. Direkter menschlicher Kontakt als Rudiment der heutigen Gesellschaft - das scheint die Botschaft des Filmes, deren mögliche Konsequenz er im seinem finalen Akt in extremer Drastik und Dramatik auszuspielen versucht.

Angesichts der Entwicklung des Films erscheint dieser in seiner Summe zu absurd, als das sich alles so zugetragen haben soll, wie es die Shulmans und Joost versichern. Eher ist von einer Art Instrumentalisierung auszugehen, wie sie auch Banksy für seine Prankumentary genutzt hat. Sollte dem so sein, ist den Filmemachern natürlich in dokumentarischer Hinsicht ein großer Vorwurf zu machen. Und sowieso fällt der dritte und finale Akt etwas deplatziert aus, sowohl stimmungstechnisch als auch in seiner Konklusion. “The Facebook profile gives you the ability to present yourself in the way you would like to be seen by other people“, sagt Joost. Mit Catfish und der Darstellung von Nev verhält es sich im Grunde ebenso.

6.5/10

25. April 2011

Thor

Is there a Renaissance Fair in town?

Die einen kriegen ein Superserum, andere beißen radioaktive Spinnen, die Blitzgescheiten basteln sich einen eigenen Super-Anzug und wer Glück hat, braucht gar nichts davon – denn er ist ein Gott. Mit Thor geht Marvels Filmprolog-Reihe zum 2012 startenden The Avengers in die nächste Runde. Und wohl kaum einer der Marvel-Helden dürfte es so schwer gehabt haben auf der großen Leinwand zu landen, wie der Gott des Donners. Schließlich verschmelzen in Thor, der wie seine Kollegen aus der Feder von Stan Lee und/oder Jack Kirby stammt, doch unsere Gegenwart und die nordische Göttermythologie zu einem kohärenten Ganzen. Entsprechend belächelt wurden erste Stills, die zu Kenneth Branaghs Adaption veröffentlicht wurden.

Während die beiden Trailer als kruder Mix aus Superman und The Day the Earth Stood Still erschienen und ein Trash-Fest erster Güte versprachen. Der fertige Film bewegt sich nun irgendwo dazwischen. Wie es sich für einen Prolog gehört – und mehr als eine Charakterexposition ist in Thor auch nicht zu sehen – ist sein Inhalt recht kurz und simpel. Und durch seine Lokalisierung in ein Königshaus zugleich wie geschaffen für Shakespeare-Regisseur Branagh, der seine Comicverfilmung als VFX-Action-Crossover aus Henry V und King Lear anlegte. Seinen Antrieb gewinnt der Film dann auch primär aus seiner Dreiecksbeziehung zwischen Thor (Chris Hemsworth), Göttervater Odin (Anthony Hopkins) und Bruder Loki (Tom Hiddleston).

Jene von Neid und Eifersucht angetriebene Beziehung der Brüder, das gereizte Verhältnis der Thronfolger-Erben zu ihrem Vater und das Coming of Age eines Helden, der erst zu einem solchen heranreifen muss, bilden das Fundament des Films. Infolgedessen fallen die Szenen in Asgard und Jötunheim weitaus interessanter aus als Thors Reifeprozess, der inklusive des obligatorischen love interest Jane Foster (Natalie Portman) in einem kleinen Kaff im US-amerikanischen Bundesstaat New Mexico von Statten geht. In seiner Kontemporäradaption ging Marvel nunmehr Kompromisse ein, um sowohl Nerds als auch die Massenklientel zufrieden zu stellen. Die Frostriesen rund um Laufey (Colm Feore) geben die Antagonisten.

Mit von der Partie sind die drei Krieger (u.a. Ray Stevenson) sowie Sif (Jaimie Alexander), es gibt einen kleinen Querverweis zu Thors Alter Ego Donald Blake und natürlich den unabdingbaren Cameo von Stan Lee. Um die Götter der Filmbranche zufrieden zu stellen, verfügt Thor zugleich in Kat Dennings über einen Comic-Relief-Sidekick, Stellan Skarsgård gibt einen unterforderten Mentor und Portmans Jane Foster wird von der einfachen Krankenschwester zur renommierten Astrophysikerin befördert. Und weil alles politisch korrekt zugehen muss, stellt Idris Elba den einzigen afroamerikanischen Asen in Asgard dar, während Asano Tadanobus Hogun zur Identifikation für die asiatische Bevölkerungsgruppe dienen darf.

Im Grunde geht das alles weitestgehend auf, selbst die vollkommen unerhebliche Integration von S.H.I.E.L.D. und ein belangloser Cameo von Jeremy Renners Avengers-Figur Hawkeye. Als neuerliches Charakter-Prelude ist das Endresultat fast durchweg sympathisch, was sich auch der Tatsache verdankt, dass Branagh dem narzisstischen Asen genug Raum für Humor und Selbstironie lässt. Und in Form eines Comics wäre die Geschichte von Thor in all ihrer plakativen Anlehnung an The Day the Earth Stood Still auch durchaus annehmbar und unterhaltsam. Als eigenständiger Kinofilm, losgelöst von der Historie der fast 50-jährigen Comicfigur und dem nächstes Jahr folgenden The Avengers, fällt Thor jedoch reichlich durchwachsen aus.

Die Simplizität der Handlung ist erschreckend banal und vieles wird scheinbar als selbstverständlich erachtet. Warum wird Thor zum Beispiel ausgerechnet in ein Am-Arsch-der-Welt-Kaff in New Mexico verbannt? Und wieso landet sein Hammer Mjölnir praktischer Weise nur 50 Meilen entfernt? Warum ist ein Krieg zwischen Asgard und Jötunheim so dramatisch, wo die Frostgiganten doch in ihrer Welt festzusitzen scheinen? Beginnt man das Gezeigte zu hinterfragen, bröckelt der Glanz. Wenn Thor sich auf der Erde aufführt wie ein alter nordischer Gott, und seine Weggefährten um Sif als verirrte Comic-Con-ler anmuten, dann ist das ganz amüsant und charmant, wie auch der klassische Vater-So(e)hn(e)-Konflikt teilweise unterhält.

Vom rasanten Trash-Fest des Trailers ist dies jedoch meist meilenweit entfernt, das mentale Schulter-zucken ob des Gezeigten an sich vorprogrammiert. Thor verkommt zu einem zwiespältigen Produkt, mit dem man wenig anfangen kann. Die Kostüme und Asgard selbst (ein Amalgam des Olymps aus Clash of the Titans und Coruscant der Star Wars-Filme) sehen weniger bescheuert aus, wie erste Bilder befürchten ließen, das Ensemble von Hopkins über Portman und Hiddleston bis hin zu Hemsworth schlägt sich angesichts der enormen Campness ihrer Umgebung erstaunlich gut. Über den 3D-Effekt lässt sich das weniger sagen. Er raubt den Bildern das Licht, ist selten positiv bemerkenswert oder der Narration zuträglich.

Letztlich merkt man es Thor durchgehend an, dass es sich um eine reine Charakterexposition handelt. Der Donnergott ist nur einer von mehreren Gefährten, das mordorsche Auge lastet jedoch auf dem ultimativen Familientreffen, das ab Mai von Regisseur Joss Whedon inszeniert wird. Angesichts der Leichtigkeit, mit der sich die Thors, Hulks und Iron Mans in ihren jeweiligen Abenteuern ihrer Widersacher entledigen, und der Fülle an Ego und Pathos, wird es für Whedon eine Herkules-Aufgabe sein, seine Helden – inklusive der zweiten Garde um Jeremy Renner und Scarlett Johansson – nicht nur bei Laune zu halten, sondern ihnen auch (einen) Gegenspieler zu liefern, der eine Kräftebündelung dieser Form rechtfertigt.

Als kurzweiliges Comic-Fest mit einem gewissen Augenzwinkern lässt sich Kenneth Branaghs Götterdämmerung (bevorzugt in 2D, so möglich) zwar durchaus genießen, fällt er doch sehr viel runder und gelungener aus, als die überfrachteten und eskalierenden Iron Man-Filme oder The Incredible Hulk. Dass uns ein Thor 2 nicht erspart bleiben wird, ist angesichts der nicht enden wollenden Sequel-Manie von Hollywood im Allgemeinen und Marvel/Disney im Speziellen wenig überraschend. Immerhin hat die Fortsetzung dann die Chance, etwas mehr zu sein, als lediglich ein reiner Prolog für einen anderen Film. Nötig wäre es jedenfalls nicht, denn unsterblich ist der Odinssohn schließlich auch bereits so – ganz ohne ein andauerndes Franchise.

5.5/10

23. April 2011

1 Movie 1 Definition: The Princess Bride

INCONCEIVABLE /ɪnkənˈsiːvəb(ə)l/ adjective: not capable of being imagined or grasped mentally; unbelievable.

OXFORD DICTIONARY
 Copyright © 2011

21. April 2011

Sanctum

Unterwasserwelten haben es James Cameron seit The Abyss angetan, wie er Anfang des Jahrtausends mit seinen IMAX-Dokumentationen bewies. Nun produzierte er mit Sanctum einen Höhlentaucherthriller, der mit Camerons in Avatar revolutionierten 3D-Technik arbeitet. Doch im fertigen Film  verschenkt Alister Grierson nicht nur den 3D-Effekt, sondern auch die nach Klischees gestrickte Geschichte und Figuren sind selten sonderlich spannend. So verkriecht sich der Film nach gelungenem Start (zumindest was 3D angeht) in seine dunkel schimmernden Untiefen und dient somit allenfalls als abschreckendes Beispiel für Camerons bevorstehenden Avatar 2. Die ausführliche Besprechung des Films findet sich auf Evolver.

5.5/10

17. April 2011

The "Up" Series

Give me a child until he is seven and I will give you the man.
(Francisco de Xavier)

Von revolutionären TV-Formaten zu sprechen, fällt heutzutage leichter als es früher noch der Fall war. Auf Granada’s Dokumentationsserie Up trifft dies allerdings zu, ist die seit 47 Jahren bestehende TV-Reihe doch die am längsten währende Dokumentation der Geschichte. Die Idee, eine Gruppe SchülerInnen über die Jahr(zehnt)e hinweg immer wieder zu besuchen, war 1964, als Paul Almond die Erstlingssendung Seven Up! pitchte, zum einen weder geplant noch wäre sie sonderlich neu gewesen. Denn bereits 1961 hatten Barbara und Winfried Junge mit Wenn ich erst zur Schule geh ihre Reihe Die Kinder von Golzow eingeläutet, die vor vier Jahren ihren Abschluss fand und der britischen Up-Serie somit nicht unähnlich ist.

“It was only ever going to be one film“, blickt Regisseur Michael Apted auf die Reihe zurück, bei der er von Anfang an mitgewirkt und ab 7 Plus Seven auch die Regie übernommen hat. Ursprünglich wollte Almond lediglich Kinder aus verschieden Klassen über dieselben Themen reden lassen, um ihre Unterschiede und möglichen Entwicklungen aufzuzeigen. Eher ungeplant entschied sich Apted 1971, die 14 Jugendlichen erneut zu befragen und damit den siebenjährigen Rhythmus zu beginnen, der mit 56 Up fortgesetzt wird. Die Reihe nimmt kultur- wie medienhistorisch eine Ausnahmestellung ein, lässt sie die Zuschauer doch am Lebenslauf von einem Dutzend Briten teilhaben. Für die Betroffenen eher eine Bringschuld.

“It was worth it“, so Bibliothekarin Lynn Johnson über die Serienreihe.
Manche der 14 Beteiligten machen nach all den Jahrzehnten noch mit, weil sie angefangen haben. Andere steigen aus und kommen in einem späteren Film wieder, insgesamt sind lediglich zwei Personen ab einem Zeitpunkt ganz ausgestiegen. “It’s not a comfortable thing necessarily for all the participants to do“, weiß Apted. Und kaum einer fasst die Ambivalenz des Programms wohl so gut zusammen, wie Nuklearphysiker Nick Hitchon. Dieser weist zwar darauf hin, “how emotionally draining and wrenching it is to make the film“, dennoch glaubt er zugleich: “this film is extremely important“. “Does it have any value?“, fragt dagegen Oberschichtler John Brisby, während Bibliothekarin Lynn Johnson sicher ist, “it was worth it“.

Dabei nimmt Seven Up! eine Sonderstellung ein, ist der Film - sicherlich auch wegen seiner intendierten Präsentation der Klassenunterschiede - im Vergleich mit den Nachfolgern ausgesprochen wertend geraten. “The world of a seven year old can be primitive, even violent“ erklärt da der Erzähler, wenn die Kinder nach Gewalt befragt werden. Während Arbeitersohn Tony aus dem Londoner East End Rauferein nicht abgeneigt ist, resümiert der Liverpooler Neil: “we think it hurts“. Das dramatische Urteil im Jahre 1964: “A vast majority (…) know little of discipline“ und “the distinction between freedom and discipline is the key to their whole future“. Vermutungen, die durch die Erfahrungen der Beteiligten über die Jahre Nahrung erhalten.

“Does it have any value?“, zeigt sich Rechtsanwalt John Brisby skeptisch.
Die teilnehmenden Kinder entstammen verschiedener Milieus. Während Tony, Lynn, Susan und Jackie eine öffentliche Schule in London besuchen, sind Andrew, Charles und John an einer elitären Vorschule eingeschrieben, Suzy an einer “fashionable school for girls“ und Bruce wiederum in einem Privatinternat. Was bemerkenswert ist, sind die Gedanken, die sie sich schon in jungen Jahren machten. Gerade die Sprösslinge der Oberschicht ragen heraus. So kannte Suzy als Siebenjährige zum Beispiel keinen Farbigen und wollte zwar später zwei Kinder, aber: “the nanny would look after them“. John hingegen las bereits The Financial Times. “Their education was pre-planned and paid for”, resümiert der Erzähler.

Denn wenn John sagt, er gehe später nach Cambridge und Charles mutmaßt, er “might go to Oxford”, sind das weniger die Wünsche und Ziele der Kinder, denn ihrer Eltern. Angesichts derartiger Auswahlmöglichkeiten zeigte sich Gymnasiastin Lynn in 21 jedoch weniger im Nach- als im Vorteil gegenüber der wohlhabenden Suzy. “She’s been so conditioned into what she should do and what she shouldn’t do“, glaubt Lynn, die mit 19 Jahren heiratete, über mehr Optionen verfügt zu haben. Eine Meinung und Haltung, die Suzy wieder selbst über die Jahre durch das Programm und Zuschauer mehrfach präsentiert worden zu sein scheint, wenn sie in 35 Up fast schon entschuldigend sagt: “I can’t change what I was born into“.

“I can’t change what I was born into“, rechtfertigt sich Trauerbegleiterin Suzy Lusk.
Dennoch spielt Geld für alle eher eine untergeordnete Rolle. “Money don’t buy happiness“, fand Lynn mit 7 Jahren und wenn Jackie im selben Alter sagt, sie wolle nicht viel Geld haben, aber eben genug, dann spiegelt das ganz gut die Haltung der reicheren Vertreter wie Andrew wieder, die genug haben wollen, um sich keine Sorgen zu machen. “Who wants to be the richest corpse in the graveyard?“, sieht selbst John, die fraglos eingebildetste und arroganteste Person der Serie die Dinge in 49 Up etwas anders. Er hat über die Jahrzehnte hinweg mit die größte Entwicklung durchgemacht, war er doch in 21 noch für Rassentrennung, sowie gegen Gewerkschaften, und engagierte sich ab 35 Up karikativ für Bulgarien.

John war es, der mit 21 Jahren als Jura-Student in Oxford meinte: “The more privileges you’re born with the greater the duty“. Und in gewisser Weise nehmen die der Oberschicht entstammenden Kinder auch mit 49 Jahren noch eine Sonderstellung ein. Charles Ferneaux, der nach 21 nicht mehr am Programm teilnahm, ist seit zwanzig Jahren bei der BBC als Produzent angestellt, John Brisby und Andrew Brackfield wurden beide Rechtsanwälte. Letzterer war es, der in 21 bereits das Fazit zog: “A good education, that’s something no one can take away“. Beruflich wie finanziell sind die wohlhabenderen Teilnehmer also durchaus besser abgesichert, aber Apted widmet sich mehr dem was sie alle eint, denn entzweit.

“I could’ve done a lot better“, blickt Lagerarbeiter Symon Basterfield zurück.
Denn abgesehen von ihrem Klassenunterschied erleben die meisten Beteiligten im selben Alter Identisches. Mit 14 Jahren mussten Suzy, Andrew und Charles die elterliche Scheidung hinnehmen, die Paul bereits mit acht Jahren durchmachte. In 28 Up hat beinahe jeder Zweite bereits Kinder (6 von 14) und sogar fast Dreiviertel von ihnen sind verheiratet (10 von 14). Sieben Jahre später sind einige wie Susan oder Symon bereits selbst geschieden, während es für viele in 35 Up auch heißt, Abschied von den eigenen Erzeugern zu nehmen. “I’m still dealing with it“, bricht Lynn darin über den Tod der Mutter in Tränen aus, die auch Tony kommen, wenn er den Tod seiner Mutter als “the worst day of my life“ bezeichnet.

Auch fünf andere Teilnehmer verloren bis zu ihrem 35. Lebensjahr bereits ein Elternteil, ebenso viele durften in 49 Up wiederum die Sprösslinge ihrer eigenen Kinder in den Armen halten. Sie teilen diesen Schmerz und diese Freuden mit der Kamera und dadurch mit einem Millionenpublikum. Kein leichter Prozess, bedeutet er doch für einige, sich alle sieben Jahre den als Fehler erachteten Taten der Vergangenheit stellen zu müssen. “I don’t think you [Regisseur Michael Apted, Anm. d. Verf.] ever really expected me to turn out the way I have“, spricht Jackie zum Beispiel in 49 Up das ambivalente Verhältnis der Beteiligten an. Ein Vorwurf, der nicht nur Apted, sondern auch den Junges in Die Kinder von Golzow gemacht wurde.

Die alleinerziehende Mutter Jackie Bassett fühlt sich falsch dargestellt.
Über einen Zeitraum von 42 Jahren fallen natürlich die Veränderungen auf, die viele der Beteiligten durchgemacht haben. “I had no kind of direction“, blickt Suzy mit 28 Jahren auf ihr 21-jähriges Selbst zurück. In 28 Up ist sie seit fünf Jahren verheiratet und hat zwei Kinder. Diese werden allerdings nicht, wie von ihr im Alter von 7 Jahren gehofft, durch ein Kindermädchen aufgezogen: “I wanted to bring them up, not somebody else“. Aus einem verzogenen Mädchen, das durch Europa reiste, weil Daddy es bezahlte, wurde eine glückliche Ehefrau und Mutter. Und es ist auch Johns Ehefrau, Tochter eines ehemaligen bulgarischen Botschafters, zu verdanken, dass er sich weniger mit sich selbst und mehr mit anderen beschäftigt.

Auch bei Anderen gab es Kehrtwenden, wie im Falle von Jackie, die in 28 Up keine Kinder haben wollte und in 35 Up nun einen Sohn aus einer Affäre nach ihrer Scheidung präsentiert: “The best thing that could’ve happened to me“. Oder Symon, der seinen Vater nie kennenlernte und sich mit 28 Jahren als fünffacher Familienvater präsentiert, nur um in 49 Up einzugestehen, dass er nach der Scheidung von seiner Frau lediglich zu einem Teil dieser Kinder regelmäßig Kontakt hält. Paul wiederum hatte in 7 Plus Seven gemeint, dass er am liebsten allein leben möchte, mit 28 Jahren war er dann mit Susan verheiratet, die bereits in 21 sein Herz erobert hatte. Kaum einer in Up, der sich nicht verändert hat. Kaum einer?

“I’ve done as well as I can go“, so Taxifahrer Tony Walker zufrieden.
“He doesn’t change for nobody“, meint Tony Walkers Ehefrau bestimmt. Mit den Jahr(zehnt)en hat sich Tony zum heimlichen Star von Apteds Doku-Reihe gemausert, ist es doch kein Wunder, dass sein Segment seit 28 Up das Programm einläutet. Tony ist ein offener Mensch, einer, mit dem sich die Zuschauer problemlos identifizieren können. Unvergesslich sein Herumturnen als 7-Jähriger und sein Zukunftsmantra: “I want to be a jockey when I grow up“. Und in der Tat war Tony mit 14 Jahren auf dem Weg zum Jockey und berichtete in 21, dass er es auf drei Rennen gebracht hat. “I felt king for one day“, berichtet ein strahlender Tony, der seit 21 durch sein ehrliches Auftreten zu den Sympathieträgern der Serie zählt.

Mit 14 Jahren hatte Tony gemeint, er würde Taxi fahren, wenn sein Traum als Jockey zerplatzt. In 28 Up sehen wir ihn als Taxifahrer und als verheirateten Familienvater. Hatte er, der aus dem Londoner East End stammt, zuvor das Leben als wettlaufende Ellbogengesellschaft wahrgenommen, lernte er durch die Kontakte des Taxifahrens: “People are individuals“. Im Laufe der Jahre erfüllte sich Tony auch seine Träume eines Pubs und einer Schauspielkarriere, wenn auch nur bedingt und kurzfristig. “Better to be a ‘has been’ than ‘never was’”, schüttelt Tony den Vorwurf der Erfolglosigkeit ab. “I’ve done as well as I can go“, sagt der Londoner, der es in 49 Up zu einem Ferienhaus in Spanien geschafft hat.

“I’m still known to be an eccentric“, gesteht Sozialhilfeempfänger Neil Hughes.
Konträr dazu ist Neil wohl das Gegenbeispiel zu Tony und erhält seit 28 Up die meiste Aufmerksamkeit. “There are many things that might have happened in my life that haven’t happened“, blickt Sozialhilfeempfänger und Lokalpolitiker Neil Hughes in 49 Up auf sein Leben zurück. Er hatte es nicht nach Oxford geschafft und sein Studium in Aberdeen nach einem Semester abgebrochen. Mit 21 Jahren verdingte er sich als Zeitarbeiter, mit 28 Jahren war er obdach- und arbeitslos und trieb sich an der schottischen Küste herum. “Now I got a free hand but I got nothing to do with myself“, philosophierte Neil an einem Kieselstrand eines Sees und Roger Ebert bezweifelte, dass Neil mit 35 noch am Leben sein würde.

Was genau in Neils Leben schief lief, von jenem aufgeweckten 7-Jährigen und mit Abstrichen auch 14-Jährigen (“I wonder why I was like that“, zeigt er sich später distanziert) zu einem Mann, der seit er 25 ist keine feste Arbeit mehr hatte und am Rande der Gesellschaft lebt, bleibt fraglich. Es kann nicht Apteds Aufgabe sein, psychologische Aufarbeitung zu leisten, dass es zu einem Zerwürfnis mit seinen Eltern kam, erwähnte Neil bereits in 21. Ab 42 Up wirkt er zufriedener, was sich wohl primär dadurch verdankt, dass er inzwischen in Gemeinderäten für die Liberaldemokraten tätig ist. “I’d love to be in politics“, hatte Neil desillusioniert in 21 gestanden und es bleibt spannend, was aus ihm in 56 Up geworden ist.

“I think this film is extremely important“, ist Physikprofessor Nick Hitchon überzeugt.
Weniger Sorgen muss man sich da um Nick machen, der ebenfalls eine interessante Entwicklung durchgemacht hat. Sein “I don’t answer that kind of questions“ in Seven Up! ist ebenso wie Tonys Jockey-Mantra ein Evergreen innerhalb der Serie. Erstaunlich auch der Wandel von dem schüchternen, den Blick abwendenden Teenager in 7 Plus Seven hin zum extrovertierten, aufgeschlossenen Physikstudenten in 21. Eine ähnliche Entfaltung ließ sich auch bei Suzy zwischen 14 und 28 Jahren feststellen. Und saßen John und Andrew in 21 als Jurastudenten im Anzug vor der Kamera, begnügte sich ihr einstiger Schulkamerad Charles mit langen, ins Gesicht fallenden Haaren, sowie Jeans und einem T-Shirt als Outfit.

Sie alle von verspielten 7-Jährigen zu Großeltern um die 50 wachsen zu sehen, ist ein bemerkenswertes Schauspiel. “How many people do I have in my life to have known for over forty years?“, beschreibt Michael Apted sein Verhältnis zu den Teilnehmern. “Some don’t like me, some do like me - it is very much like a family.” Ähnlich verhält sich dies auch für den Zuschauer. Natürlich kennt man diese Menschen nicht wirklich, aber auf gewisse Weise schon. Wie Verwandte, die man alle paar Jahre nur zum runden Geburtstag der Großeltern trifft. Es gibt die Nicks, Symons und Tonys, die man gerne wiedersieht, die Neils, um die man sich sorgt und die Johns, die einem eher suspekt sind. Aber sie alle gehören zur Familie.

“It’s given him a link with his past“, sagt Paul Kligermans Frau Susan.
“We’re linked and that can never go“, nennt Lynn dieses Phänomen, das sie zwar für sich und die anderen Teilnehmer beansprucht, das aber - und hier tritt die Einzigartigkeit des Programms auf den Plan – auch transmedial den Zuschauer mit einbezieht. Viele sind mit Bruce und Paul, mit Jackie und Susan aufgewachsen. Und mit jeder Sichtung reflektieren sie nicht nur deren Vergangenheit und Wandel, sondern sie blicken auch zurück in ihre eigene Vergangenheit und wie sie sich selbst mit der Zeit verändert haben. Der einzige Unterschied ist, dass keine Kamera auf sie gehalten wird, sodass sie ihre Untreue nicht einer ganzen Nation gestehen müssen oder durch Regierungskritik ihren Job verlieren können.

Was als Studie zum britischen Klassensystem begann, entwickelte sich zur soziokulturellen Historiographie eines halben Jahrhunderts. Es war nicht entscheidend, worin sich die Beteiligten voneinander durch ihre Herkunft unterschieden, sondern was sie trotz dieser Unterschiede einte. Während Andrew, seit über zwei Jahrzehnten verheiratet, in 49 Up der Ansicht ist, eine Ehe zu unterhalten sei leicht, sind die anderen Teilnehmer skeptischer. Von denen, die sich scheiden ließen gar nicht erst zu reden, hatten außer Lynn (seit dreißig Jahren verheiratet) von Paul über Suzy (“We worked through the difficult times“) bis hin zum untreuen Tony (“It’s not easy being married“) im Grunde alle harte Zeiten zu durchstehen.

“It was only ever going to be one film“, verrät Regisseur Michael Apted.
Formaltechnisch sind sich Apted und sein Team weitestgehend treu geblieben. Durch Archivmaterial werden die einzelnen Segmente stets verlängert und zugleich eine Brücke in die Vergangenheit geschlagen, während das Programm seit 35 Up mit dem lebensfrohen Tony beginnt und mit dem depressiven Neil endet. “The strength is the talking head“, verrät Redakteur Kim Horton im Audiokommentar. Die Originaltöne, oft in Gesellschaft der Gattinnen (zum Beispiel bei Paul und Tony), werden gerade im späteren Verlauf durch Familienaufnahmen oder Zusammenführungen (unter anderem von Symon und Paul, die bis Letzterer mit 8 Jahren wegzog dasselbe Kinderheim besuchten) ergänzt.

Dank seines retrospektiven Charakters wirkt 49 Up dabei als das rundeste Werk, wobei an sich jede Sendung eine herausragende Stellung einnimmt. Der Wert, den die Reihe kultur- wie medienhistorisch hat, lässt sich schwer in Worte fassen. Michael Apted und Granada gelang eine sprichwörtlich einmalige Dokumentation, die nicht zwingend die beste ihrer Art ist, zweifelsohne jedoch die Bedeutendste im Besitz der Menschheit. “Most of us have for whatever reason chosen to go through with it“, sagte Suzy, die in 49 Up dazu tendierte, wie Charles und Peter die Serie zu verlassen. Hoffentlich findet sie einen Grund, nächstes Jahr in 56 Up zurückzukehren - und vielleicht finden Charles, Peter und die Anderen ihn auch.

9/10

Anm. d. Verf.: Die gesamte Dokumentationsreihe gibt es sehr günstig als 7-49 Up bei Amazon.co.uk (derzeit rund 25,- Euro inklusive Versandskosten)

13. April 2011

Schule

Ob hier irgendjemand von euch gottverdammten Wichsern Schnubbi gesehen hat?

Die Schule ist die schönste Zeit des Lebens. Nur weiß man das meist erst dann, wenn man sie bereits verlassen hat. „Das sorglose Leben ist vorbei“, weiß Schulabgänger Stone (Niels Bruno Schmidt) in Marco Petrys Schule. Mit dem Unterfangen, einen Tag im Leben einer befreundeten Gruppe von Abiturienten drei Wochen vor ihrer schriftlichen Prüfung einzufangen, ist Petry fraglos der ultimative Schulfilm aus deutschen Landen gelungen. Wo US-High-School-Filme aufgrund ihrer Kulturschranken nur bedingt eine Identifikation zulassen (das hierarchische System von Cheerleadern und Jocks existiert in Europa nicht wirklich), ist Schule nah dran an dem, was das letzte Bildungsjahr für viele Nicht-Großstädter bereitgehalten hat.

Es ist fraglich, ob sich Gymnasiasten aus deutschen Metropolen wie Berlin, Hamburg, Köln oder München ähnlich stark mit Marcus Baasweiler (Daniel Brühl), Melanie (Mina Tander), Dirk (Axel Stein) und Co. identifizieren können. An einem Freitagabend plant Marcus mit seiner alten Clique raus an den See zu fahren. Ziel: auf der Wiese rumhocken und Dosenbier saufen. „Was willst’n du sonst machen?“, fragt Marcus eine skeptische Melanie. Das kleine Örtchen Kerkweiler, in dem Schule spielt, ist nicht einmal eine Kleinstadt, allenfalls ein Vorort (die Figuren sprechen mehrfach vom „Kaff“). Eine Diskothek scheint es nicht zu geben, die Figuren haben die Wahl zwischen Unterstufenpartys und Seeausflügen.

Von seiner Struktur und seinem Aufbau her ähnelt Petrys Debütfilm am ehesten Richard Linklaters Dazed and Confused, dem Schule auch bisweilen in seiner Bildkomposition Hommage erweist. Zwar wird lose eine Geschichte erzählt, wenn Marcus sich mit seiner Freundin und Melanies jüngerer Schwester Sandra (Jasmin Schwiers) verkracht und diese daraufhin den Tag mit Stone, einem härteren Wooderson-Klon, verbringt. Prinzipiell geht es jedoch um das Zusammensein von Freunden, weshalb Rüdiger Suchsland recht hat, wenn er sagt: „Nicht auf die Story kommt es an, sondern auf die Stimmung“. Und es dürfte kaum jemanden geben, der nicht eine der Figuren oder eine der Begebenheiten wiedererkennt.

Sei es der überintelligente, aber sozialschwache „Streber“ wie ihn hier Sebastian Kroehnert in Person von Karbrüggen („Karbrüggen? Karbrüggen ist ein Penis“) darstellt, die kleine Schwester aus der Unterstufe, die per Stadtbekanntem Medium den Kosenamen ihres Freundes outet („Würden Sie dem Unterricht besser folgen, wenn ich Sie ab heute nur noch Schnubbi nennen würde?“) oder die Sichtung des Sonnenaufgangs auf dem Schulgelände nach durchgefeierter Nacht. Schule greift solche Erlebnisse auf und zelebriert sie nicht als etwas Singulär-Individuelles, sondern als Massenerlebnis, länder- und bundesweit. Wenn Dirk später prostet: „Auf dat wahre Leben“, steht das für die Authentizität des Films.

Eine Sichtung von Schule steht somit gleichbedeutend mit einer Sichtung der eigenen (Schul-)Vergangenheit. Wer Steven (Christian Näthe) sieht, denkt an denen eigenen Schulhof-Kiffer und André (Tim Egloff) ruft Erinnerungen an jenen Klassenkamerad wach, der es mit der Treue ebenfalls nicht allzu ernst nahm. Und wenn Denis Moschitto, Deutschlands cineastisches Migrantenkind Nummer Eins, hier „Nabil, der Türke“ ist, dann repräsentiert er - zumindest für german suburbia - sprichwörtlich den Quotentürken der Stufe. Kaum ein anderer deutscher Film vermag derart viel Nostalgie zu erwecken und wenige Filme fangen das Ausmaß, die Intensität und die Vergänglichkeit von Schulfreundschaften so gut ein.

Dabei ist durchaus nicht alles Gold was in Petrys Regiedebüt glänzt. Der Film weist in technischer Hinsicht bisweilen Schärfe- und Schnittfehler auf, die Handlung wiederum beginnt sich zudem in dem Moment zu verlieren, wenn die Clique sich aufsprengt und auf drei unterschiedliche Erzählstränge verteilt. So kommt es, dass der Übergang vom zweiten zum dritten Akt etwas zäh gerät, insbesondere der Ausflug zu Jessicas Hausparty. Spätestens mit dem gelungen und erfreulicherweise gerade für Stone kathartischen Finale auf dem Schulgelände, kriegen Petry und sein Film aber wieder die Kurve. Das sorglose Leben ist vorbei, das mag wohl stimmen, aber dank Schule kann man es so oft man will besuchen.

8.5/10

9. April 2011

Kurz & Knackig: US-Serien Teil V

Community - Season One

Had I not already cried at the sunrise this morning I would be weeping right now.

Manchmal begegnet man Serien, die nicht wirklich gut sind, die einem aber doch ans Herz wachsen. Primär wegen ihrer Figuren, bisweilen auch, weil das Format seiner eigenen Prämisse in ein, zwei Szenen exzellent gerecht wird. So gibt es Licht und Schatten im Kritikerliebling 30 Rock, wusste die Spionage-Komödie Chuck im ersten Jahr irgendwie doch zu gefallen und ließ einen über die Jahre hinweg am Ball halten oder vermochte Arrested Development hier und da zu beweisen, warum sie für viele als die beste Sitcom im Fernsehen galt. Ähnlich verhält sich das alles auch bei Dan Harmons College-Serie Community - sympathische Figuren, teilweise geniale Szenen, aber in ihrer Summe eine unterdurchschnittliche Serie.

Die Prämisse der Sitcom ist schnell erzählt. Anwalt Jeff (Joel McHale) wird sein Abschluss aberkannt, weshalb er diesen an einem Community College nachholt. Weil er das Blondchen Britta (Gillian Jacobs) heiß findet, bietet er ihr Spanischnachhilfe an, während Britta jedoch noch fünf weitere Mitglieder des gemeinsamen Spanischkurses zu dem Lernkreis einlädt. Eine kunterbunte Truppe, von den High School Abgängern Annie (Alison Brie) und Troy (Donald Glover) über den palästinensisch-amerikanischen Abed (Danny Pudi), bis hin zur alleinerziehende Shirley (Yvette Nicole Brown) und Gasthörer Pierce (Chevy Chase). Fortan freundet sich die Gruppe an, obschon dies nur bedingt wirklich nachvollziehbar ist.

So erscheint Pierce als sexuell belästigender Rassist und Abed ist eine wandelnde Film- und Serienenzyklopädie ohne echte Sozialkompetenz. Passenderweise, Sitcom hin oder her, wird auch nie thematisiert (nicht mal humoristisch, davor hatte Harmon dann wohl Angst), dass sich hier mit Abed ein Palästinenser und mit Annie eine Jüdin anfreunden. Auch sonst fragt man sich, ob die Charaktere eigentlich nichts besseres zu tun haben, als miteinander abzuhängen beziehungsweise wie sich zum Beispiel Jeff finanziell über Wasser hält, wo er ja nun nicht mehr praktizieren kann. Stattdessen verkommt die Serie zur Sozialschmelztiegel-Comedy, die sogar ein Mal von Jack Black, Owen Wilson und Tony Hale unterstützt wird.

Das Niveau der Folgen ist fast durchgängig unterdurchschnittlich, lediglich Modern Warfare brennt ein Feuerwerk der Sonderklasse ab, wenn unter anderem Die Hard, Lat sau san taam und 28 Days Later reminisziert wird. Filmzitate gibt es ohnehin en masse, von Good Will Hunting in English as a Second Language bis hin zu The Breakfast Club in Communication Studies. Grundsätzlich hat Community Potential, sei es durch Donald Glover, den heimlichen Star der Serie, Ken Jeongs Señor Chang oder das absurd-hässliche College-Maskottchen. All das hilft der Serie zwar qualitativ nicht sonderlich weiter, verleiht ihr jedoch einen gewissen Charme. Weshalb einem Community ans Herz wächst, auch wenn sie nicht besonders gut ist.

6.5/10

Luther - Season One

One coffee doesn’t make us friends.

Was macht ein Schauspieler eigentlich, wenn er Zeit seines Lebens nur mit einer Rolle in Verbindung gebracht wird? Dieser lange Schatten, den er nie ausfüllen kann. Egal ob Sean „James Bond“ Connery, Elijah „Frodo“ Wood oder Tobey „Spider-Man“ Maguire. Wer an sie denkt, denkt zugleich an ihre große Rolle. Auch, weil nichts nachkommt, kein Charakter, der sie ablöst. Und wenn, reiht er sich nur daneben, wie im Falle von Harrison Ford, der für die einen eher „Han Solo“ und für die anderen mehr „Indiana Jones“ ist. Und wenn man Idris Elba begegnet, dann kommt man nicht umhin, an Stringer Bell zu denken, jene charismatische Figur aus The Wire. Und daran wird auch seine neue Serie, Luther, nichts ändern.

John Luther (Idris Elba) ist Chefermittler des Londoner Morddezernats und in dieser Funktion “influenced by both Sherlock Holmes and Columbo”, so Serienschöpfer Neil Cross. Daher weiß Luther kaum am Tatort auch bereits, wie der Hase läuft und es dauert stets weniger als die Hälfte der Sendezeit, ehe der Tatverdächtige bereits am Start ist. Aber Luther ist nicht irgendwer, sondern menschlich. Weswegen er einen Frauenmörder auch einst in seinen vermeintlichen Tod stürzen ließ, statt ihn zu retten. Nach psychischem Kurzschluss arbeitet er ab Episode 1 wieder, aber die Ehe mit Zoe (Indira Varma) ist dennoch am Arsch. Und dann ist da noch Soziopathin Alice (Ruth Wilson), die einen Narren an Luther gefressen hat.

Die Figuren in Luther sind Abziehbilder aus dem Ermittlerserien-Paniniheft (immerhin ist Luther kein Alkoholiker). Die absurde „Freundschaft“ zwischen Elbas Figur und der grandios fehlbesetzten Wilson als Hannibal Lecter mit Titten funktioniert bezeichnenderweise zu keinem einzigen Zeitpunkt und wenn Alice plötzlich Zoe bedroht und Luther mit großen Augen hilflos daneben steht, wünscht man sich mehr als ein Mal Stringer her, damit er dieser Hanswurst in den Arsch tritt. Luther ist in den meisten Fällen einfach nur enttäuschend lächerlich in dem, was die Serie versucht zu erzählen. Episode 2 ist hier noch am erträglichsten ausgefallen und das trotz (!) des peinlichen, aus Bond-Filmen entlehntem, Finale.

Es ist eine Schande, dass Idris Elba (der bei diesem Desaster auch noch als Produzent fungiert) zwischen coolen Rollen wie RocknRolla und The Losers zu Charakterschrott wie Obsessed und Luther hin- und hergereicht wird. Die Serie, die sich zum Ende hin in einem sichtlich bemühten, aber vollkommen realitätsfernen Twist versucht, ist in ihrem blitzgescheiten und auf einen kantigen Charakter zugeschnittenen Ermittlungsformat wohl allenfalls (oder: besonders) etwas für Fans von Serien wie House M.D. und Damages als deren Zwitter sich Luther auch mehr als offensichtlich anbiedert. Und obschon die Serie wahnwitziger Weise in eine zweite Staffel zu gehen scheint, wird Idris Elba auch weiterhin Stringer Bell bleiben.

4/10

Life Unexpected - Season Two

We’re all gonna be okay.

Vielleicht mit das größte Problem von Liz Tigelaars Life Unexpected fand sich in ihrer ersten Staffel in der Figur von Lux (Brittany Robertson). Ein Pflegekind, das mit 16 Jahren statt emanzipiert zu werden, in die Obhut seiner natürlichen Eltern kommt - und diese zum ersten Mal trifft. Robertsons Rolle leidet am Nerviges-Kind-Syndrom, was auch nicht dadurch entschuldigt wurde, dass die Serie auf dem Teenie-Sender The CW ausgestrahlt wurde. Altkluge Ratschläge an ihre Eltern Baze (Kristoffer Polaha) und Cate (Shiri Appleby) verfügten immer keinen Hintergrund und wirkten stets sehr egoistisch. Teenager eben. Leider ändert sich das in der zweiten Staffel nicht, obschon diese manches richtig zu machen versucht.

Denn jede der Figuren bekommt ein eigenes Päckchen zu schultern, womit diese zumindest beschäftigt sind. Versuchen Cate und Ryan (Kerr Smith) ihre Ehe zusammen zu halten, beginnt Baze eine Beziehung mit Emma (Emma Caulfield), seiner Vorgesetzten, und Lux wiederum eine Affäre mit ihrem Englischlehrer Eric (Shaun Sipos). Das ist zwar alles an sich interessant und wird später noch durch einen alten Missbrauchsskandal von einem von Lux’ Pflegevätern komplettiert, die gesamte Staffel vermögen jedoch auch diese sehr simpel gehaltenen und sich zugleich ähnlichen Handlungsstränge nicht zu tragen. Was besonders deswegen anstrengend ist, weil Lux besonders anstrengend ist. Teenager eben.

Aber wahrscheinlich empfindet man das einfach so, wenn man alterstechnisch näher an Cate denn Lux ist, das Besserwisserische Verhalten von Letzterer angesichts ihrer fraglosen moralischen Disposition gereicht Life Unexpected jedenfalls nicht zum Vorteil. Auch die übrigen Figuren verlieren sich etwas in ihrem redundanten Profil (wie viele Knüppel kann man Cates und Ryans Beziehung eigentlich zwischen die Beine werfen?). Erfrischend dramatisch wird es da erst, wenn Lux plötzlich gegen ihren ehemaligen Pflegevater aussagen muss, weshalb Thanks Ungiven und Stand Taken gegen Ende der Staffel auch die überzeugendsten Episoden eines zweiten Jahres voller Durchschnittlichkeit ausmachen.

Grundsätzlich hätte sich die Serie sogar zum Vorjahr gesteigert, wäre da nicht dieses grausige Serienfinale in Affair Remembered. In den letzten Minuten schlägt Tigelaar einen Salto Mortale - mit verheerendem Ausgang. Wie die Figuren hier in Zuschauererwartungen gepresst werden, hat durchaus etwas von charakterlicher Vergewaltigung und läuft im Grunde auch dem zuwider, was sich insbesondere die zweite Staffel erarbeitet hat. Hier erhielt ein Ende mit Schrecken den Vorzug vor dem Schrecken ohne Ende, ohne dass davon irgendwer profitiert hätte. Letztlich war Life Unexpected eine Serie, die nie so recht wusste, wo sie eigentlich hin wollte, aber stets vorgab, ihren Weg zu kennen. Wie Teenager eben.

7/10

Southland - Season Three

Sometimes doing the right thing is the wrong thing.

Es entspricht der US-amerikanischen Mentalität, dass man aufsteht, wenn man hinfällt. So gesehen ist Southland eine durch und durch amerikanische Serie, die sich auch von jährlichen Einstellungen nicht kleinkriegen lässt. Bereits zum zweiten Mal kehrte die Cop-Show nun zurück, nachdem ihr Sender wenig Verwendung für sie fand. Aber alles hat einen Preis und für Southland lautet er: eine Budgetkürzung um mehr als 30 Prozent, weshalb die einen Darsteller ein geringeres Gehalt erhielten und andere gleich ganz aus der Serie geschrieben wurden. Der Lohn waren mehr oder weniger konstante zwei Millionen Zuschauer (nur 20 Prozent der Zuschauer der Pilot-Folge) und zehn gelungene Folgen.

Im Gegensatz zur zweiten Staffel Life Unexpected laufen hier drei Handlungsstränge relativ problemlos über die gesamte Zeit, unabhängig davon, dass sie stagnieren. Sherman (Ben McKenzie) ist in seinem dritten und letzten Ausbildungsjahr und kämpft immer noch gegen Coopers (Michael Cudlitz) Schmerzmittelabhängigkeit, während es Adams’ stete Hauptaufgabe ist, mit ihrem Partner, in diesem Fall der Chicana Josie Ochoa (Jenny Gago), klar zu kommen. Die größte Dynamik erhält die Figur von Sammy (Shawn Hatosy), der eine persönliche Vendetta gegen die Chicano-Gangs beginnt, nachdem diese während einer nächtlichen Kontrollfahrt seinen Partner Moretta (Kevin Alejandro) ermordet haben.

Abgesehen davon ändert sich in Southland nicht viel - schon gar nicht, dass auch im dritten Jahr die beste Folge, hier: Let It Snow, den Auftakt bildet. Zwar will einem nicht alles immer koscher erscheinen, angesichts dessen, was man präsentiert bekommt, wirkt es jedoch nachvollziehbar. Zum Beispiel, dass Sherman weiterhin loyal-schweigend mit Cooper seine Runden dreht, was ob seiner immer wieder gezeigten Unerfahrenheit und der Tatsache, dass Cooper sein Ausbilder ist, verständlich erscheint. Auch die eher ertragene, denn gelebte Beziehung zwischen Adams und Ochoa kommt letztlich auf einen gemeinsamen Nenner. Die Intensität der Sammy-Bryant-Storyline weiß jedoch keine von ihnen zu erzeugen.

Im Gegensatz zu anderen Serien handelt es sich hierbei nicht um ein Format, das jede Staffel ein bestimmtes Thema abarbeitet, weshalb Southland relativ leger ein- wie aussteigen kann. Durch die verstärkte Emotionalität rückt dabei Hatosy in den Mittelpunkt der Show und überflügelt die etwas zurücksteckenden King und McKenzie in der Zuschauergunst. Grundsätzlich ist Southland eine mehr als solide Serie, die das liefert, was man erwartet - nicht mehr und nicht weniger. Und dem Schicksal der ersten und zweiten Staffel zum Trotz, scheint es ganz so, als würde die Serie dieses Jahr die angedrohte Einstellung vermeiden. Weshalb nichts dagegen spricht, im Herbst wieder auf Streife zu gehen.

7.5/10

Shameless - Season One

Fucking Gallaghers.

In Zeiten, in denen Hollywood nahezu jedem europäischen Film (bevorzugt aus Schweden oder Frankreich) ein Remake verleiht, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, verwundert es auch nicht, dass selbst Fernsehserien in das heimische TV-Haifischbecken geworfen werden. Beliebter Zulieferer sind hierbei die Briten, von denen bereits erfolgreich The Office, aber auch Being Human, sowie weniger gelungen Serien wie Cold Feet eingekauft wurden. Das jüngste Adoptivkind ist nunmehr der BAFTA-Gewinner Shameless, eine vor sieben Jahren von Paul Abbott (State of Play) geschaffene Serie über den Alkoholiker und Versicherungsbetrüger Frank Gallagher, sowie seine sozial vernachlässigten sechs Problemkinder.

Im Vergleich mit Frank (William H. Macy) erscheint Al Bundy als Mustervater und selbst die Flodders haben es schwer, mit der Asozialität der Gallaghers mitzuhalten. Während Frank seine Sozialhilfe in der Eckkneipe versäuft, ist es die älteste Tochter Fiona (Emmy Rossum), die seit der Flucht der Mutter vor knapp zwei Jahren den Haushalt schmeißt. Eher widerwillig lässt sie Steve (Justin Chatwin), Autodieb aus gutem Hause, hinter ihre Barrikaden blicken, während ihre Geschwister wie der homosexuelle Ian, der eine Affäre mit seinem muslimischen Vorgesetzten unterhält, eigene Probleme haben. Die Großmutter sitzt derweil wegen fahrlässiger Tötung zweier Studenten bei einem Meth-Lab-Unfall im Knast.

Das Familienleben der Gallaghers ist Chaos pur, die Kinder unterschiedlich anstrengend und dementsprechend auch die Sympathien verteilt. Lip (Jeremy Allen White), das Familiengenie, funktioniert neben Justin Chatwin noch am ehesten als Identifikationsfigur, während gerade Carl, der Zweitjüngste, eher verstört. Die Serie selbst ist nach einem einfachen Schema aufgebaut: Franks Egoismus gefährdet das Familienüberleben und Emmy Rossum ist wie Shanola Hampton und Laura Slade Wiggins vertraglich verpflichtet, mindestens jede zweite Folge ihre Titten in die Kamera zu halten. Die eigentlichen Geschichten sind in ihrer Absurdität meist etwas over the top geraten, aber dies auf durchschnittlichem Niveau.

Neben der Pilot-Folge überzeugt It’s Time to Kill the Turtle am meisten, grundsätzlich leidet die US-Adaption jedoch darunter, dass sie ihr UK-Pendant einfach nacherzählt und es somit im Gegensatz zu The Office versäumt, etwas Eigenständiges auf die Beine zu stellen. Sinn und Zweck des Ganzen ist also in Frage gestellt, Shameless für Kenner des Originals daher eher ein frisch aufgewärmter alter Hut in neuem Gewand. Spannend wird es vielmehr in der zweiten Staffel und ob Showtime hier weiterhin konsequent dem Original treu bleibt. Ob der Sender sein US-Remake ebenso lang am Leben halten kann, wie das britische Original (das in das neunte Jahr geht) bleibt trotz bisheriger guter Quoten allerdings fraglich.

7/10

No Ordinary Family - Season One

Everything is not what it seems.

In Hollywood herrscht Ideenarmut und Kreativitätsdürre. Da erhält Spider-Man kein Jahrzehnt nach seinem Debüt bereits ein Reboot und sogar Batman soll ein derartiges erfahren, ehe überhaupt die Dreharbeiten zu dessen Trilogieabschluss begonnen haben. Wen wundert es da, dass selbst im Fernsehen alte Stoffe wiederverwertet werden, ehe sich der Staub beginnt auf sie zu legen? Im Falle von No Ordinary Family stellt sich dies in einer Realfilmversion von Pixars The Incredibles dar. Hier wird eine Kleinfamilie mit Superkräften ausgestattet, was es der Serie von Jon Harmon Feldman und Greg Berlanti gewährt, sogar ganze Subplots aus dem Animationsfilm zu entnehmen und für eigene Zwecke zu recyclen.

Nachdem ihr Flugzeug in Südamerika bei einem Familienausflug abstürzt, stellt die Familie rund um Polizeizeichner Jim Powell (Michael Chiklis) und Biochemikerin Stephanie (Julie Benz) fest, dass ihre DNS verändert wurde und sie Superkräfte entwickelt haben. Jim ist superstark und unverwundbar, Stephanie superschnell, Tochter Daphne (Kay Panabaker) ist telepatisch und Sohn JJ (Jimmy Bennett) hat ein Supergehirn. Speziell für Vater Jim sind die neuen Kräfte nun eine Chance, endlich zu dem Mann zu werden, der er immer sein wollte. Gemeinsam mit Staatsanwalt George (Romany Malco) bekämpft er nachts das Verbrechen, während Stephanie mit Assistentin Katie (Autumn Reeser) die Superkräfte-DNS untersucht.

Bösewichte gibt es dann auch noch, wie Stephanies Boss (Stephen Collins), der Kriminelle mit einem Substitut der Superkräfte ausstattet, sodass altbekannte Comic-Figuren wie Wolverine in neuer Form (hier: Eric Balfour) aufleben. In seiner Rezitationswut, speziell durch Autumn Reesers hottest nerd alive, ist die Serie besonders für Comic-Fans ein gelungenes Unterfangen. Während sich die erste Hälfte der Entdeckung der Kräfte widmet, ist die zweite Hälfte mit mehr dramaturgischen Verknüpfungen ausgestattet. Qualitativ hat dies allerdings kaum einen Einfluss, bewegt sich die Serie doch meist auf einem durchschnittlichen Niveau, mit No Ordinary Powell und dem Finale No Ordinary Beginning als Höhepunkten.

So amüsant es auch ist, wenn JJ seine Kräfte im sportlichen Wettkampf messen will und Daphne wiederum die Aufmerksamkeit von Jungs gewinnt, wenn Jim Verbrechen bekämpfen will und es Stephanie untersagt, so zeugen die Anleihen an The Incredibles (bis hin zum glatzköpfigen afroamerikanischen Sidekick) von Hollywoods Krux. Dass No Ordinary Family im Laufe der Staffel die Hälfte ihrer Quoten einbüßte und damit wohl eingestellt wird (Chiklis und Benz haben schon neue Serienverträge), ist eventuell die Konsequenz der Repetition Hollywoods. Dass die Serie Ansätze besitzt, no ordinary drama show zu sein, hat sie im Staffelfinale gezeigt. Weshalb ABC gut beraten wäre, ihr eine zweite Chance zu geben.

7.5/10

5. April 2011

Sucker Punch

If you don’t stand for something, you’ll fall for anything.

Träume sind Schäume, heißt es so schön. Sprich: Traumwelten besitzen nicht den Charakter des Realen. Doch wo wäre da der Jux für hollywood’sche Narrationseskapaden? So kommt es, dass man selbst in einer virtuellen Realität wie der Matrix sterben kann. “Your mind makes it real“, weiß Morpheus, und: “The body cannot live without the mind”. Ähnlich emanzipiert ging im vergangenen Jahr Inception vor, als Cobb erklärt: “Dreams feel real while we’re in them. It’s only when we wake up that we realize something was actually strange”. Dementsprechend verwundert es wenig, wenn uns Carla Gugino in Sucker Punch verrät: “What you are imagining right now, that place can be as real as any pain”.

Mit seinem jüngsten Film versucht Regisseur Zack Snyder den Pfaden von Christopher Nolan und Martin Scorsese zu folgen, die sich im Vorjahr auf unterschiedliche und doch nicht unähnliche Weise in ihren jeweiligen Werken dem menschlichen Verstand näherten. Wie bei seinen Vorgängern ist sein Unterfangen zum Scheitern verurteilt, schon alleine deshalb, da die Freiheit des Geistes in einer massenkompatiblen Kanalisierung wie sie Hollywood anstrebt weder begreifbar noch durchführbar wäre. Worin sich Snyders Film, und darin folgt er mehr Scorseses Beitrag denn Nolans, auszeichnet, ist sein Vorhaben, einen Metafilm zu erschaffen. Einen Unterhaltungsfilm über Unterhaltungsmedien - und ihre Mechanismen.

Das Resultat, Sucker Punch, ist wie von Andrew O’Hehir treffend beschrieben “a ridiculously ambitious and perhaps fatally flawed mashup of ideas”. Snyder versucht viel, was ihn einerseits ehrt, andererseits jedoch in seinem Unterfangen oftmals ein Bein stellt. Denn Sucker Punch kritisiert, was er zugleich ist, beziehungsweise er ist, was er kritisiert. Sicherlich gewollt, nur fällt es dem Film schwer, Kritiker und Kritikobjekt zugleich zu sein. “This is your journey. If you succeed, it will set you free”, sagt Scott Glenns Figur in Snyders Film. Und hätte Snyder mit Sucker Punch reüssiert, könnte der Film auch als Loslösung der hollywood’schen Ketten gelten und ansatzweise das sein, was sein Titel propagiert.

Ein sucker punch, das ist laut dem Oxford Dictionary “an unexpected punch or blow”. Das Unerwartete am Film ist, dass Snyder ironisiert, was ihn und seine Branche auszeichnet beziehungsweise von ihnen erwartet wird. Dass es Sucker Punch hierbei an Schlagkraft fehlt, ist der größte Makel, den man ihm vorwerfen kann. Angel Wars, einer der Alternativtitel, wäre dem Film möglicherweise besser gerecht geworden. “Everyone has an angel”, erinnert uns Abbie Cornish zu Beginn. “Yet they’re not here to fight our battles. But to whisper from our hearts. Reminding that it’s us.” Auf seiner narrativen Ebene eint Snyders fünfter Spielfilm fortan weniger mit dem Sci-Fi-Heist-Movie Inception als mit James Mangolds Identity.

Nach einem inhaltlich überflüssigen Prolog wird eine 20-Jährige (Emily Browning) Mitte der 1950er Jahre von ihrem Stiefvater in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert. Dem  Erbe der verstorbenen Mutter standen ihre zwei Töchter im Weg. Der Versuch, die kleine Schwester zu retten, scheiterte. Mittels Bestechung organisiert der Stiefvater eine Lobotomie, die vom zuständigen Arzt (Jon Hamm) einige Tage später durchgeführt wird. Zur Identitätswahrung flüchtet sich die Patientin als „Baby Doll“ in den eigenen Geist, einem Nachtclub als Traumebene, in der sie mit Hilfe von vier anderen „Patientinnen“ die Freiheit ihres Verstandes anstrebt: “This is your journey. If you succeed, it will set you free.”

Der Ausbruch aus der Anstalt ist nur ein vermeintlicher, ein Imaginärer. Die Lobotomie ist unausweichlich, der eigentliche Film selbst spielt sich im Bruchteil einer Sekunde ab. Baby Doll projiziert sich selbst auf fünf Charaktere, von denen besonders das Schwesterpaar Sweet Pea (Abbie Cornish) und Rocket (Jena Malone) hervortreten, was angesichts der Vorgeschichte naheliegend ist. Für die Bewahrung ihrer Persönlichkeit bedarf es in der ersten Phantasieebene eines zweiten Levels. Während die inhaltliche Gestaltung des Films nun den Konventionen  der Branche zu folgen versucht, dient die äußerliche Präsenz von Sucker Punch Snyders Gegenwartskommentar über Nerds, Geeks und insbesondere Pop-Kultur.

Das Ergebnis präsentiert sich wie die Schablone eines ungemein unterhaltsamen Videogames, wenn sich Baby Doll als vollmundiger Sailor-Moon-Klon mit Schwert und Wumme gegen übermenschliche Samurais, Dampfbetriebene deutsche Soldaten, Orks und Roboter behaupten muss. Snyder “gives us what we want (or what we think we want, or what he thinks we think we want)”, beschreibt O’Hehir richtig. Wenn die Figuren hier Blondie (Vanessa Hudgens) und Sweet Pea heißen, wenn sie knapp bekleidet wie Amber (Jamie Chung) rumrennen, dann hat das nichts mit Baby Dolls Selbstbild oder dem von Snyder zu tun, sondern mit dem des Publikums, das sich nach solchen Darstellungen sehnt und lechzt.

Wenn sich Browning und Co. in knappen Röcken durch die Gegend kämpfen, ist das nur eine Fortführung etwaiger Figuren wie der vollbusigen Lara Croft und wenn die deutschen Soldaten mittels Uhrwerk und Dampf von den Toten zurückgeholt werden, spiegelt dies die Tradition Hollywoods wieder, das die Deutschen als emotionslose Maschinerie zum unsterblichen Bösewicht verklärt. Zeitlupe, MG-Salven, Orks, Drachen, Roboter, ferne, futuristische Welten - ein Potpourri der Pop-Kultur unserer Zeit, von The Matrix über Lord of the Rings und so weiter und so fort. Snyder bedient diese Bilder nicht, weil ihm keine besseren einfallen (das vielleicht auch), sondern weil es Bilder sind, die der Zuschauer sehen will.

Schlecht geklaut, behaupten die einen, wobei es unzureichend umgesetzt sicherlich besser trifft. Im vergangen Jahr avancierte Tim Burtons gerade im Finale bemitleidenswert zusammengeklaubter Alice in Wonderland zum zweiterfolgreichsten Film des Jahres. Hollywoods Ideenarmut und Repetitionswut von marktforscherisch ermittelten Sicherheitsankern der Unterhaltungsmedien werden von Snyder plakativ zur Schau gestellt und seiner eigenen Handlung untergeordnet. “I still want it to be a cool story and not just like a video game where you’re just loose and going nuts”, so Snyders Ziel, mit dem er sich letztlich jedoch zweifelsohne zu viel zugemutet und aufgelastet hat. Ridiculously ambitious and fatally flawed.

Verkauft man dem Publikum cineastische Mangelware in pompösem Gewand inklusive 3D-Verkleidung, scheint der Erfolg vorprogrammiert. Zeigt man dem Publikum, womit es sich eigentlich abspeisen lässt, was es im Grunde für seine acht bis zehn Euro goutiert, dann verhält es sich wie mit der Lebensmittelbranche in Food Inc.: “If you knew, you might not want to eat it“. In seiner Darstellung des hollywood’schen Status Quo ist Sucker Punch als Unterhaltungsfilm (insbesondere der Marke „Snyder“) objektiv gesehen quasi zum Scheitern verurteilt, will er nicht als Husarenstück gelten und damit den neuen Prototyp geben, dem die Studiobosse von Warner, Universal und Fox geflissentlich nacheifern.

Zwar bedient sich Snyder wie gewohnt in seiner Werkzeugkiste, dem cobain’schen Mantra (“here we are now, enterain us“) wird er damit im Vergleich zu seinem Meisterwerk 300 jedoch nur bedingt gerecht. Dazu fehlt es der Musik von Tyler Bates an Martialität und Wumms, was sich durch den Soundtrack erklären lässt, der aufgrund seiner doppeldeutigen Lyrics ausgewählt wurde. Ähnlich wie die Musik vermisst auch der Film oft Tempo, speziell in den Actionszenen, die meist in der Leere stattfinden. Besonders überzeugen können Baby Doll und Co., wenn sie auf engem Raum gegen mehrere Gegner kämpfen, wie zum Teil gegen die Deutschen in den Grabenkämpfen oder speziell im Zugwagon gegen die Roboter.

Das alles macht Sucker Punch nicht zum schlechten Film (er kann fraglos mit einigen seiner Vorbilder mithalten), auch wenn Snyder seine eigentliche Geschichte eher schleppend erzählt, da sie als Ballast seinen Kontemporärkommentar mitschleppt. Als visual happening, wie es 300 war, steht sich der Film daher oft selbst im Weg. Die Ingredienzien für einen guten Film sind oftmals sichtbar, sodass Sucker Punch ein falsch zusammengesetztes Puzzle ist, bei dem man erkennt, was es sein sollte. Dennoch sind die Ambitionen, mit denen Snyder an dieses Projekt heranging, beachtens- und lobenswert. Getreu dem im Film proklamierten Leitspruch: If you don’t stand for something, you’ll fall for anything.

4.5/10

1. April 2011

Classic Scene: Top Secret! - Awash Saloon Brawl

DIE SZENERIE: Nachdem sich Nigel (Christopher Villiers), die Jugendliebe der US-amerikanischen Spionin Hillary, als Doppelagent der UdSSR herausgestellt und Hillary entführt hat, obliegt es dem US-amerikanischen Pop-Star Nick Rivers (Val Kilmer) sie zu retten. Nick holt Nigels Wagen auf einer Brücke ein und in ihrem Handgemenge fallen beide in einen sich darunter befindenden Fluss. Dort setzen sie ihren Konflikt fort.

NICK and NIGEL sink to the bottom of the river while Nigel is grasping the collar of Nick’s jacket who can free himself and punch Nigel in the stomach. Nigel returns with a right punch in Nick’s face. When Nigel tries to place a second, similar punch, Nick blocks it and places a combo of stomach hits on Nigel. The combo is finished with another hit in Nigel’s face, leaving him to “fly” back with an exuberant Nick celebrating the punch.

While Nigel is drifting back he encounters a barstool standing in the sand. He takes the stool and smashes it onto Nick who stumbles back, lands on a table and pushes the approaching Nigel back with both feet.

The kick sends Nigel against a bar where he grabs a revolver lying on the counter but gets a bottle smashed on his head by the bartender before he can fire at Nick. His misfire hits a chandelier which nearly crashes Nick when falling down.

A group of cowboys playing poker begin to duck under their table as the brawl continues to grow in intensity. Nick approaches the bar, lands a punch on Nigel and gets hit in return. He then manages to block another punch and smacks Nigel in the face with the back of his hand. Suddenly Nick’s feet start to twist, attracting Nigel’s attention. Nick lands a couple of punches in Nigel’s face and then twists both of his nipples.

Nick pulls Nigel to his other side and swings his left arm stagily but punches Nigel with his right. This causes Nigel to fly through a window while Nick is adjusting his jacket and the theme of Bonanza starts to play.

Before leaving the saloon, Nick kneels down to pick up a cowboy hat. A prostitute lying on the counter addresses him.

PROSTITUTE: Goodbye.

Nick sees off the prostitute grinning and leaves the saloon.