28. Juni 2010

Classic Scene: Boyz n the Hood - "Shit just goes on and on"

DIE SZENERIE: Tre ist ein bemühter Schüler in einem Problemviertel von Los Angeles. Er hält sich ebenso aus Problemen raus, wie sein Nachbar und bester Freund Ray. Dieser wurde am Vortag von einer Straßengang auf offener Straße hingerichtet. Rays Bruder, Doughboy, zog noch am selben Tag los, um Rache zu üben. Tre, der ursprünglich im selben Auto saß, überlegte es sich anders und stieg rechtzeitig aus. Die betreffende Szene spielt am Morgen danach.

EXT. - TRE’S HOUSE
DAY

Tre comes out of his house and sits down on his porch, eating something out of a handkerchief. On the other side of the street, Doughboy gets out of his house, a bottle of beer in his hands. While walking over to Tre he encounters a “customer” and sells him drugs. He then continues his walk to Tre, where he sits down next to him on the porch.

DOUGHBOY: What's up?

TRE: What's up?

DOUGHBOY: Yo, cuz. I know why you got out of the car last night. You shouldn't have been there in the first place. You don't want that shit to come back to haunt you. I ain't been up this early in a long time. Turned on the TV this morning. Had this shit on about ... how we're living in a violent … in a violent world. Showed all these foreign places. How foreigners live and all. I started thinking, man. Either they don't know ... don't show ... or don't care about what's going on in the 'hood. They had all this foreign shit. They didn't have shit on my brother, man. I ain't got no brother.

Doughboy makes a long pause and tries to hold his tears back.

DOUGHBOY: Got no mother, neither. She loved that fool more than she love me.

The crack whore Tre talked earlier to approaches the porch.

CRACK WHORE: Doughboy, you got some blow? Got some rock?

DOUGHBOY: Get the fuck out of my face! Keep them goddamn babies out the street.

She walks away. Doughboy sits back down.

TRE: Did y'all get 'em?

Tre looks at Doughboy, who looks right back to him. When Tre sees the answer in his eyes, he turns away.

DOUGHBOY: I don't even know how I feel about it neither, man. Shit just goes on and on, you know? Next thing you know, somebody might try to smoke me.

Doughboy takes a sip from his beer.

DOUGHBOY: Don't matter, though. We all gotta go sometime, huh? Seem like they punched the wrong clock on Rick, though.

TRE: Yeah.

DOUGHBOY: I gotta go, cuz.

Doughboy stands up and leaves.

TRE: Hey, Dough.

Doughboy stops and turns around.

DOUGHBOY: What's up?

Tre stands up, too, and walks towards Doughboy.

TRE: You still got one brother left, man.

DOUGHBOY: Thanks, man.

Both hug each other warmly.

DOUGHBOY: Later, G.

TRE: Later.

Doughboy walks towards his house while spilling his beer on the street.

25. Juni 2010

The Imaginarium of Dr. Parnassus

So you’re probably not a betting man, are you?

Der klassische Wanderzirkus verdankt seinen Namen natürlich seiner Mobilität. Oft im Besitz einer Familie, zog der Wanderzirkus von Ort zu Ort, um sich seinen Unterhalt durch das namentlich passende Geschäft der Unterhaltung zu sichern. In Zeiten der fortschreitenden Technologisierung der Gesellschaft spielen Einrichtungen wie der Zoo oder der Zirkus - die hinsichtlich ihres tierunfreundlichen Aspekts nicht näher untersucht werden sollen - eine immer geringere Rolle. Vor allem in heutiger Zeit hat die Exotik ob fremder Tiere und Praktiken deutlich nachgelassen. Nichts, was man nicht im Fernsehen oder noch Nutzerfreundlicher auf YouTube finden könnte. Entsprechend schwer tut sich also auch das Imaginarium des wandernden Dr. Parnassus (Christopher Plummer) in Terry Gilliams dementsprechend benannten The Imaginarium of Dr. Parnassus.

Inzwischen hat Gilliams 11. Spielfilm mehr Ruhm als ihm unter normalen Umständen zu Teil geworden wäre. Der Tod von Hauptdarsteller Heath Ledger überschattete während der Dreharbeiten und auch zum Filmstart hin alles andere. Der Film selbst war kaum noch wichtig, viel bedeutender war die Funktion des Filmes als Requiem des australischen Schauspielers. Im Nachhinein muss man fast sagen, dass Ledgers Tod das Beste ist - so makaber es klingt - das dem Film passieren konnte. Nicht nur aus Vermarktungs- (der letzte Film eines frisch gekürten Oscarpreisträgers lockt sicherlich zusätzliche Besucher an), sondern auch aus qualitativen Gründen. Denn wo Ledger vor allem in Brokeback Mountain aber auch mit Abstrichen - speziell ans Genre - in The Dark Knight schauspielerisch auftrumpfen konnte, enttäuscht er hier.

Ledgers Spiel wirkt unsauber und vor allem beliebig. In manchen Szenen nuschelt er sich durch seine zum Teil improvisierten Dialoge, die oft durch den mehrfachen Einschub des Lückenfüllers „you know“ auskommen müssen. Allerdings sollte eingestanden werden, dass Terry Gilliams Filme selten durch ihre schauspielerische Leistung und narrative Qualität überzeugen. Das Niveau solcher Werke wie Brazil oder Twelve Monkeys konnte Gilliam im neuen Jahrtausend nicht mehr erreichen. Sieben Jahre vergingen zwischen seiner kongenialen Adaption von Hunter S. Thompsons Kultroman Fear and Loathing in Las Vegas und seinem (immerhin) visuell gefälligen The Brothers Grimm, der ihn mit Ledger zusammenführte und seine Semi-Rückkehr ins Filmgeschäft repräsentierte. Und letztlich ähneln sich Grimm und Parnassus dann doch sehr.

Die Geschichte ist eine simple und oftmals unübersichtliche. Grundlegend ist ein faustsches Element des Handels eines Doktors mit dem Teufel. Hier übernimmt Plummers Dr. Parnassus diese Rolle, die einst mit dem Teufel, hier Mr. Nick (Tom Waits) genannt, eine Wette abschloss, wer mehr menschliche Seelen für sich gewinnen könne. Parnassus propagierte die Vorstellungskraft, Mr. Nick die reine Begierde. Einige Jahrtausende später wetten die beiden Männer immer noch, inzwischen um die Seele von Parnassus’ Tochter Valentina (Lily Cole). Als Retter in der Not soll der mysteriöse Tony (Heath Ledger) fungieren, der angeblich an Amnesie leidet, das Unternehmen von Dr. Parnassus jedoch als Chance sieht, sich einerseits zu rehabilitieren und andererseits davon finanziell zu profitieren. Wie Gilliam im Audiokommentar bemerkt: es ist eine Geschichte über Entscheidungen.

Viele Aspekte von The Imaginarium of Dr. Parnassus lassen sich problemlos nachvollziehen. Zum Beispiel dass der für Valentina schwärmende Anton (Andrew Garfield) in Tony eine Bedrohung ausmacht. Oder dass Mr. Nick weniger um des Einsatz’ Willen wettet, als vielmehr weil ihm das Wetten in der Natur liegt. Andere Figuren wie Valentina oder Parnassus selbst sind da doch unausgereifter. Insbesondere - und insofern dramatischer - die Titelfigur des Tony. Im Tode Ledgers wandelte Gilliam die Figur so ab, dass sie im Imaginarium selbst ihr Gesicht wechselt und so von mehreren Schauspielern (in diesem Fall: Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell) dargestellt werden kann. Was jedoch nur bedingt dem Zuschauer dabei hilft, von Tony ein besseres oder im Entferntesten authentisches Bild gewinnen zu können.

Sowohl Depps als auch Laws Interpretation beschränkt sich auf wenige und wortkarge Minuten. Ist Depps Interpretation zwar noch an finanziellen Dingen interessiert, hat sie doch das Interesse von Parnassus im Sinn. Sehr viel idealer zeigt sich Laws Darstellung, die zwar wie Depps auf einem schauspielerischen Tiefpunkt stattfindet (und hier bisweilen sogar Ledgers eigene Portraitierung unterbietet), aber hilft, der Figur zusätzliche Sympathien zu bescheren. Der Bärenanteil dagegen wanderte zu Farrell, der Tony in seinem kathartischen Moment darstellt, ohne dass sich dieser wirklich nachvollziehen lässt. Plötzlich lässt Gilliam die bisher relativ sympathische Figur (zumindest ihren Bestrebungen nach) zum Antagonisten mutieren - und das ganz ohne Vorwarnung. Den Schlussmonolog „Does it come with a happy ending“ hätte der Regisseur daher wohl besser an den Anfang gestellt.

Denn letzten Endes ist - paradoxer Weise - Mr. Nick und damit der Teufel selbst die Figur, die aus den edelsten Motiven handelt, beziehungsweise weit weniger nervig daherkommt wie Anton, Valentina, Tony und Parnassus. Wie erwähnt ist Mr. Nick ein Verführer, dem es mehr um den Akt der Verführung geht als um deren Resultat. Dahingehend erklärt sich auch sein ständiges Pochen auf eine neue Wette, einen neuen Einsatz. Wo Gilliam in der von Waits köstlich portraitierten Figur Konsequenz zeigt, lässt er diese an anderen Stellen, gerade (leider) der Handlung (zu) oft vermissen. Sicherlich kann hier der dritte und finale Akt auch nur aufgrund Ledgers Verscheiden rasch abgespult sein, in seiner jetzigen Form entschuldigt dies jedoch nicht sein sehr unharmonisches Ende. Hier wissen auch die oft sehr ansehnlichen Spezialeffekte wie schon in The Brothers Grimm wenig zu retten.

Als Film, der mit Müh und Not aufgrund des überraschenden Todes des Hauptdarstellers zu Ende gedreht wurde, darf The Imaginarium of Dr. Parnassus immer noch als gelungen bezeichnet werden. Dennoch merkt man den Film an, weshalb er nicht überzeugend ausfällt. Zu unausgegoren sind die essentiellen Figuren, allen voran Tony, ausgearbeitet, zu planlos beginnt sich die Geschichte in ihrem dritten Akt in eine Richtung zu drehen, die der Prämisse des Filmes als Geschichte über Geschichten am Ende zuwider läuft. Ledgers unüberzeugendes Spiel kann zwar etwas durch den Dreifach-Einsatz von Depp, Law und Farrell kaschiert werden (wobei nur Farrell, und dies lediglich bedingt, gefällt), dennoch agiert das Ensemble, Waits und Troyer ausgenommen, letztlich so unglücklich, wie The Imaginarium of Dr. Parnassus als Ganzes ausfällt.

5.5/10 - erschienen bei Wicked-Vision

22. Juni 2010

Life Unexpected - Season One

We're just a couple dudes trying to change.

Teenager-Schwangerschaften sind ja gerade in den USA ein bedeutsames Thema, sieht man sich Sarah Palins Wahlkampf vor ein paar Jahren an. Und nicht jede dieser jungen - aber natürlich auch älteren - Frauen will sofort ins Familienleben gestürzt werden, ehe sie selbst ausreichend gelebt oder sich eine Karriere gebaut hat. Vor zehn Jahren waren in den USA 2,5 Prozent aller Kinder adoptiert, dabei die wenigsten bevor sie ihr sechstes Lebensjahr erreicht haben. Sechs von zehn Kindern, die in Amerika auf eine Adoption warten, sind weiß, jährlich warten 128,000 Kinder darauf, von einer Familie adoptiert zu werden. Dabei betrifft dies eigentlich nur ein Viertel der Kinder, die Hälfte von ihnen wird so lange in Pflegefamilien „geparkt“, bis man sie wieder mit ihren biologischen Eltern vereinen kann. Und wo die Situation sicherlich für emotionale Probleme sorgt, sind adoptierte Kinder zumindest in Bildungsfragen abgesichert. Sie erlangen häufiger als Stief- oder biologische Kinder einen Hochschulabschluss.

Wo nun also 128,000 Kinder in den USA auf eine sie adoptierende Pflegefamilie warten, sind es im US-Bundestaat Oregon „nur“ 3,000. Eine fiktive Jugendliche dieser Gruppe bildet das Zentrum von Life Unexpected, einer Drama-Serie aus der Feder von Liz Tigelaar die in Portland spielt. Das 15-jährige Pflegekind Lux (Brittany Robertson) will vor Gericht zu ihrem 16. Geburtstag ihre Emanzipation erreichen. Hierfür benötigt sie jedoch die Unterschriften ihrer biologischen Eltern. Als Lux daher eines Morgens in der Bar des Taugenichts Nate Basil (Kristoffer Polaha), von seinen Freunden nur „Baze“ genannt, auftaucht, reagiert dieser ob seiner Vaterfreuden überrascht. Schließlich dachte er, sein High-School-One-Night-Stand Cate Cassidy (Shiri Appleby), inzwischen erfolgreiche Radio-Moderatorin, die mit ihrem Co-Host Ryan (Kerr Smith) liiert ist, hätte damals abgetrieben (Erinnerungen an Amy Heckerlings Fast Times at Ridgemont High werden wach). Die Emanzipation wird nicht erreicht, Lux vom Gericht in die Obhut von Nate und Cate übergeben.

Fortan dreht sich Life Unexpected um diese drei unterschiedlichen Menschen (Lux, Cate, Baze), von denen sich die beiden Letztgenannten seit jener Nacht nicht mehr gesehen hatten und die Tochter ihre Eltern noch nie kennen lernte. Die Rollen sind hierbei klar verteilt, Cate als geerdete Berufsfrau wird das vorübergehende alleinige Sorgerecht zugesprochen, das große Kind Baze dagegen kriegt es von allen Seiten (auch der eigenen elterlichen) reingedrückt. Die Rollenverteilung lässt es dann jedoch zu, dass Cate die strenge Mutter gibt und Baze in die Rolle des legeren Vaters schlüpft, der mehr Kumpel als Elternteil ist. So wird aus der Zwangsfamilie schnell im Grunde eine Richtige, in der Cate auf Baze sauer ist und Lux auf Cate. Während sich die erste Hälfte der Staffel darum dreht, dass die beiden Erwachsenen auch rechtlich wieder vollends als Eltern von Lux akzeptiert werden und diese somit nicht wieder in einer Pflegefamilie landet, rückt in der zweiten Hälfte stärker das Liebesdreieck Cate-Ryan-Baze in den Vordergrund.

Bedenkt man, dass keine der drei Figuren wirklich Ahnung davon hat, wie eine Familie funktioniert (Cate selbst ist ohne Vater aufgewachsen), beginnen sie doch schnell in klassische Bahnen zu verfallen. Lux agiert dabei als Pendel, das stets bei dem Elternteil wohnt, dass sie grad am wenigsten annervt. Life Unexpected, wegen Tigelaars gelungenen Dialogen gelobt, muss sich an dieser Stelle durchaus die Kritik von Variety’s Brian Lowry („If only the show didn't (…) empower Lux to repeatedly lecture adults about the art of parenting”) gefallen lassen. So eintönig das Prozedere der pubertären (emotionalen) Gewaltausbrüche für manch Erwachsenen auch sein mag, bleibt es dennoch stets authentisch (zudem ohnehin, The CW ist der ausstrahlende Sender, an Jugendliche orientiert) in Lux’ Kampf zwischen selbsterklärter Emanzipation und dem Wunsch nach traditionellen Rollenbildern. Hier unterscheidet sich Ryan von den übrigen Figuren, behält er doch - speziell in Dialogen mit Lux -, stets einen nüchternen Blick.

Obschon sich manche Wiederholungen einschleichen und einige Momente im Raum stehen bleiben (plötzlich schrieb Tigelaar Bazes Freundin aus der Serie, das Dreiecksverhältnis von Lux mit ihrem Freund Bug und Mitschüler Jones wird sehr plötzlich bei Seite geschoben), ist Life Unexpected eine annehmbare erste Staffel gelungen. Relativ konstant werden die dreizehn Episoden heruntergespielt, von denen Rent Uncollected ob des Zusammenpralls dreier dysfunktionaler Familien noch am Unterhaltsamsten ausfällt. Tigelaars Show überzeugt primär aufgrund ihrer Besetzung mit sympathischen Darstellern wie Appleby (Roswell), Smith (Dawson’s Creek) und Polaha. Ein wenig enttäuschend fällt das Staffelfinale aus, da hier nicht wirklich ein Spannungsaufbau stattfindet beziehungsweise die Ankündigung an die zweite Staffel - ohnehin sehr berechenbar - nur bedingt Vorfreuden wecken will. Welche narrativen Pfade Tigelaar im Herbst einschlagen will, bleibt abzuwarten, mit ihrer ersten Staffel ist ihr jedoch ein Achtungserfolg gelungen.

7.5/10

19. Juni 2010

Vertige

See our friends, see the sights, feel alright.
(Supergrass, Alright)

Unter der nouvelle vague versteht man im Kino eine filmische Bewegung, die sich in den sechziger Jahren im französischen Kino rund um renommierte Regisseure wie Jean-Luc Godard, Alain Resnais, Claude Chabrol oder François Truffaut manifestiert hat. In den letzten Jahren hat sich erneut eine Art French New Wave herauskristallisiert, was sich jedoch weniger in den Arbeiten einzelner Regisseure als vielmehr in einer neuen Qualität eines speziellen Filmgenres widerspiegelt. Hatte Alexandre Aja vor sechs Jahren mit Haute tension den Anfang gemacht, vergeht inzwischen kaum ein Jahr, in dem die Grenzen mit Beiträgen wie Frontière(s) oder Martyrs ständig neu ausgelotet werden. Da ist ein Film wie Abel Ferrys Vertige (nunmehr als High Lane vertrieben) geradezu altmodisch und dies im Grunde auf eine äußerst erfrischende Weise. Allerdings bewahrt dies den Berg-Horror nicht davor, gerade im Finale in die böse Klischeefalle zu tappen.

Fünf junge Französinnen und Franzosen machen sich auf eine Mountain-Climbing-Tour in den kroatischen Bergen. Während es für das frische Pärchen Chloé (Fanny Valette) und Loïc (Johan Libéreau) der erste gemeinsame Ausflug ist, wird das junge Glück durch die Anwesenheit von Chloés Ex-Freund Guillaume (Raphaël Lenglet) getrübt. Dieser ist überraschend zur Truppe, die neben Chloé auch ihre und Guillaumes alte Schulfreunde Karine (Maud Wyler) und Fred (Nicolas Giraud) einschließt, hinzugestoßen. Sehr zum Missfallen von Loïc, der allerdings gute Miene zum bösen Spiel macht. Als jedoch der Bergpass gesperrt ist, scheint der gemeinsame Abenteuerurlaub zu Ende zu sein, ehe er richtig angefangen hat. Doch Fred lässt sich nicht aufhalten und über etwas Mühe kommt die Gruppe doch noch dazu, sich an den Berghängen auszutoben. Alle außer der unter Höhenangst leidende Loïc haben ihren Spaß, ehe sich herausstellt, dass der Bergpass wohl aus einem bestimmten Grund gesperrt war. Denn nicht nur die Hängebrücke und einige Sicherheitslinien geben den Geist auf, sondern dank eines mysteriösen Waldbewohners auch kurz darauf das ein oder andere Gruppenmitglied.

Besonders die erste Hälfte zeichnet Vertige als spannenden Film aus, da die Spannung, die durch das Bergsteigen evoziert wird sehr viel intensiver ist, wie die große Horrorhatz, die sich besonders im letzten drittel einstellt. Die Figuren sind sympathisch und gerade der Wandel im Verhalten von Guillaume gegenüber Loïc, als das Unternehmen von Spaß in Seriosität umschlägt, ist sehr gelungen. In welcher Reihenfolge die fünf Endzwanziger ihr Ticket ins Jenseits lösen, wird dabei schon in den ersten fünf Minuten deutlich, da sich die zusätzliche Anspannung einer Dreiecks-Beziehung natürlich nur ungern herschenken lässt. Ohnehin zeichnet Ferrys Film eine überaus glückliche Besetzung aus, sei es hinsichtlich des eye candy Faktors in Bezug auf Wyler und Valette oder generell wegen des sympathischen Charakters aller Protagonisten. Lediglich Libèreau will, wenn wohl auch beabsichtigt, nicht so ganz in die Gruppe der Sport-affinen Freunde passen, was allerdings das positive Bild kaum trübt.

Kurz nach der „natürlichen“ Todesangst des beinahe Verunglückens geht dann der eigentliche Horror los. Es liegen Fußfallen aus, Fallgruben wurden ausgehoben und irgendetwas treibt sich in den Wäldern herum. Jetzt dürfen die Schauspieler das machen, was die Protagonisten in Horror-Filmen am liebsten tun: rennen, rennen, Luft holen und rennen. Dass das Ganze in der Nacht geschieht, verstärkt den Horror nochmals. In diesem klassischen Szenario darf dann auch die ominöse Berghütte voller Leichenteile und abgetrennter Köpfe nicht fehlen. Filme wie Jeepers Creepers lassen Grüßen. Was das Bild dann etwas trübt, sind einige unsinnige Einbauten oder ausgelassene Erklärungen – je nachdem wie man es sehen will. Wieso Guillaume so spontan aufgetaucht ist oder weshalb er vor vier Jahren überhaupt abgehauen ist, bleibt Ferry dem Publikum schuldig. Auch die Funktion einiger nutzloser Rückblenden zu Chloés Assistenzarztzeit will nicht so recht deutlich werden. Gerade dann, wenn sie scheinbar mit der finalen Klimax in Verbindung gesetzt wird.

Im Gegensatz zur im ersten Absatz angesprochenen neuen französischen Welle von brachialen Horror-Slashern kommt Vertige verhältnismäßig ruhig und unaufgeregt daher. Es gibt keine großartigen Gewaltexzesse. Menschen sterben und das kriegt man mit. Das reicht dann auch schon, ohne dass Ferry in bester Eli-Roth-Manier mit der Kamera draufhält, wenn Schädel platzen, Augen ausgestochen werden oder sonstige Perversitäten stattfinden. Dass hierbei die eigentlich Horror-freie erste Hälfte weitaus spannender daherkommt als das hitzige Finale, zeigt, dass sich der französische Regisseur vielleicht doch lieber auf einen reinen Extremsport-Thriller hätte spezialisieren sollen. Denn die unwahrscheinliche Vorhersehbarkeit, die einerseits der Film selbst, andererseits das Genre generell mit sich bringt, ist dem Seherlebnis auch nur bedingt zuträglich. Da hilft es auch nichts, wenn Vertige am Ende nochmals mit letzten erklärenden Worten zusammengeschnürt wird. Somit ist der Film zwar ein durchaus netter Vertreter des Genres, der die Phalanx seiner Landesvertreter durchbricht, aber zu mehr langt es dann doch nicht.

6/10 - erschienen bei Wicked-Vision

16. Juni 2010

Unbreakable

They say this one has a surprise ending.

Für Viele sind Comics lediglich Bilderheftchen. Entfernte Verwandte von Romanen, denen man keine allzu große Beachtung schenkt. Comic-Leser werden dabei oft als Nerds verschrien, als dicke bebrillte Loser. Dabei ist die Comic-Gemeinde eine große Gemeinde. Und zugleich auch eine Mächtige. Bei all den Superhelden-Filmen dieser Tage gehört es zum guten Ton für Hollywood, sich im Sommer bei der größten Comic-Messe „Comic-Con“ zu zeigen. Auch James Camerons Avatar begann dort seinen Siegeszug. Welchen Wert Comics haben, zeigte sich auch Ende Januar diesen Jahres. Die 27. Ausgabe der Detective Comics von 1939, die das erste Auftreten von Batman beinhaltete, wurde damals für $1,075,000 verkauft. Laut M. Night Shyamalans Unbreakable, seinem zweiten Spielfilm, werden jährlich in den USA fast 63 Millionen Comics verkauft. Mit seinem persönlichen Lieblingsfilm setzte Shyamalan diesem Submedium im Jahr 2000 selbst ein Denkmal.

Ursprünglich sollte Unbreakable in drei Teile aufgeschlüsselt werden. Nachdem ganz klassisch der Ursprung des Helden erklärt würde, sollte dieser sich erst mit einigen gewöhnlichen Kriminellen auseinandersetzen, um im Finale seiner Nemesis zu begegnen. Eine traditionelle Prozedur, wie sie beispielsweise in Sam Raimis Spider-Man zu finden ist. "Two roads diverged in a wood, and I / I took the one less traveled by / And that has made all the difference", endet Robert Frosts berühmtes Gedicht The Road Not Taken. Zeilen, die in gewisser Weise auch auf Shyamalans Entscheidung bezüglich Unbreakable münzbar wären. Statt dem klassischen Superhelden-Aufbau folgend, entschied er sich für eine reine Origin-Story, die erst in ihrem Finale beginnt, in den zweiten Teil abzudriften. Eine Entscheidung, wie man sie selten in Comic-Verfilmungen trifft und die letztlich "all the difference" für Shyamalans Comic-Verfilmung, die auf keinem Comic basiert, ausmacht.

Sein Film will sich nicht auf Schauwerte verlassen, ist vielmehr Charakterstudie einer - oder wenn man so möchte, zweier - gebrochenen Figur. David Dunn (Bruce Willis) wacht jeden Morgen mit einer ihm unbekannten Traurigkeit auf. Eine Traurigkeit, unter der wohl seine Ehe zu seiner High-School-Liebe Audrey (Robin Wright Penn) gelitten hat. Die Ehe wird gegenwärtig eher sporadisch aufrecht erhalten, dem einzigen Sohn, Joseph, zuliebe. Nachts legt sich David in dessen Bett, bis Joseph eingeschlafen ist, wie lange dem noch so ist, dürfte fraglich sein. Zu Beginn des Filmes kommt David nämlich aus New York zurück nach Philadelphia. Im Big Apple hatte er ein Bewerbungsgespräch für eine Sicherheitsfirma, vermutlich ein finanzieller Aufstieg für den Sicherheitsangestellten im örtlichen Baseball-Stadion. Nun ereignet sich zu Beginn jedoch etwas, mit dem David nicht gerechnet hat. Sein Zug verunglückt, alle Passagiere an Bord sterben. Alle außer David.

Während David das Ereignis bei Seite schiebt, erregt es die Aufmerksamkeit des Comic-Atelier-Betreibers Elijah Price (Samuel Jackson). Wie viele Tage er in seinem Leben krank gewesen sei, fragt dieser David und schickt den Familienvater damit auf eine sein Leben verändernde Reise. Weder sein Vorgesetzter noch seine Frau können sich daran erinnern, dass David jemals krank gewesen sei. Angetrieben von der Überzeugung seines Sohnes, beginnt David daraufhin seine Grenzen auszuloten. Er stemmt dasselbe Gewicht, wie zu Schulzeiten. Und noch zwanzig Pfund mehr. Am Ende wird die vollständige Anzahl der Gewichte noch mit Farbeimern erweitert. David kämpft zwar jedes Mal mit dem Gewicht, aber er stemmt es. Zwar überzeugt ihn das selbst noch nicht, dafür allerdings Joseph. In einer dramatischen Szene will der Sohn dann auch den Vater zur Einsicht bringen, indem er droht, diesen mit seinem Revolver anzuschießen. Schließlich würden die Kugeln einfach abprallen.

Es ist der Glaube eines Anderen, oftmals eines Kindes, der den Helden im Comic umzustimmen vermag. So wie der Held ab einem gewissen Zeitpunkt seinen Pflichten den Rücken kehrt, weil er sich nach einem normalen und gewöhnlichen Leben sehnt. David hat erfolgreich seine Vergangenheit verdrängt. Erst eine alte Lehrerin weist ihn auf seinen beinahe tödlichen Schwimmunfall als Schüler hin, der David seine Aquaphobie beschert hat. Ein Autounfall sorgt dann schließlich dafür, dass er mit seiner Freundin zusammenbleiben kann, die am Ende seine Frau wurde. Eine geopferte Football-Karriere um der Liebe willen. Eine Liebe, die nun am Abgrund steht. "You were giving up a part of yourself when you gave up football", erkennt Elijah, als er David das zusammengesetzte Puzzle präsentiert. Die letzte Erinnerungslücke, die David kurz darauf selbst schließt, als er sich an jenen Autounfall erinnert. "What am I supposed to do?", fragt er Elijah schließlich.

Zu diesem Zeitpunkt sind bereits siebzig der rund hundert Minuten von Unbreakable vorbei. Es war eine ausführliche und gemächliche Genesis, die David bis zu diesem Zeitpunkt durchschritten hat. "You can’t let bad things happen to good people, right?", hatte ihn Joseph einige Szenen zuvor gefragt. Elijah selbst konstatierte bereits gegen Ende des ersten Aktes. "You could have been one of ten thousand things... but in the end, you chose to protect people." Shyamalan vereint hier gelungen und glaubwürdig Origin- wie im gewissen Sinne auch Comeback-Story miteinander, wenn David nicht nur seine Kräfte (wieder-)entdeckt sondern auch zu seinen vermeintlichen Pflichten zurückkehrt (man erinnere sich an das Spider-Man-Mantra: "With great power comes great responsibility"). David ergibt sich nunmehr quasi seinem vermeintlich vorherbestimmten Schicksal und greift mit seinem Besuch am Bahnhof Elijahs späteren Worten "It has begun" voraus.

Dementsprechend ist seine erste Mission, die David quasi im Cape in Angriff nimmt (sein Arbeitsregenmantel, passenderweise mit dem Schriftzug „Security“, dient als Tarnung), eine wie zu erwarten Problematische. Sich orientierend an Filmen wie Richard Donners Superman stellt im Finale nicht so sehr die Nemesis ein Hindernis für den Helden dar, sondern seine natürliche Schwäche, im Fall von David das Wasser. Im Gegensatz zu Supermans Kryptonit ist es bei David allerdings weniger natürlicher Schwachpunkt als vielmehr psychologisches Trauma. Entgegen Elijahs Glauben und entsprechend der Erinnerung von Davids Lehrerin - bzw. der durch die Schüler tradierten Legende - würde auch Wasser David nichts anhaben können. Die Geburt des Helden ist dann in Unbreakable nicht nur das Ende einer Origin-Story, sondern kulminiert im Finale dann schließlich auch zum Abschluss einer zweiten Ursprungsgeschichte.

Shyamalan ist bekannt geworden durch seine finalen Plottwists, die bereits in South Park durch die Folge Imagionationland parodiert wurden ("That’s not an idea, that’s a twist"). Bedenkt man, dass die Wendung des Films jedoch bereits nach 29 Minuten durch das zweite Aufeinandertreffen von David und Elijah vorausgedeutet wird, spielt die finale Auflösung für die Harmonie von Unbreakable eine eher untergeordnete Rolle. Es ist im Gegenteil ein entsprechend harmonisches Ende unter die bis dato erfolgte Entwicklung zweier Figuren. "Now that we know who you are … I know who I am", schließt Elijah quasi den Film ab, indem er sich durch die Erschaffung des Helden als dessen Gegenspieler definiert. Da Shymalan die Auflösung durchaus auch als Twist integrieren wollte, leidet Elijahs eigene Origin-Story ein wenig, die lediglich sein Hadern mit seiner Glasknochenkrankheit und seine dadurch entstandene Liebe zu Comics schildert.

Leider bewahrheitet sich Elijahs Ausspruch "It has begun" nicht für Unbreakable selbst. Entgegen früherer Versuche aller Beteiligten, versandete eine Fortsetzung, der mit der finalen Texttafel im Film jedoch auch so ein befriedigendes Ende gesetzt wurde. Ohne Makel ist Shyamalans zweiter und nach The Sixth Sense und Signs bestrezipierter Film jedoch nicht. Gerade zu Beginn wartet Eduardo Serras Kameraarbeit mit oft diffusen Einstellungen auf, am besten zu beobachten in der wechselnden Bewegung hinter zwei Sitzen, während eines Dialogs von David. Auch die kriselnde Beziehung zu Audrey wirkt ob ihrer plumpen Integration eher als Mittel zum Zweck, dient hier doch die von Elijah angesprochene Leere durch die Entscheidung für die Liebe als nahezu alleiniger Auslöser. Zudem ist wie erwähnt die schwache Ausarbeitung von Elijah ein vernachlässigtes Merkmal, stellt Shyamalan hier unnötiger Weise den Twist für das Publikum über den Twist für David.

Grundsätzlich ist Unbreakable allerdings eine über weite Strecken gelungene Liebeserklärung an das Medium „Comic“, durchzogen mit vielen kleinen Details und Anekdoten. Ein Film, der wie eingangs angesprochen ohne große Schauwerte auskommt. Vom tragischen Zugunglück präsentiert Shyamalan lediglich Nachrichtenaufnahmen als top shot. Das Finale verkommt zu einem stillen Zweikampf, an dessen Ende David sein Gegenüber erdrosselt. Die effektreichste Szene dagegen ist jener Sturz, den Elijah bei der Verfolgung seiner These auf den Treppen zur U-Bahn erlebt, wenn die Tonspur mit brechendem Glas und seinem gequälten Schrei erfüllt wird. Obschon also Unbreakable keinen perfekten Film darstellt, der trotz seines Fokus’ auf die Figuren diese dennoch nicht genügend in Anbetracht der Geschichte ausarbeitet, ist Shyamalan eine mehr als gerechte Würdigung dieses Genres und Mediums gelungen.

7/10

13. Juni 2010

Flickan som lekte med elden

This girl has problems, no?

In den meisten Fällen versucht eine Fortsetzung dem „Höher, Schneller, Weiter“-Prinzip zu folgen. Sprich: Man nimmt das, was im ersten Teil gut funktioniert hat, und vervielfältigt es im Vergleich zum Original. Kam Jack Sparrow (Johnny Depp) in Curse of the Black Pearl gut beim Publikum an, gab es im Sequel Dead Man’s Chest noch mehr Jack Sparrow, bis zu Beginn des dritten Teils At World’s End sogar eine ganze Schiffmannschaft aus Jack Sparrows bestand. Redundanzen in Fortsetzungen scheinen somit unausweichlich, vielleicht auch, weil manche Konzepte wie Terminator wenig Spielraum lassen, außer dass eine Maschine aus der Zukunft in die Vergangenheit kommt, um John Connor auszulöschen. Wenn man also so will, ist Flickan som lekte med elden ein durchaus gelungenes Sequel von Män som hatar kvinnor, verzichtete Stieg Larsson bzw. Daniel Alfredson darauf, den ersten Teil einfach mit neuen Figuren nachzuerzählen. Was jedoch nicht bedeuten soll, dass die zweite Adaption der Reihe ein gelungener Film ist.

Eigentlich könnte alles so schön sein. Ein Jahr ist rum und Lisbeth Salander (Noomie Rapace) frönt immer noch ein wohlhabendes Dasein in der ganzen Welt. Ihre Ex-Flamme und rehabilitierter Journalist, Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) hat sich auch wieder gut in den redaktionellen Alltag seines Magazins „Millennium“ eingefunden. Aber natürlich tut sich ein neues Problemfeld auf, das die beiden ehemaligen Ermittlungspartner wieder zusammenführt. Während Lisbeth die Tätigkeiten ihres juristischen Vormunds Bjurman (Peter Andersson) überwacht, stößt einer von Mikaels Kollegen auf einen Mädchenhändlerring, in den auch Beamte der schwedischen Regierung verstrickt sind. Als wenig später nicht nur Bjurman, sondern auch Mikaels Kollege und dessen Freundin tot aufgefunden werden, gerät Lisbeth wegen ihrer Fingerabdrücke an der Tatwaffe unter dreifachen Mordverdacht. Der Schlüssel zur Verschwörung scheint der ominöse ehemalige Spion und Überläufer Zalachenko (Georgi Staykov), „Zala“ genannt, zu sein.

Natürlich wird wieder privat ermittelt, was das Zeug hält, gehacked und gejailbreaked, was Bits und Bites hat - aber dennoch zeigt sich Flickan som lekte med elden von einer anderen Seite als sein Vorgänger. Was erfrischend ist, aber den Film nicht weiterbringt. Der Mädchenhändlerring verkommt zur Nebensache, wichtiger ist, wer in ihn involviert ist. Die meiste Zeit betreiben Mikael und Lisbeth dabei ihre eigenen Recherchen, unabhängig voneinander, und begegnen sich somit erst in der Schlussszene. Dies vermeidet in seinem strukturellen Aufbau Redundanzen zum Vorgänger, kann jedoch auf der narrativen Ebene nicht mit Män som hatar kvinnor mithalten. War dieser bis zu seinem dritten Akt überaus spannenden Skandinavien-Kino, fehlen der Fortsetzung nun der rote Faden in der Handlung und eine Identifikationsperson wie sie Harriet Vanger (und dies sogar in Abwesenheit) darstellte. Hier ist Lisbeth nun das Objekt der (narrativen) Begierde, was aber daran scheitert, dass Larsson bzw. Alfredson (noch) zu wenig über sie preisgeben.

Der Kollege Moviescape hat es angesprochen: eigentlich sollten die zweite und die dritte Literaturverfilmung der „Millennium“-Reihe im Gegensatz zu Män som hatar kvinnor nicht im Kino, sondern nur im Fernsehen laufen. Entsprechend grobkörniger ist die Optik geraten, die zwar nicht zwingend schlecht ist, aber nicht so überzeugend ausfällt, wie beim Vorgänger. Ähnlich wie der erste Teil verbaut sich Flickan som lekte med elden viel mit seinem schusseligen Finale, hier in Form eines armseligen Kill Bill Vol.2-Zitats. Mittels Cliffhanger-Abschluss soll die Brücke zum abschließenden Luftslottet som sprängdes geschlagen werden, kann jedoch auch mit Abstrichen als stringentes Ende dieses Handlungsstranges gesehen werden. Hinsichtlich der Adaption gehen wahrscheinlich wie beim ersten Teil viele Einkäufe, Kochrezepte und Abendveranstaltungen der beiden Hauptfiguren verloren. Grundsätzlich ließe sich jedoch urteilen, dass man nichts verpasst, wenn man Larssons Romane oder eben deren Verfilmungen außen vor lässt.

5.5/10

10. Juni 2010

True Blood - Season Two

I’d die if I wasn’t already dead.

Liebe auf den ersten Blick wird gerne als Mythos angesehen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Generell wird jedoch auch gesagt, mal soll nicht immer nach dem ersten Eindruck gehen. Manche Dinge wachsen mit der Zeit. Speziell auch Fernsehserien, in ihrer bekanntesten Form auf diesem Blog hier Chuck. In der ersten Staffel noch kritisch beäugt, steigerte sich die Comedy-Show von Josh Schwartz schließlich im darauffolgenden Jahr. Was sie zu keiner herausragenden, aber letztlich doch unterhaltsamen Serie macht. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Andere Formate wie Breaking Bad wissen dagegen auch in ihrer zweiten Instanz keine sonderliche Verbesserung mit sich zu bringen, bleiben also auf demselben Niveau. Dass dies bei einer HBO-Serie nicht viel anders ist, dürfte kaum überraschen. Die Formate des Pay-TV-Senders bestechen durch ihre Redundanz und Stagnation. Was man gut finden kann, aber nicht muss.

„Mein Problem mit den Sopranos ist, dass sich weder die Serie noch die Figuren weiterentwickeln“, schrieb ich einst zur zweiten Staffel von The Sopranos. Einer Serie, die ich aus ebendiesem Grunde auch Anfang der dritten Staffel abbrach. Etabliert HBO seine Figuren erst einmal, hat es sich damit an sich oft auch. Egal ob Carrie Bradshaw, Tony Soprano oder Sookie Stackhouse (Anna Paquin), sie sind, was sie waren und sie bleiben, was sie sind. Verzeiht man einem Film noch hier und da die eine oder andere Redundanz, fällt einem dies bei einer 10-stündigen Serienstaffel schon schwieriger. Etwas, das besonders in der zweiten Staffel von Alan Balls Literaturadaption True Blood bemerkbar wird. Speziell in der zweiten Hälfte der Staffel wiederholt sich eigentlich ein und derselbe Handlungsstrang wieder und wieder. Was dazu führt, dass die präsentierte Handlung zum einen langweilig wird und zum anderen zu nerven anfängt.

Ähnlich wie in Tolkiens The Two Towers teilt sich nun die Handlung in drei Gruppen auf. Ein neuer Mord ist in Bon Temps geschehen, was aber schon bald keine Rolle mehr spielt, weil Sookie ins Fangtasia gerufen wird, um Eric (Alexander Skarsgård) einen Gefallen zu tun. Sein Schöpfer und Sheriff von Dallas, Godric, ist verschwunden, und Sookie soll bei der Suche behilflich sein. Gemeinsam mit Vampir-Stecher Bill (Stephen Moyer) geht es ab nach Texas, wo die Spur schnell zur sektiererischen Anti-Vampir-Kirche Fellowship of the Sun führt. Bei denen ist inzwischen Sookies Bruder Jason (Ryan Kwanten) ziemlich engagiert, macht er doch die Kirche für seine Gefängnisrettung Ende der ersten Staffel verantwortlich. In Bon Temps treibt derweil die Teufelsanbeterin Maryann (Michelle Forbes) ihr Unheil, verschlägt die ganze Stadt rund um Tara (Rutina Wesley) in ihren Bann und will Sam (Sam Trammell) ihrem geliebten Gott opfern.

Wie schon der Vorgänger (und auch die kommenden Nachfolger) basiert die zweite Staffel auf dem jeweiligen Band von Charlaine Harris’ Romanreihe. In diesem Fall Living Dead in Dallas. Die oben genannten Haupthandlungsstränge werden ergänzt von kleineren Subplots wie Lafayette (Nelsan Ellis), der zu Beginn von Eric als Sklave im Keller gehalten wird, weil er Vampirblut verkauft hat. Oder der romantischen Beziehung zwischen Bills Schöpfung Jessica (Deborah Ann Woll) und dem Muttersöhnchen Hoyt (Jim Parrack). Überblickt man nun diese ganzen Haupt- und Nebenhandlungen, könnte man meinen, sie würden die zwölf Episoden der Staffel ausreichend füllen. Das Gegenteil ist der Fall. Was Ball dieses Jahr zu erzählen hat, hätte auch problemlos in der Hälfte der Episoden zusammengefasst werden können. So schleichen sich wie erwähnt besonders in der zweiten Hälfte der Staffel unentwegt Redundanzen ein, die irgendwann eintönig werden.

Beliebte Szenen sind das Anknurren von Bill und Eric, da Letzterer inzwischen Gefallen an Sookie gefunden hat, aber besonders die Szenerie in Bon Temps lädt zum munteren Déjà-vu ein. Hier folgt eine von Maryann inszenierte Orgie auf die Nächste, was die Gelegenheit für viele Kopulationsszenen bietet. Hinzu kommen dann ekstatische Gewaltausbrüche, beispielsweise von Tara und ihrem boy toy Eggs (Mehcad Brooks), die sich im zweiten Akt der Staffel mehr als einmal genüsslich gegenseitig herbatschen. Es ist besonders die Integration von Maryann, die True Blood im zweiten Jahr das Genick bricht. Ihr Handlungsstrang ist so dermaßen schlecht ausgearbeitet, dass nicht nur sie einem absolut egal ist, sondern eigentlich auch die restlichen Figuren (einschließlich der Charaktere, die sich nicht in Bon Temps aufhalten). Dies führt letztlich dazu, dass sich in der zweiten Staffel der Serie keine Folge sonderlich auszuzeichnen vermag.

Sieht man von den zahlreichen Orgien ab, hält sich auch die von HBO so gern betrieben Sexualisierung etwas in Grenzen. Auch wenn Ball in der Auftaktfolge Nothing But the Blood besonders pervers zu Gange geht, wenn er Bill und Sookie erst streiten, neunzig Sekunden später dann vögeln, er sie beißen und ihr dann ihr eigenes Blut anschließend in den Mund rotzen lässt. Snowballing a la Vampir ist das dann wohl. Ob man so etwas sehen will, ist eine andere Frage. Einzig erwähnenswerter Gaststar ist dieses Jahr dann Evan Rachel Wood in einer ziemlich überflüssigen Rolle, die mit unwahrscheinlich dümmlichen Textzeilen ausgestattet wurde. Im Gegensatz zum Vorjahr kann diesmal das Staffelfinale Beyond Here Lies Nothing gefallen, allerdings nur aus dem Grund, weil der ganzen Chose nach elf langen Folgen endlich ein Ende gesetzt wird. Liebe auf den ersten Blick war True Blood keineswegs. Leider wächst die Serie aber auch nicht mit den Jahren.

6.5/10

7. Juni 2010

True Blood - Season One

All anyone’s thinking about here is sex, sex, sex.

In Spanien führte das Ende des Franquismus, der das Land gut vier Jahrzehnte lang unterdrückte, unter anderem zur movida madrileña, einer Kulturbewegung der spanischen Hauptstadt, der auch der junge Pedro Almodóvar angehörte. Dessen erste Filme, Pepi, Luci, Bom y otras chicas del montón und Laberinto de pasiones sind dann vor allem eins: obszön und vulgär. Aus dem einfachen Grund, weil man nun vulgär und obszön sein durfte, bedeutete das Ende des Diktators doch den Anfang der Freiheit. In ähnlicher Weise ließe sich so auch das Konzept des amerikanischen Pay-TV-Senders Home Box Office, kurz „HBO“ genannt, beschreiben. Der Sender präsentiert Fernsehserien, die das zeigen, was die Network-Sender nicht ausstrahlen dürfen: Titten und Sex. Egal ob Sex and the City, Six Feet Under oder seit zwei Jahren Alan Balls True Blood, Sex wird bei HBO groß geschrieben und verkommt zum fast schon primären Narrationsmittel. Aus dem einfachen Grund, weil man es darf. Ob das hilft, ist eine andere Frage.

Das vergangene Jahrzehnt wird gerne als die Ära der Superhelden-Filme angesehen. Dabei treiben sich fast genauso viele Vampire herum. Der lebende Untote feiert Renaissance, sowohl in der Literatur- wie Filmwelt. Und so viele verschiedene Reihen es gibt, sind sie sich doch alle ähnlich. Junges hübsches Menschen-Mädchen darf sich in blassen, knackigen Vampir-Boy verknallen. Bevorzugt aus dem 19. Jahrhundert, weil sich da ein schöner Bezug zum Unabhängigkeits- und Bürgerkrieg finden lässt. Stephenie Meyers Twilight-Serie läuft hier noch am erfolgreichsten mit ihren Kinoadaptionen rund um R-Pattz und K-Stew. Dabei sprang Meyer nur auf den Zug auf, den einige Jahre zuvor Charlaine Harris mit ihrer The Southern Vampire Mysteries-Reihe in Gang gebracht hat. Allerdings publizierte L.J. Smith ein Jahrzehnt zuvor bereits ihre The Vampire Diaries-Reihe. Dementsprechend mutet das Vampir-Genre wie eine Großküche an, in der sich jeder desselben Rezeptes bedient und lediglich die eine oder andere Zutat hinzufügt oder weglässt.

Alan Ball, Schöpfer der hochgeschätzten Serie Six Feet Under, nahm sich nun Harris’ Romanreihe an und basierte seine neue HBO-Serie True Blood auf Dead Until Dark, den ersten Roman der Southern Vampire Mysterie-Reihe. Hier dreht sich alles um die Einwohner der kleinen Stadt Bon Temps in Louisiana. Stadtzentrum ist die Kneipe „Merlotte’s“ von Sam Merlotte (Sam Trammell), wo die Hälfte der Figuren arbeitet und die andere Hälfte zum Trinken herkommt. Dreh- und Angelpunkt ist die telepathische Kellnerin Sookie Stackhouse (Anna Paquin), in die Sam verschossen ist, die sich aber Hals über Kopf in den Vampir Bill Compton (Stephen Moyer) verknallt. Vampire leben in True Blood als „geoutete“ Minderheit, dank dem japanisch-synthetischen Kunst-Blut „True Blood“. In schöner Rassismus-Parabel sind nun die Vampir-Amerikaner die Diskriminierten, als fangs verunglimpft (ihre Sexpartner dagegen als fang banger) und somit auch von den Einwohner Bon Temps’ misstrauisch beäugt.

Zu letzterer Gruppe zählt neben Sam auch Sookies sexsüchtiger Bruder Jason (Ryan Kwanten) und ihre beste Freundin Tara (Rutina Wesley). Während die anderen Figuren also im abwechselnden Spiel Sookie davon abraten, sich mit Bill einzulassen, treibt ein Frauenmörder beziehungsweise vermeintlicher Fang-Banger-Mörder sein Unwesen. Bevorzugt killt er Frauen, die mit Jason Stackhouse in der Kiste waren, sodass dieser bei den örtlichen Behörden (Chris Bauer und J.F. Sebastian William Sanderson) Hauptverdächtiger Nummer Eins ist. Es handelt sich hierbei um zwei Handlungsstränge, die recht leidlich funktionieren, ohne besonders mitreißen zu können, auch oder gerade aufgrund der ausufernden Laufzeit von rund fünfzig Minuten pro Folge. Es gibt das klassische Hin und Her zwischen den Hauptfiguren, dass später nach Sookies ersten Mal dazu führt, dass sie immer dann gut gelaunt ist, wenn ihr der Vampir zwischen die Beine gespritzt hat und andernfalls eine Fresse wie sieben Tage Regenwetter zieht.

Ohnehin lebt True Blood von seiner Sexualisierung, gibt es doch kaum eine Episode, in der Jason nicht irgendeine Thekenschlampe von hinten durchnimmt oder eine der verehrten Damen ihre sekundären Geschlechtsteile in die Kamera wackelt. Einen wirklichen Sinn haben diese Szenen nicht, außer eben die Tatsache, dass man im Pay-TV nicht zimperlich sein muss. Würde man alle Sex-Szenen der ersten Staffel herausschneiden, hätte sich die Episodenzahl vermutlich um zwei Folgen reduziert (was man bei HBO’s Politik, 12-Episoden-Staffel zu produzieren, scheinbar nicht verantworten konnte). Wer immer schon mal die Titten von Anna Paquin, Lynn Collins oder Lizzy Caplan bestaunen wollte, ohne sich wie ein Perverser durchs Internet zu stöbern, kann dies im kultivierten HBO-Qualitätsfernsehen nun ziemlich unbekümmert tun. Ähnlich wie im Falle von Almodóvars Frühwerken sollte man sich jedoch überlegen, ob es sich wirklich lohnt, etwas Sinnfreies zu machen, nur weil man es ungestraft machen kann. Einen Mehrwert sucht man vergeblich.

Der andere Handlungsstrang um die Serienmorde verläuft eher nebenher, wird in Form von einer Leiche alle paar Folgen kurz aufgegriffen und zu Gunsten einer Sex-Szene dann vorerst wieder ins Hinterkämmerchen geschoben. Es wundert also nicht, dass die Auflösung des Täters im Staffelfinale weder schockiert, überrascht oder sonst eine Reaktion hervorruft. Ein Motiv sucht man ebenfalls vergeblich. True Blood kokettiert eben mit seinen erotischen Bildern, anstatt eine ausgefeilte Handlung anbieten zu wollen. Einen Sub-Plot um die Vampir-Gesellschaft rund um deren Sheriff, Eric (Alexander Skarsgård), wird vermutlich in der zweiten Staffel ausführlicher ausgelotet, die eigentlich interessanteren - oder sympathischeren - Nebenfiguren wie Layfayette (Nelsan Ellis) oder Terry (Todd Lowe) ließ Ball meist im Hintergrund vor sich hindümpeln. Die Anspielungen auf die US-Geschichte (Rassismus, Diskriminierung, etc.) sind zwar ganz nett (Angelina Jolie adoptiert Vampir-Baby, hihihoho), aber mit der Dauer dann auch ziemlich eintönig.

Die Serie ist dabei nicht schlecht, aber eben relativ leidlich. Durchschnitt, aus dem sich allenfalls noch The Fourth Man in the Fire als gefälligste Folge herausgreifen lässt. Dass es True Blood nicht gelingt, ein überzeugendes - oder nennen wir es: spannendes - Staffelfinale zu produzieren (die Identität des Serienmörders ist so egal, wie sonst was, wird dann aber dennoch spektakulär unspektakulär aufgelöst) und mit einem Cliffhanger abschließt, der eher zum Abschalten, denn Fingernägelknabbern einlädt, spricht für beziehungsweise in diesem Falle gegen sich. Dabei ist die Inszenierung - Michael Lehmann führte in der Mehrzahl der Folgen Regie - relativ gelungen, auch die Effekte sind ansehnlich. Zudem erfreuen die Gastrollen von Collins, Caplan und John Billingsley, die weitaus überzeugender aufspielen, als Paquin und Co. So ist True Blood insgesamt eine Serie, die an ihrer Orientierungslosigkeit, zu langen Laufzeit und übertriebenen Sexualisierung leidet. Oder kurz gesagt: eine HBO-Serie.

7/10

4. Juni 2010

Law Abiding Citizen

Justice will be served.

In der römischen Etymologie steht Iustitia für die Göttin der Gerechtigkeit und dementsprechend das Rechtswesen. Die meisten Darstellungen von Iustitia zeigen sie mit Richtschwert und Waage in der Hand, die Augen verbunden durch eine Binde. Sinn und Zweck sind einfach: Blind vor den Personen und somit unbeeinflusst durch deren Rang oder Ansehen soll sie mit der Waage die Sachlage abwägen und mit dem Richtschwert das Urteil vollstrecken. Dabei ist dies eine relativ junge Darstellung der Göttin, die erst seit dem 15. Jahrhundert gepflegt wird. Davor war Iustitia keineswegs blind, schließlich kam die Augenbinde erst als Spottbezeichnung hinzu, um die Blindheit von Iustitias Entscheidungen zu karikieren. Eine treffende Darstellung, gibt es schließlich im Rechtswesen keine Blindheit vor dem Ansehen der Person. “It’s not what you know. It’s what you can prove in court”, lautet einer der entscheidenden Sätze in F. Gary Grays Thriller Law Abiding Citizen. Ein Film, der zugleich mit dem (amerikanischen) Justizsystem abrechnet.

Selbstjustiz-Filme verkamen gerade im vergangenen Jahrzehnt wieder zu einem populären Genre. Werke wie Hard Candy, The Brave One oder Death Sentence konzentrierten sich in ihrer Erzählung darauf, den Niedergang des Täters durch sein Opfer darzustellen. In ihren Prologen ähneln sich daher die Meisten dieser Filme: das harmonische Familienleben wird durch den sprichwörtlichen Einbruch von Gewalt in seinem Mark erschüttert. Hier macht Law Abiding Citizen keine Ausnahme, wenn der tüftelnde Familienvater Clyde Shelton (Gerard Butler) die Bastelkunst seiner kleinen Tochter bewundert und nichtsahnend das Klingeln seiner Haustür beantwortet. Der als Prämisse dienende Gewaltakt als solcher ist dann auch hier wie bei seinen Genrekollegen sehr viel kurzgefasster, als seine im Verlauf des Films dargestellten Folgen. Zwei Männer dringen ein, der Rädelsführer sticht auf Clyde ein, attackiert dann seine Frau und wird in ihrer Vergewaltigung vom Eintreffen der Tochter gestört.

Rund 20.000 Gewaltverbrechen gab es die letzten beiden Jahre in Philadelphia, Pennsylvania, zusätzlich über 300 Morde jährlich und drei Mal so viele Vergewaltigungen. Lediglich Los Angeles, New York City und Houston wiesen ähnlich hohe Zahlen in diesen Rubriken auf, bedenkt man jedoch deren Einwohnerzahl, steht Philadelphia an der Spitze. Laut dem Philadelphia Inquirer verfügte die historische Stadt zugleich über die geringste Verurteilungsrate aller US-Großstädte. Und das alles in der Stadt, die zwölf Jahre lang die Hauptstadt der USA war, in der 1776 die Unabhängigkeitserklärung beschlossen und elf Jahre später die US-Verfassung verkündet wurde. Eine Stadt, die, wenn man so will, das Fundament der Vereinigten Staaten von Amerika darstellt oder zumindest repräsentiert. Und die doppelt so viel Verbrechen produziert, wie das in etwa gleichstark bevölkerte Phoenix. Insofern konnte F. Gary Gray keine treffendere Stadt zum Schauplatz seines siebten Filmes auserkiesen als ebenjenes Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania.

Nach dem ausgeblendeten Verbrechen springt Law Abiding Citizen direkt zur Strafverhandlung. Wir lernen Nick Rice (Jamie Foxx) kennen, einen afroamerikanischen Staatsanwalt, der sein Studium an der Abendschule gemacht hat. “Law school’s got nothing to do with law”, weiß der karrieregeile Nick, der mit Ablehnung zu seinem Vorgesetzten, einem Harvard-Alumnus, aufblickt. Nick ist ein aufstrebender Anwalt, mit einer Verurteilungsrate von 96 Prozent, was als Ausgangsbasis des Filmes dient. Denn vermutlich wegen dieser Rate vertraut ihm der leitende Staatsanwalt Jonas (Bruce McGill) den Shelton-Fall an – was bei Nick jedoch Vorsicht auf den Plan ruft. Anstatt vor Gericht zu gehen, will er lieber einen Deal mit dem Anwalt des Haupttäters eingehen. Als Jonas erwähnt, dass ein Kind getötet wurde, entgegnet Nick lediglich, dass es ein “unperfect system” sei. Den Hinweis seines Chefs, dass er den Fall gewinnen könne, lehnt der Staatsanwalt sofort ab. “Can’t take that chance”, meint er in Bezug auf seine nahezu makellose Verurteilungsrate.

“Some justice is better than no justice at all”, lautet seine Ausrede. Lieber einen von zwei Mördern verurteilen, als dass am Ende Beide auf freien Fuß kommen. Kurz darauf muss Nick im Gesprächszimmer Clyde erklären, dass er mit dem Haupttäter des Verbrechens einen Deal eingehen wird. “This is just how the justice system works”, ist das Resümee von Nick, der Clyde einprägen wird: “It’s not what you know. It’s what you can prove in court.” Nick ist Bestandteil eines korrumpierten Systems. Selbst verheiratet und in Kürze Vater einer Tochter weiß er sehr wohl um die Schuld des Haupttäters Darby (Christian Stolte). Ein späterer Zeitsprung von einem Jahrzehnt verrät schließlich, dass Nick seinen Job als oberste Priorität erachtet. Die Musikauftritte seiner Tochter – die ironischerweise Cello spielt, ein Instrument, dessen Beherrschung Foxx zuvor selbst für The Soloist lernte – versäumt er regelmäßig. Es kommt zu einer entscheidenden Szene vor dem Gerichtsgebäude, als Nick vor versammelter Presse von Darby zu einem Handschlag genötigt wird. Ein Handschlag, den Clyde ungläubig beobachtet und der alles verändern wird.

Im Gegensatz zu Genrekollegen wie The Brave One oder Death Sentence behandelt Law Abiding Citizen nicht Clydes Rache an Darby und dessen Mittäter. Oder nicht nur. Dieser Handlungsstrang wird mit dem ersten Akt abgeschlossen. Nach einem Jahrzehnt ist Nick nun an zweite Stelle aufgestiegen, Darby seit sieben Jahren wieder aus der Haft entlassen und sein Komplize blickt seiner Exekution entgegen. Gray inszeniert diese Hinrichtung visuell sehr gekonnt, indem er sie parallel zur Aufführung von Nicks Tochter präsentiert. Es öffnet sich der Vorhang zu einem Schauspiel, einer Show – nur wohnt Nick der falschen Show bei. Anstatt relativ schmerzfrei durch Todesspritzen umzukommen, hat Clyde die Behälter ausgetauscht. Der Täter stirbt qualvoll, anschließend lenkt er den Verdacht auf Darby, den er bei seiner Flucht vor der Polizei unterstützt. Ein durchgeplanter Racheakt, der in einem verlassenen Lagerhaus und in 25 Körperteilen Darbys endet. Wo andere enden, fangen F. Gary Gray und Drehbuchautor Kurt Wimmer erst an.

Clyde lässt sich ohne Widerstand verhaften, wird inhaftiert und anschließend von Nick aufgrund seiner Tat gelobt (“What you did…bravo”). Er weiß, dass die Täter schuldig waren, ihre seiner Ansicht nach gerechte Strafe erhielten sie aber erst durch Clydes Verhalten. Nick hat nichtsdestotrotz keine Skrupel, schnellstmöglich dessen Geständnis zu kassieren, ihm den Rücken zuzuwenden und wieder seiner Karriere zu frönen. Clydes Fall landet vor der Untersuchungsrichterin, jener Frau, die bereits den Mord seiner Familie verhandelte. Aufgrund fehlenden Beweismaterials gelingt es Clyde vor Gericht jedoch, eine Kaution für sich auszuhandeln, die dieser gleich darauf mit höhnischem Beifall quittiert. “How misguided are you?”, fragt er die Richterin, ehe er das eigentliche Problem des Filmes in den Saal brüllt. “Do you have any idea what justice is? Whatever happened to right and wrong? Whatever happened to the people? Whatever happened to justice?” Clydes Lehrstunde hat soeben ihren Anfang gefunden.

Die Beweisdecke ist dünn, das amerikanische Justizsystem eindeutig. Nick braucht ein Geständnis, Clyde bietet ihm eines an. Im Austausch für ein therapeutisches Bett. “You’re the one who makes deals with murderers“, entgegnet er dem Staatsanwalt lakonisch. Auf das Bett folgt der Wunsch nach einem Steak. Clyde spielt gekonnt die Partitur des bürokratischen Systems, macht Deal um Deal mit dem narzisstischen Staatsanwalt Nick. Darbys einstiger Anwalt verschwindet, Nicks hält den Deal nicht ein, ein weiteres Leben geht verloren. “Justice should be harsh. Especially to those who denied it to others.” Inzwischen hat Clyde seinen Zellennachbarn getötet, landet in Einzelhaft. Nick steckt in der Zwickmühle, sein Gegenspieler scheint ihm überlegen. Jonas lässt Kontakte spielen, organisiert ein geheimes Treffen mit einem Mittelsmann. “Someone who does some really nasty shit so we can live the American Dream.” Der Film nähert sich dem an, was Clyde eine halbe Stunde später als “broken thing” bezeichnet, das einst die USA waren.

Szene für Szene demaskiert der Film das korrupte Justizsystem. “You want me to violate this God given civil rights?”, fragt die Untersuchungsrichterin, als Nick und Jonas Einfluss auf Clydes Haftbedingungen nehmen wollen. Und beantwortet die rhetorische Frage selbst mit einem kurzen “OK”. Als Nick und Polizeiermittler Dunnigan (Colm Meaney) später auf eines von Clydes Privatgrundstücken stoßen, stehen sie vor einer ähnlichen Situation. “What about his civil rights?”, fragt Dunnigan, worauf Nick das Garagentor aufbricht und lapidar erklärt: “Fuck his civil rights.” Clyde wächst der Stadt über den Kopf, die Bürgermeisterin ruft den Notstand aus und erklärt in einer Versammlung: “I don’t care what laws we have to bend.” Es ist dies Clydes Verdienst, sein “war with this broken thing”, der das städtische Rechtsystem dazu führt, sich selbst zu negieren und als gescheitert an den Pranger zu stellen. Die obersten Instanzen, Bürgermeister, Richter, Staatsanwalt missachten ihren Ursprung.

Es ist das filmische Vorhalten eines Spiegels, der dem bürokratischen Apparat sein Scheitern vor Augen führt. Denn erst durch die Missachtung des Gesetzes gelingt es schließlich, Clyde zur Strecke zu bringen. Erst durch die Außerkraftsetzung der Verfassung, scheint Gerechtigkeit möglich. Und wenn am Ende Nick selbst zum Mörder werden muss, wie Clyde, um Gerechtigkeit zu erfahren, wie Clyde, dann schließt sich im Grunde der Kreis. Law Abiding Citizen ist nicht Clydes Geschichte, es ist Nicks Geschichte. Das Handeln eines aalglatten Staatsanwaltes, der den Mord an einer Familie hinter seine eigene Karriere zurückstellt und sich ein selbstgefälliges Grinsen auch dann nicht verkneifen kann, wenn sein Chef und sein Protege (Leslie Bibb) gestorben sind und er von der Bürgermeisterin befördert wird. Im Verlaufe des Filmes verrät Nick somit alles, was ihn zu Beginn ausgezeichnet hat. Am Ende hat er nicht nur die Verfassung gebrochen, sondern ist letztendlich selbst zum Mörder verkommen. “It’s an unperfect system.”

Im Grunde befasst sich Law Abiding Citizen also weniger mit Selbstjustiz, sondern mehr mit der Frage nach Gerechtigkeit. Eine Frage, die bereits Platon vor über 2.000 Jahren beschäftigte. In seiner Politeia widmet er beziehungsweise sein „Alter Ego“ Sokrates sich eindringlich der Frage, was genau Gerechtigkeit ist - nur um am Ende in einer Aporie zu landen. Einer von Sokrates’ Gesprächspartnern stellt eine Idee des Dichters Simonides zur Debatte. „Also Freunden gutes tun und Feinden böses sagt er sei Gerechtigkeit“ (332d3). Ein Verständnis, wie es in unserem heutigen Justizsystem auftaucht. Den Guten soll Gutes/Recht widerfahren, den Bösen dagegen Böses/Strafe. Im Shelton-Fall wäre dies nach amerikanischem Recht die Todesstrafe für Darby und seinen Komplizen Ames gewesen. Ihr Tod hätte bei Clyde zu Genugtuung geführt – eine „Auge um Auge, Zahn um Zahn“-Mentalität. Ein Prosa-Fall, wird doch nie erläutert, warum Darby und Ames überhaupt bei den Sheltons eingebrochen sind und die Frauen ermordet haben.

So einfach lässt Platon die Frage nach Gerechtigkeit aber nicht beantworten. Die Bestimmung von Freund und Feind und damit die Einteilung, wem man Gutes und wem Böses tun kann/darf/muss/soll ist nicht eindeutig bestimmt. Zudem kann es nicht die Sache beziehungsweise im Sinne der Gerechtigkeit sein, Anderen Schaden zuzufügen. Ein kompliziertes Thema, das kurz darauf zu einer weiteren These führt: „jedermann glaubt, daß ihm für sich die Ungerechtigkeit weit mehr nützt als die Gerechtigkeit“ (360d). Unabhängig von der Tatsache, dass sich Gerechtigkeit nicht bestimmen lässt (im Lexikon wird sie als „Idee“ definiert), wirkt es, als wohne diese These den Figuren aus Law Abiding Citizen inne. Nick Price nützt es aus beruflichen Gründen mehr, einen Deal vorzuschlagen und somit gegen Clyde Sheltons Gerechtigkeitsverständnis zu handeln. Dieser wiederum agiert später ebenfalls gegen das Recht gerichtet, um zu seiner Idee von Gerechtigkeit zu kommen (“Justice should be harsh”).

Über das Missverständnis von Justiz und Gerechtigkeit hatte Friedrich Dürrenmatt vor 25 Jahren seinen Roman Justiz verfasst, in welchem, ähnlich zu Grays Film, eine offensichtliche Tat aufgrund von juristischen Hindernissen keine „Gerechtigkeit“ erfährt (“It’s not what you know. It’s what you can prove in court”). Insofern ist Wimmer und Gray ein überaus gelungener konventioneller Hollywood-Thriller mit philosophischem Nährboden gelungen. Ein Film, der hinsichtlich Clydes Plan über weite Strecken durchaus spannend und packend inszeniert ist, und viele gelungene Fragen sowie Anregungen zur Hinterfragung stellt. Ist etwas Gerechtigkeit wirklich besser als gar keine Gerechtigkeit? Wäre es akzeptabler gewesen, wenn Darby hingerichtet worden wäre und Ames wenige Jahre verbüßt hätte? Sind Clydes Handlungen vertretbar und wenn ja, bis zu welchem Punkt (“What you did… bravo)? Kann Gerechtigkeit letztlich nur erlangt werden, indem man unrechtmäßig handelt (“Fuck his civil rights)? Am Ende fragt Law Abiding Citizen die Zuschauer selbst: “Do you have any idea what justice is?

8.5/10