11. Oktober 2010

Vorlage vs. Film: Romeo and Juliet

Romeo and Juliet (1595/96)

Für die einen ist er der größte Dramatiker aller Zeiten, für die anderen lediglich ein Pseudonym. William Shakespeare soll im April 1564 in Stratford-upon-Avon geboren worden sein und heiratete als 18-Jähriger Anne Hathaway. Mit Ende zwanzig fand er erstmals Erwähnung als Theaterautor und als er am 23. April 1616 verstarb, waren 18 seiner 37 Stücke publiziert worden. Galt Ende des 16. Jahrhunderts Christopher Marlowe als der größte Dramatiker des elisabethanischen Zeitalters, zog Shakespeare zumindest was die Bekanntheit angeht über die Jahrhunderte hindurch an seinem Zeitgenossen vorbei. Glaubt man Ulrich Suerbaum, so war Romeo and Juliet seiner Zeit für Shakespeare sein „erster großer und dauerhafter Erfolg“ im Tragödienfach. Inzwischen gelten die beiden „star-cross’d lovers“ als „das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur“ - was sich auch dadurch zeigt, dass es seit seiner Entstehung kontinuierlich aufgeführt wurde. De facto war es zwischen 1751 und 1800 mit 399 Aufführungen sogar Shakespeares meistgespieltes Stück.

Der Ruhm, der dem Stück gebührt, ist bemerkenswert. Nicht zuletzt, weil es nicht in seiner Originalfassung vorliegt. Die meisten Versionen greifen auf die zweite Quartfassung zurück, eine Rohfassung von Shakespeare, die bisweilen durch die schlechte erste Quarto, basierend auf Erinnerungen der Schauspieler, ergänzt wird. Wäre Romeo and Juliet also ein Drehbuch, müssten wir uns mit einem First Draft begnügen, während Shakespeares Final Draft im 16. Jahrhundert verschollen bleibt. Wie angesprochen handelt es sich bei seinem vermutlich berühmtesten Werk neben Hamlet und Macbeth um eine Tragödie. Erzählt wird von der „death-mark’d love“ zweier Kinder aus verfeindeten Häusern im würdevollen Verona. Die Handlung entstammt der italienischen Novellenliteratur des 16. Jahrhunderts, zu der neben Luigi Da Portos A Story Newly Found of Two Noble Lovers von 1530 auch Matteo Bandellos Romeo e Guilietta aus dem Jahr 1554 zählt. Von ihnen ließ sich Arthur Brooke zu The Tragicall Histroye of Romeus and Juliet (1562) inspirieren.

Shakespeare nahm die zugrunde liegenden Werke und bearbeitete sie nach seinem Gusto. Wie der Titel schon sagt, handelt das Stück von Romeo und Juliet. Beide werden, wie es sich für die Tragödie des elisabethanischen Zeitalters gehört, durch Fortunas Zutun zu Fall und damit zu Tode kommen. Mehr schlecht als recht leben die verfeindeten Häuser Montague und Capulet in Verona. Als mal wieder ein Streit ausbricht, droht der Verona regierende Prinz Escales mit drastischen Konsequenzen bei einem weiteren Friedensbruch. Sorgen, die den jungen Romeo nicht plagen. Stattdessen wird der einzige Sohn des Grafen Montague vom Liebeskummer heimgesucht, versagt sich ihm doch die schöne Rosaline. „He makes himself an artificial night“, bemerkt auch sein Vater (1. Aufzug, 1. Szene). Um seine Stimmung anzuheben und Rosaline zu verdrängen, schlägt Romeos Cousin Benvolio vor, eine abendliche Veranstaltung der Capulets zu besuchen. Dieser willigt, ahnt jedoch: „Some consequence yet hanging in the stars“ (1. Aufzug, 4. Szene).

Ein Ölgemälde von Fort Maddox Brown aus dem Jahr 1870 zeigt die berühmte Balkonszene
Das Schicksal nimmt auf der Feier seinen Lauf. Romeo erblickt Juliet, die Tochter des Grafen Capulet, der diese - insofern sie zustimmt - mit dem Grafen Paris vermählen will. Doch die Jugendlichen verlieben sich sofort und auf Initiative von Juliet wird noch in derselben Nacht der verfeindeten Familien zum Trotz die Ehe beschlossen. Da Juliets heißblütiger Cousin Tybalt jedoch Romeo auf der Feier erkannte und seine Anwesenheit als Affront empfand, sucht er diesen am nächsten Tag auf, um sich mit ihm zu duellieren. Der frisch Vermählte weicht aus, was von seinem besten Freund, dem nicht minder erregbaren Mercutio, zum Anlass genommen wird, Tybalt Einhalt zu gebieten. Durch Romeos unbeholfenes Einschreiten wird Mercutio tödlich verletzt und stellt das erste Opfer im Familienzwist dar („A plague o’ both your houses!“, 3. Aufzug, 1. Szene). Romeo rächt den Freund und flieht nach dem Mord an Tybalt und der nachgeholten Hochzeitsnacht mit seiner Angetrauten ins Exil nach Mantua.
Die Ereignisse überschlagen sich. Juliets Vater setzt nun die Hochzeit mit Paris fest. Um einen Suizid des Mädchens zu vermeiden, beginnt Bruder Lawrence, der die Jugendlichen getraut hat, ein gewagtes Spiel. Per Anästhetikum soll Juliet wie tot erscheinen, derweil ein Brief ihren Mann aus Mantua zum Grabe locken. Wäre da nicht das Schicksal. Der Brief erreicht Romeo nicht, der seine junge Frau für verstorben hält. Er erwirbt eine Ampulle Gift, tötet durch ein Missverständnis noch Paris am Grabe Juliets, und seine beiden Opfer um Vergebung bittend, begeht er neben seiner Liebsten Selbstmord. Diese erwacht und folgt dem Beispiel Romeos, indem sie sich mit seinem Dolch ersticht. Die Tragödie fordert ein weiteres und letztes Opfer, als Graf Montague am Grab erscheint und vom Tod seiner Frau ob der Gram von Romeos Verbannung berichtet. Die Wahrheit der jungen Ehe kommt ans Licht, die verfeindeten Grafen versöhnen sich. „For never was a story of more woe / Than this of Juliet and her Romeo”, schließt Prinz Escales (5. Aufzug, 3. Szene).

Im Gegensatz zu Brooke, dessen Werk laut Suerbaum „ein langes und langatmiges Versepos“ ist, komprimiert Shakespeare die tragische Liebe der Jugendlichen von neun Monate auf vier Tage, indem er alle wichtigen Plot-Elemente in eine Folge von Szenen packt. Wo Brooke Partei für die Seite der Eltern ergriff, lässt Shakespeare das Publikum sich mit den Verliebten identifizieren. Shakespeare gelang ein bemerkenswertes Stück, welches mit den Ehe-Vorstellungen seiner Zeit brach und die Liebe pries. Des Weiteren etablierte Shakespeare mit Juliet eine überaus starke Frauenfigur, deren Sachlichkeit Romeos romantischen Träumereien gegenübersteht. Sie ist es, die die Vermählung ins Spiel bringt („If that thy bent of love be honourable / Thy purpose marriage”, 2. Aufzug, 2. Szene). Im Vergleich zu Romeo erscheint Juliet als die reifere Figur, was angesichts ihres Geschlechts und ihres Alters ein durchaus hervorstechendes Merkmal ist. Somit ist Romeo and Juliet letztlich mehr ein Stück über Juliet, denn über ihren Romeo.

Was Shakespeares Stück neben seiner tragischen Liebesgeschichte und den starken Figuren auszeichnet, sind seine Verse. Umso erstaunlicher, da sie - wie angesprochen - aus einer Rohfassung stammen. Auch hier ist es Julia, der die stärksten Zeilen zufallen. Sei es bei der ersten Begegnung („For saints have hands that pilgrims’ hands do touch / And palm to palm is holy palmers’ kiss”, 1. Aufzug, 5. Szene) oder dem ersten Abschied (My only love sprung from my only hate! / Too early seen unknown, and known too late! / Prodigious birth of love it is to me / That I must love a loathed enemy”, ebd.) mit Romeo. Auch sonst wartet Shakespeare mit unsterblichen Sätzen wie „Do you bite your thumb at us, sir?“ (1. Aufzug, 1. Szene) oder dem Klassiker „It was the nightingale, and not the lark“ (3. Aufzug, 5. Szene) auf. Kein Wunder also, dass Romeo and Juliet seit jeher als Stück gilt, „mit dem ein Regisseur alles machen kann“, so Suerbaum. Von seinen rund drei Dutzend Filmadaptionen sollen zwei an dieser Stelle näher beleuchtet werden.


Romeo and Juliet (1968)

Where civil blood makes civil hands unclean.

Laurence Oliviers Stimme leitet mit dem Prolog Franco Zeffirellis Adaption von 1968 ein (und aus). Auf einem Markplatz begegnen sich Sampson, Gregory, Abraham und Balthasar und aus spielerischer Neckerei wird beim italienischen Regisseur schnell eine riesige Schlacht, in die sich der alte Montague mit gezücktem Schwerte stürzt. Ein probates Mittel, um früh die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu gewinnen. Dass Shakespeares Stück in der Tat dem freien Willen seines Regisseurs unterliegen kann, zeigt Zeffirelli dann in den folgenden zwei Stunden. Insbesondere was seinen Romeo angeht, ist der Italiener variabel. So gehen Romeo, Benvolio, Mercutio und Co. einfach zur Feier der Capulets, ohne dass dies Benvolio zuvor gegenüber seinem Cousin vorgeschlagen hat, um ihn von Rosaline abzulenken. Es verwundert dann auch nicht, dass Romeo sich hier - im Gegensatz zu Shakespeares Stück („I am not for this ambling“, 1. Aufzug, 4. Szene) - zum Mittanzen entschließt. Nicht die einzige problematische Szene mit dem Sohne Montagues.

In Zeffirellis Adaption ist Romeo (Leonard Whiting) unverkennbar die bereits bei den Literaten identifizierte passio. Wie ein Besessener knutscht Whiting seine Juliet (Olivia Hussey) während der Balkonszene ab, das Sexuelle der Beziehung steht für ihn stets im Vordergrund. Umso hervorstechender gerät Juliets ratio-Part, den die junge (und atemberaubende) Hussey über weite Strecken des Filmes beeindruckend und überzeugend zur Schau stellt. Ihre Besetzung als junge Schönheit ist vermutlich Zeffirellis größter Trumpf (umso ironischer, dass er sie ursprünglich nicht besetzen wollte, weil sie ihm zu dick war); vermag sie doch nicht nur die starke Persönlichkeit von Juliet mit ihrer unschuldigen Schönheit zu paaren, sondern zugleich Whitings weitestgehend unpassendes Spiel zumindest in den gemeinsamen Szenen auf ein gewisses Niveau zu heben. Auch in der übrigen Besetzung bewies Zeffirelli ein gemischtes Händchen. Ist Michael Yorks aggressiver Tybalt noch akzeptabel, so gerät John McEnerys Mercutio zur nervlichen Belastung.

Hinzu kommt, dass Zeffirelli die Auseinandersetzung zwischen Tybalt, Romeo und Mercutio als öffentliches Spektakel erneut auf dem Markplatz inszeniert. Was eine Vielzahl an Zuschauer zur Folge hat und folglich später Benvolios Zeugensaussage - die von Zeffirelli ohnehin stark beschnitten wird - bedeutungslos macht. Umso interessanter jedoch wird der Kampf zwischen Tybalt und Mercutio gezeigt, der erneut mehr spielerische Neckerei denn ernstes Duell sein will. Es ist ein Geben und ein Nehmen, ein Vorführen und Lächerlich Machen, das die beiden Großmäuler hier propagieren. Ernst wird erst daraus, als sich Romeo einmischt: „Why the devil came you between us?“. Ganz im Gegensatz zum anschließenden Gefecht mit Romeo, das durchaus von einem tödlichen Trieb beseelt ist und letztlich in Tybalts Tod endet, der mehr aus Romeos Selbstverteidigung resultiert, denn aus einem gezielten Angriff. Insofern passt Romeos Ausspruch „O, I am fortune’s fool!“ dementsprechend gut zur Interpretation der Szene.

Durch die ausufernde Darstellung der Kampfszenen hat Zeffirelli nun jedoch Zeit verloren, was Kürzungen an anderen Stellen nach sich zieht. Beispielsweise fehlen nahezu vollständig Juliets brillante Wortwindungen gegenüber ihrem Vater und designiertem Gatten, wie auch Romeo nach seiner Rückkehr aus dem Exil einfach das Gift des Apothekers (wobei hier nicht geklärt wird, woher er es eigentlich hat) sein eigen nennt - was ebenfalls die gelungenen Verse Shakespeares („I pay thy poverty, and not thy will“, 5. Aufzug, 1. Szene) obsolet macht. Bei all dem Fokus auf die Kämpfe überrascht es dann, dass das blutige Treffen Romeos und Paris’ am Grabe Juliets entfällt. Stattdessen folgt die finale Szene der Liebenden, die auch durch Husseys etwas überpointiertes Spiel einen „camp“-Stempel verdient. Viel bedauerlicher ist allerdings die fehlende „Moral der Geschichte“, insofern sich das Schicksal von Romeo und Juliet als solche überhaupt missbrauchen lässt. Ihr Tod führt für die Montagues und Capulets zu keinem „glooming peace“ und war somit letztlich vergebens.

Nun sind Bearbeitungen von Romeo and Juliet keine Seltenheit, wurde das Stück doch 200 Jahre lang fast ausschließlich in Bearbeitungen gespielt (die Mercutios Part reduzierten oder Juliet vor Romeos Tod erwachen ließen). Dennoch verliert Zeffirelli sich zu sehr in seinen exaltierten Markplatzszenen (seien es die Gefechte oder die Botschaftsübermittelung der Amme) sowie den Tanzeinlagen bei Capulets Feier - zu Lasten einiger gewitzter Verse Shakespeares. Dafür besticht seine Adaption durch ihre Ausstattung und Kostüme, die sich schön traditionell geben. Schauspielerisch ist Romeo and Juliet ein zweischneidiges Schwert, auf dessen Klinge lediglich Hussey mit sicheren Schritten zu tanzen versteht. Dass seine Ensemblewahl nicht immer die gelungenste ist, untermauerte Zeffirelli später erneut in seiner Verfilmung von Hamlet, in der Mel Gibson den depressiven Dänenprinzen gab. Somit kann am Ende konstatiert werden, dass Franco Zeffirellis Version optisch Akzente setzt, denen sie inhaltlich nicht entsprechend gerecht wird.

6/10


William Shakespeare’s Romeo + Juliet (1996)

Reason will not reach a solution.
(“Lovefool”, The Cardigans)

In die Filmgeschichte ging Baz Luhrmanns zweiter Spielfilm nach dem campigen aber durchweg gelungenen Strictly Ballroom als die MTV-Version des Stoffes ein, die quasi naturbedingt wie im Fall von Roger Ebert nicht jedem gefiel. Wie Suerbaum sagte, ist Romeo and Juliet ein Stück, „mit dem ein Regisseur alles machen kann“. In diesem Fall bedeutet dies: Jump Cuts, knallige Farben und ein poppiger Soundtrack (angeführt von „Lovefool“ der Cardigans). Das Setting ist Verona Beach, die verfeindeten Häuser werden zu Konkurrenzunternehmen, die sich auf offener Straße mit Knarren unter ihren Hawaiihemden begegnen. Der größte Verdienst Luhrmanns ist dann sicherlich, dass er der Sprache Shakespeares treu geblieben ist und somit im positiven Sinne eine moderne Version des Stoffes darbietet, dem dennoch weitestgehend treu geblieben wurde. Präsentiert wird das Ganze dann zu Beginn kongenial als Nachrichtensendung in einer mise-en-abyme, wenn die Moderatorin „now the two hours’ traffic of our stage“ ankündigt.

Grundsätzlich eint Romeo + Juliet viel mit seinem ´68er Kollegen, sei es die überbordende Exposition (bei der die Montagues gegenüber ihren Vertretern als Weichlinge karikiert werden), die Gesangseinlage bei der capulet’schen Feier, die zwei Gesichter Romeos, Juliets fehlende Wortspiele sowie das Streichen von Paris’ Tod und des Vergebens der Montagues und Capulets. Zusätzlich hat Luhrmann das Stück stark bearbeiten lassen - nicht immer zu dessen Vorteil. So verliebt sich Romeo (Leonardo DiCaprio) beispielsweise unter Drogeneinfluss in seine Juliet (Claire Danes), was der Schicksalhaftigkeit ihrer Liebe ein wenig den Wind aus den Segeln nimmt. Im Folgenden ist auch die erste Begegnung der beiden Jugendlichen nicht so romantisch eingefangen wie bei Zeffirelli, auch wenn die Aquariumsspiegelung zumindest von Seiten der Kameraführung ein Lob verdient. Auch die Verlagerung der Balkonszene in den Pool wirkt ob ihrer Tradition gar wie eine Sünde und etabliert relativ früh, dass es eigentlich Baz Luhrmann’s Romeo + Juliet heißen müsste.

Sehr viel problematischer ist jedoch die Entwicklung, die der Australier für seinen Romeo bereit hält. Nachdem ein wutentbrannter Tybalt (John Leguizamo) auf Romeo losgeht und diesen richtiggehend verdrischt, wird er nach Mercutios (Harold Perrineau) Tod - der auch hier mehr einem Versehen gleichkommt - vom Sohne Montagues weniger getötet als vielmehr exekutiert, zieht sich Tybalt doch vor Romeo zurück. Da passt es dann ganz gut, dass der aus Mantua eilende Romeo im Finale gar eine Geisel nimmt und auf die staatliche Gewalt in Person von Captain Prince (Vondie Curtis-Hall) schießt, als dieser mit seinem S.W.A.T.-Team die Kirche umzingelt. Dass Luhrmann dann einer der klassischen Bearbeitungen folgt, in der Juliet vor Romeos Tod erwacht und dieser somit ebenfalls Zeuge des jugendlichen Irrtums wird, kann da kaum noch negativ aufstoßen. Auch mit der fehlenden Reue ob der Tode Tybalts (und Paris’) wird der Figur ein essentieller Bestandteil ihrer Reife genommen, die bei ihrer Einführung noch vorhanden war.

Spielte Whiting seinen Romeo neben Husseys Juliet besser, tritt bei DiCaprio das Gegenteil auf. Es sind seine Momente fernab von Danes, in denen er sich auszeichnet. Sei es beim Schreiben seines Tagebuchs (eine sehr gelungene Integration) oder mit Benvolio in der Pool-Halle. Allgemein ist die Besetzung auch in Romeo + Juliet eine zwiespältige Angelegenheit. Besonders Paul Sorvino ist mit seinem Fulgencio Capulet vollkommen überfordert und scheint sich an seinem Part aus Goodfellas orientiert zu haben. Brian Dennehy (als Ted Montague) wäre die bessere Wahl gewesen - hätten beide ihre Rollen einfach getauscht. Auch Danes vermag mit ihrem teils hysterischen Spiel und Dauergrinsen nicht an die unschuldige Schönheit und charakterliche Reife von Hussey heranzureichen. Die Verschwendung von Figuren wie Benvolio (ebenfalls fehlbesetzt: Dash Mihok) ist da schon kaum der Rede wert. Akzente setzen können zumindest Pete Postlethwaite (als Friar Lawrence), Harold Perrineau und Diane Venora (als Gloria Capulet).

Als Gesamtwerk kann Baz Luhrmanns Adaption allerdings als gelungen erachtet werden. Selbst wenn die überbordende christliche Metaphorik stört, gefällt am meisten die pop-kulturelle Einbettung. Romeo + Juliet ist schrill und bunt, zudem überaus stark untermalt von Songs wie Stina Nordenstams „Little Star“, Radioheads „Talk Show Host“ oder „You and Me Song“ von The Wannadies bereithält. Dass es Luhrmann mit der Treue zur romeo’schen Figur nicht so ernst genommen hat, mag man daher verzeihen können, auch wenn der Film mit weniger Bearbeitungen vielleicht noch besser geworden wäre. Letztlich ist William Shakespeare’s Romeo + Juliet weniger eine Adaption für die MTV-Generation - das natürlich auch -, als vielmehr eine opulente und gutgelaunte zeitgenössische Interpretation. Und so sei es Shakespeares Stück gewünscht, dass es auch noch in weiteren 400 Jahren aufgeführt wird. Schließlich ist es ein Stück, „mit dem ein Regisseur alles machen kann“.

7/10

Verwendete Literatur:
Pulverness, Alan: Romeo and Juliet: Interpretationshilfe, Berlin 2007.
Suerbaum, Ulrich: Der Shakespeare-Führer, Stuttgart 2006.

1 Kommentar:

  1. Sehr gut geschrieben. Habe weder das Stück gelesen oder den erstgenannten Film gesehen, aber Baz Luhrmanns Version finde ich ganz groß, erst recht aufgrund der Mischung der alten Sprache mit der aktuellen Umgebung bzw. der modernen Herangehensweise. Und ich finde es gut, das Julia noch aufwacht, wenn Romeo noch lebt. Also gut im Sinne von dramatischer.

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