24. Mai 2007

A Scanner Darkly

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen:
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
(A Scanner Darkly, S. 256; Faust I, S. 39)

Romanverfilmungen sind immer so eine Sache, meistens gelingen sie nicht allzu gut, oft gelingen sie gar nicht. Eine der Ausnahmen für mich ist z.B. The Fellowship of the Ring, wo Jackson im Gegensatz zu den Fortsetzungen noch gute Arbeit geleistet hat. Richard Linklater hat sich bei A Scanner Darkly wohl eine der höchsten Meßlatten heraus gesucht, die es gibt: Philip K. Dick. Dick gehört zu meinen Lieblingsautoren und ist ohne Zweifel einer der genialsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Das Problem ist, dass Dick's Romane sehr futuristisch sind und zudem sehr komplexe mindfucks. Dies lässt sich m. E. filmisch nicht umsetzen, bzw. nicht genug umsetzen, um Dick zu entsprechen. Und wenn man es nicht schafft dem Roman zu entsprechen, sollte man ihn auch nicht verfilmen.

Linklater erzählt in seiner bereits in Waking Life verwendeten Technik des Rotoskop-Verfahrens, wo reale Bilder am Computer übermalt werden, die Geschichte des Undercover-Polizisten Bob Arctor (Keanu Reeves), welcher seine Junkie Freunde Donna (Winona Ryder), Luckman (Woody Harrelson) und Charles Freck (Rory Cochrane) ausspionieren soll, während ein weiterer Freund von ihm, Jim Barris (Robert Downey Jr.), ihn bei seinem Chef anschwärzt. Das Rotoskop-Verfahren ist auch gewöhnungsbedürftig, bei Waking Life fand ich es noch ganz passend, in A Scanner Darkly hat es mitunter gestört. Man würde meinen, dass auf diese Weise dargestellte "unreale" Bilder besser zu Dick's Story passen, jedoch verschwimmt die Handlung dadurch viel zu sehr, weswegen es besser gewesen wäre, die geschossenen Bilder nicht auch noch zu übermalen und wenn, dann nur in einzelnen Szenen.

Fehlbesetzt ist der Film dazu auch noch. Rory Cochrane besonders und Woody Harrelson zum Teil betreiben nerviges overacting, während Winona Ryder und Keanu Reeves unmotiviert und gelangweilt wirken, vielleicht sind sie auch einfach nur überfordert. Donna und Arctor sind die beiden komplexesten Figuren in A Scanner Darkly und Linlater wäre gut beraten gewesen, Charakterdarsteller für diese Rollen zu besetzen. Spontan fielen mir für Ryder's Figur Juliette Lewis und Marisa Tomei ein, welche Donna mehr Leben eingehaucht hätten, bei Arctor wären wohl Johnny Depp oder Jim Carrey die bessere Wahl gewesen. Der einzige der in seiner Darstellung überzeugt, ist Robert Downey Jr., welcher der Figur des egozentrischen und paranoiden Barris sehr gerecht wird.

Ein Thema zieht sich durch alle Geschichten von Dick: die fortschreitende Technologisierung. Oft sind auch Drogen ein zentrales Thema seiner Arbeiten, neben A Scanner Darkly insbesonders The Three Stigmata of Palmer Eldritch. Das lässt sich aus Dick's Zeitverständnis herleiten, schrieb er seine Arbeiten während der 60er und 70er Jahre, in der Zeit von Drogenfesten und Kaltem Krieg. Dabei ist A Scanner Darkly sein persönlichstes Werk, trägt es doch semiautobiographische Züge und Dick brach es nach eigener Aussage das Herz, als er das Buch schrieb, beschreibt er darin schließlich seine eigene Kommune, seine eigenen Freunde. Philip K. Dick "war" Bob Arctor und hat selber die meisten seiner Freunde an Drogen verloren.

Das zentrale Thema des Romans verkackt Linklater im wahrsten Sinne des Wortes im Film, nämlich was Drogen bei Menschen angerichtet haben und immer noch anrichten. Wie Fred am Ende nicht mehr zwischen Fred und Bob unterscheiden kann, geht im Film völlig verloren. Dick selber schrieb in einem Nachwort zu A Scanner Darkly: "Drogenmißbrauch ist keine Krankheit, sondern eine Entscheidung, vergleichbar mit der Entscheidung, vor einem heranrasenden Wagen hinaus auf die Fahrbahn zu treten". Diese Botschaft geht im Film verloren, weil Linklater nur die (tragisch) lustigen Szenen des Romans zusammenbastelt, damit der Zuschauer unterhalten wird. Dick's Romane lassen sich einfach nicht gebührend verfilmen, am gelungensten ist da wohl noch Blade Runner. Linklater verhebt sich bei seinem Verusch aber eindeutig und Lee Tamahori's Next, das ebenfalls auf einer von Dick's Kurzgeschichten basiert, ist wie John Woo's Paycheck auch gefloppt. Hollywood sollte endlich lernen, dass man die Finger von Dick zu lassen hat.

5.5/10

22. Mai 2007

The Fountain

Together we will live forever.

Gegen Ende des letzten Jahrhunderts fand in Hollywood eine Revolution der unabhängigen und innovativen Filmemacher statt. David Fincher kratzte 1999 mit Fight Club an dem Konzept der Heldenidentität, die Wachowskis brachen mit The Matrix im selben Jahr in neue Science-Fiction Welten vor, Spike Jonze sprengte mit Being John Malkovich die Regeln des linearen Erzählens und Darren Aronofsky schickte das Publikum im Jahr 2000 mit seinem Indie-Hit Requiem for a Dream auf eine Bilderachterbahn mit über 3.000 Schnitten, großartiger Musik und einer fabelhaften Geschichte nach dem Roman von Hubert Selby. Der Film tauchte auf über 150 Top Ten-Listen auf und verschaffte ihm einen grandiosen Ruf, der bereits durch sein Debüt π von 1998 Nahrung erhalten hatte. Wie so viele Arthouse-Regisseure wollten die Studios auch Aronofsky für einen Blockbuster gewinnen und boten ihm an, Frank Millers Batman: Year One zu verfilmen. Das Projekt kam jedoch nie zu Stande, da sich Warner Bros. gegen eine von Aronofsky intendierte Mitarbeit Millers verwehrte. Fünf Jahre später sollte sich dies bei Sin City ändern, Batman dagegen wanderte mit Christopher Nolan zu einem anderen Indie-Regisseur.

Aronofsky wollte dennoch einen Sci-Fi-Film drehen, der mit den bisherigen Konventionen brach und ähnlich wie Star Wars, 2001: A Space Odyssey und The Matrix in neue Regionen stieß. Ein Jahr nach Requiem for a Dream stieg er mit Warner Bros. Pictures in Verhandlungen zu The Fountain ein, für das ein Budget von 70 Millionen Dollar veranschlagt wurde und für das Brad Pitt in der Hauptrolle vorgesehen war. Pitt selber wurde, ebenso wie die für die weibliche Hauptrolle angedachte Cate Blanchett, durch ein Screening von Requiem for a Dream gewonnen. Die Planungen begannen und für 20 Millionen Dollar wurde in Australien ein Set gebaut. Im Frühsommer 2002, sieben Wochen vor Drehstart, verließ Pitt dann nach Differenzen mit Aronofsky bezüglich des Drehbuchs das Projekt ab. Die Vorproduktion wurde eingestellt, das Set bei einer Aktion verkauft und Blanchett entschädigt. Doch Aronofsky ließ The Fountain nicht ruhen und nahm die Verhandlungen zwei Jahre später erneut auf. Für die Hälfte des zuvor veranschlagten Budgets wurde der Film nun mit Hugh Jackman und Aronofskys damaliger Lebensgefährtin Rachel Weisz in den Rollen angegangen und kam schließlich nach sechs Jahren endlich in die Kinos.

In der Gegenwart versucht Neurowissenschaftler Tommy (Hugh Jackman) an Rhesusaffen eine Heilung gegen Hirntumore zu finden, um seine eigene Frau, die Autorin Izzie (Rachel Weisz), von ihrer eigenen Krebsdiagnose zu befreien. Während eine erfolglose Operation der nächsten folgt, verschlechtern sich Izzies Symptome zusehends. Derweil schreibt sie, von der Milchstrasse fasziniert, eine Historiennovelle über das frühneuzeitliche Maya-Volk. Im Jahr 1500 wird der spanische Conquistador Tomas (Hugh Jackman) von der spanischen Königin Isabella (Rachel Weisz) ausgesandt, um den Baum des Lebens zu finden, damit die von der Heiligen Inquisition als Häretikerin gebrandmarkte Königin nicht sterben muss. In einem Maya-Tempel erreicht Tomas letztlich dann sein Ziel. Mit einer Esche macht sich derweil im Jahr 2500 der Astronaut Tom (Hugh Jackman) auf den Weg in einen Nebel innerhalb der Milchstrasse, wo er Xibalba vermutet. Die Unterwelt der Maya, in welcher der Legende nach die Seelen der Verstorbenen wiedergeboren werden sollen. Diese drei ineinander verschachtelten Handlungsstränge werden am Ende letztlich auf einen gemeinsamen, sie zusammenführenden, Nenner gebracht.

Entsprechend der narrativen Vorlage – und seiner visuellen Konzeption – ist der Vorwurf, The Fountain könne prätentiös geraten, naheliegend. So kam Aronofskys dritter Spielfilm beispielsweise bei den Redakteuren des Spiegels gar nicht gut an. Von Birgit Glombitza wurde der Film mit den Worten „nervig“, „anmaßend“, „Kitsch“ und „Hokuspokus“ bedacht, ihr Kollege Daniel Sander kam zu dem Schluss, es handele sei ein „zur Katastrophe mutierter Kunstfilm“. Nun stimme ich selten mit den Kino-Rezensenten des Spiegels überein und in diesem Fall schon gar nicht. The Fountain ist weder nervig oder anmaßend noch kitschig oder Hokuspokus. Die Äußerung von Sander dagegen lässt erahnen, dass man es hier wohl mit einem Vertreter des Männerkinos zu tun hat, der vermutlich bei müden shot-for-shot-Remakes wie The Departed besser aufgehoben ist. Denn The Fountain ist ein Kunstfilm und somit zu einem gewissen Grad durchaus prätentiös. Und das muss er auch sein. Wenn schon bezahlte Kritiker dem Film keine Liebe entgegen bringen, muss diese ihm zumindest inhärent sein. Dabei kann man Aronofskys Werk durchaus belanglos, langatmig oder uninteressant finden, dem großen Ganzen kann man sich nicht verschließen. Was er für 40 Millionen Dollar hier auf die Leinwand bannt, sucht in der Filmgeschichte seinesgleichen.

Die übergeordnete Thematik von The Fountain ist der Tod und die Angst der Menschen davor, diesen zu akzeptieren. Insbesonders wenn Liebe mit im Spiel ist. Tommy will Izzie nicht verlieren und verbringt seine gesamte Freizeit im Labor, um eine Heilung gegen ihren Krebs zu finden. Immer wieder spielt Aronofsky dabei einen Moment ab, in welchem Izzie ihn dazu verleiten will, gemeinsam mit ihr den ersten Schnee zu sehen. Die Zeit, die bleibt, miteinander zu verbringen. Doch er wimmelte sie ab, arbeitet lieber an einer Heilung, damit ihnen mehr Zeit bleibt. Es ist bittere Ironie, dass Tommy jene Heilung später findet, dies für Izzie allerdings bereits zu spät ist. Tommy steht hierbei symbolisch für die gegenwärtige Menschheit, die ihren Gott in der Wissenschaft gefunden glaubt. Für Tommy ist der Tod nur eine Krankheit, die man wie jede andere auch heilen und sich vor ihr schützten kann. Dieser Glauben wird erschüttert, als er schließlich an Izzies Grab steht und lediglich ein “there is no hope, only death“ hervorpresst. Mit dem Tod will er sich nicht abfinden, ihn nicht als das finale Ende akzeptieren und Izzies Worten, dass die Mayas den Tod als einen Akt der Erschaffung ansahen, schenkt er wenig Beachtung.

In der Zukunft scheint Tom(my) selbst seine biologische Uhr abgeschaltet zu haben und reist mit einer Esche, in der er Izzies Seele glaubt, in einem seifenblasenartigen Gebilde zu jenem sterbenden Stern, in welchem die Maya ihre Unterwelt Xibalba vermuteten. Dabei wird er immer wieder von jenem Moment verfolgt, in dem er sich nicht Zeit für Izzie nahm. Schließlich schreibt er ihre Geschichte des spanischen Conquistadors Tomas zu Ende, als er dieses auch für sich akzeptiert. Dessen Verständnis vom ewigen Leben wird auf eine harte Probe gestellt und Aranofsky schlägt eine inhaltliche Brücke über ein ganzes Jahrtausend hinweg. Ohne Frage ist The Fountain von einem spirituellen Verständnis durchzogen, das jedoch nicht nur von christlicher Natur ist. Denn der Baum des Lebens findet sich in verschiedenen Kulturen wieder, wie in Yggdrasil aus der nordischen Mythologie. Es geht Aronofsky nicht um religiösen Glauben, sondern um Glauben per se. Was den Menschen menschlich macht, ist für Aronofsky die Tatsache, dass er stirbt. Es ist mehr ein menschliches als ein religiöses Verständnis, dass nach dem Tod noch etwas folgt. Dass der Körper nur ein Gefängnis für unsere Seelen ist, wie es im Film heißt.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass die Zuschauer durch The Fountain zur Religion hingeführt oder zum Glauben gebracht werden sollen. Der Film behandelt lediglich den Tod des Menschen und dessen sich im Zwiespalt befindende Akzeptanz jener Tatsache, die er nicht ändern kann, nicht einmal durch die Wunder der Wissenschaft. Aronofsky schuf dabei eine bildgewaltige Oper, in der die Galaxie durch Aufnahmen chemischer Reaktionen ersetzt wurde und dennoch glaubhafter aussieht, als in den meisten Science-Fiction-Filmen aus Hollywood. Der stete Wechsel zwischen den Zeitebenen gelingt dabei nahtlos, nicht zuletzt auch dank der einfallsreichen Repetition verschiedener Bildmotive und Symbole. Unterstützt wird diese Bilderflut zudem vom großartigen Soundtrack Clint Mansells, der sich speziell im Finale selbst zu übertreffen scheint. Ähnlich wie 2001: A Space Odyssey dürfte Aronofskys Film der Rezeption seiner Zeit voraus sein, veranschaulicht an den beiden Redakteuren des Spiegel. Und so kann man The Fountain sicher übertriebene Prätention, Religiosität oder Spiritualität unterstellen – wie eigentlich fast jedem Film, der je gedreht wurde – oder man kann ihn ganz einfach nur genießen.

9/10

14. Mai 2007

Funny Games

Sie dürfen den Unterhaltungswert nicht vergessen.

Meine Fernsehzeitung bezeichnete Michael Haneke's Werk von 1997 mit dem Satz "Achtung, spielt mit den Sehgewohnheiten und ist sehr hart", ein Bloggerkollege beschrieb mir den Film als mindfuck - mehr musste ich nicht wissen und schon war das Teil aufgenommen und gestern Abend zu Gemüte geführt worden. Vorab will ich schon mal sagen, dass ich den Film nicht zu hart fand. Jedenfalls von seiner Gewalt. Und generell auch nicht. Hart ist das falsche Wort. Oder ich bin einfach nur "abgehärtet".

Ich will nicht lange versuchen auf mein Fazit zu kommen, sondern erarbeite lieber aus meinen Fazit heraus weiter: Funny Games ist ein klasse Film. Mehr als Klasse, das Drehbuch sucht seinesgleichen. Hab seit Memento glaube ich nicht mehr solch ein gutes Thriller-Drehbuch gesehen. Hier stimmt alles, jede Handlung, jeder Dialog, alles am richtigen Platz. Da hat sich Haneke selbst übertroffen. Zwei junge Männer, die wahl- und motivlos eine dreiköpfige Familie quälen, dabei aber immer höflich, ruhig und sachlich bleiben und sich brav für alles bedanken, was sie bekommen.

Nach der ersten Stunde war ich total aus dem Häuschen und war bereit dem Film die volle Punktzahl zu geben. Als Haneke aber nach dem ersten Showdown die Kamera fünf Minuten auf der selben Szene lässt, in welcher nichts passiert und nur zwei Sätze geredet werden, wurde meine Geduld ein wenig übertrapaziert und ich war froh als Paul und Peter wieder im Haus waren. Die darstellerischen Leistungen von allen Beteiligten sind top, die von Arno Frisch (Paul) überragt jedoch alle. Mit seinem österreichischen Akzent und seiner kurzen Hose, dazu das Lächeln. Richtig toll.

Das Konzept von Funny Games ist aber dabei im Grunde das, was mir beim Film so gefallen hat. Am Anfang fragt Georg Paul noch, warum die beiden jungen Kerle all das tun, worauf Paul nur entgegnet "Warum nicht?". Dies wird im Laufe des Filmes und besonders am Ende erklärt, bzw. deutlich. Was der Zuschauer in Funny Games sieht, ist (nur) ein Film. So sehe ich das zumindest. Funny Games ist ein Film, den man sicher immer wieder sehen kann, um ihn zu entschlüsseln. Meine Interpretation ist, mich auf das Gespräch der beiden am Ende berufend, dass Paul und Peter echt sind, real, während die Familie Fiktion ist.

Paul durchbricht mehrfach die Vierte Wand, zwinkert dem Zuschauer zu, spricht ihn an, seine Gefühle ("Sie sind doch auf ihrer Seite, oder?"), handelt nach den Gesetzen des Thrillerfilms. Er lässt den Opfern die Möglichkeit zu fliehen, um die Spannung aufrecht zu erhalten und organisiert einen Zeitplan, der eine gesunde (Film)Länge ermöglicht. Das erklärt das viele Essen der beiden, erklärt wieso sie von einem Haus zum nächsten fahren, erklärt wieso Paul den Mord an Peter zurückspulen konnte. Wenn ich weiß, dass alles nur ein Film ist, kann ich als Protagonist die Mauer der Moral durchbrechen und tun und lassen was ich will. Auch Gewalt. Insbesondere Gewalt. Wäre die Szene um die 80. Minute nicht gewesen...naja, wie gesagt, vielleicht verzeihe ich sie Haneke schon beim zweiten sehen, bzw. bei seinem Remake.

9/10

11. Mai 2007

Tenkū no Shiro Rapyuta [Das Schloss im Himmel]

The earth speaks to all of us, and if we listen, we can understand.

Seine Vorstellungskraft und Bildgewaltigkeit kennt kaum Grenzen. Miyazaki Hayao ist fraglos Walt Disneys einzig wahrer Erbe als Vater des berührenden Zeichentrickfilms und dem Status seines Animationsstudios Ghibli als Meisterwerksschmiede macht nur Pixar Konkurrenz. Wen wundert es also, dass auch Tenkū no Shiro Rapyuta (aka Das Schloss im Himmel) als erster offizieller Ghibli ein kleines Meisterwerk ist. Eins, das bei uns erst spät in den Kinos lief. Nicht unähnlich wie ein Lied des hawaiianischen Künstlers Israel Kamakawiwo’ole, das 17 Jahre nach seiner Aufzeichnung – und 13 Jahre nach dem Tod des Künstlers – in Deutschland die Single-Charts stürmte.

Einen ähnlichen Triumphzug vermochte Tenkū no Shiro Rapyuta im Jahr 2006 allerdings nicht anzutreten, als der erste Film des Studio Ghibli fast genau 20 Jahre nach seiner Premiere in unseren Kinos startete. Mit seinem ersten Werk unter dem Banner des neu gründeten Studio Ghibli knüpfte Miyazaki-san im Jahr 1986 daran an, was ihn zwei Jahre zuvor mit Kaze no tani no Naushika so erfolgreich gemacht hat. Bildgewaltige Szenerien, sympathische Charaktere, ein ökologischer Subtext sowie ein pompöses Amalgam aus Kinder- und Actionfilm. Und was besonders beeindruckt: Tenkū no Shiro Rapyuta sieht nicht aus, als wäre er bereits zwei Jahrzehnte alt.

Das liegt zwar mit an der durchgängig-zeitlosen Animation von Ghibli, ist aber zugleich auch ein Qualitätsmerkmal. Ausgesprochen detailliert gerät dieser kindliche Abenteuerfilm, der mehrmals in mehrfacher Hinsicht schweres Geschütz auffährt. Wie so oft in Miyazakis Werken verschmelzen die verschiedenen Zeitepochen, wird Gegenwart und Vergangenheit oder Vergangenheit und Zukunft miteinander kontrastiert. Die Welt in Tenkū no Shiro Rapyuta erinnert an das viktorianische Zeitalter, wird jedoch gepaart mit einer Prise Fantasy-Futurismus und Steampunk. Hier treffen Loks auf fliegenden Scooter und Revolver auf unzerstörbare Roboter.

Grundsätzlich erinnert die Szenerie dabei an Großbritannien, wo Miyazaki und seine Zeichner Inspiration aus der walisischen Landschaft zogen. Das mag zwar für uns Abendländer weniger exotisch sein, dafür für die Japaner umso mehr. Aber auch bei uns hinterlassen die an Berghängen gegründeten Städte und die weite Peripherie Eindruck, selbst wenn sich ein Großteil der Handlung weniger zu Land denn in der Luft abspielt. Hier nimmt der Film nach einem bereits turbulenten ersten Akt anschließend richtig Fahrt auf. Im sprichwörtlichen Sinn. Denn Tenkū no Shiro Rapyuta ist ein Kinderfilm, wie man ihn nicht alle Tage – und schon gar nicht von Disney – erlebt.

Hier flirten mehrere Männer ungeniert mit kleinen Mädchen und Erwachsene scheuen sich nicht davor, wiederholt auf Kinder zu schießen. Was undenkbar in der naiv-harmonischen Welt von US-Animationsfilmen ist, trägt bei Miyazaki dazu bei, dass dieser ein spannendes Abenteuer für die Kleinen parat hält und sich für die Großen erwachsener gibt als Genrekollegen. Nicht vergessen werden dabei die Charaktere, von denen besonders die an die Fratellis aus The Goonies erinnernden Luftpiraten rund um Matriarchin Dora sich im Verlauf von den Bösen zu den Guten wandeln und somit jene humane Dualität repräsentieren, die den Werken Miyazakis stets innewohnt.

Getragen wird die Geschichte dabei von der unschuldigen Freundschaft und suggerierten Liebe zweier Kinder, deren Moral und Ethik so rein ist wie ihre Loyalität zueinander. So ist Tenkū no Shiro Rapyuta gerade für sein Produktionsjahr ein fast schon bahnbrechendes Werk, was die Integration von Action und Abenteuer in einem animierten Kinderfilm angeht. Selbst die für das Genre ungewöhnlich lange Laufzeit von zwei Stunden erzeugt keine Längen. Zwar ist der Film nicht ganz so stark wie Miyazakis Vorgänger, dennoch als erster Ghibli ein exzellenter Vertreter für die Ideologie und Qualität des Studios. Auch, wenn das die Deutschen erst 2006 mitbekamen.

8.5/10

4. Mai 2007

Super Size Me

This is the best part of the day, when I get to be fat, on the bed, with my quart of Coke.

Viele Menschen sind keine Fans von Dokumentationen, wahrscheinlich weil nicht wirklich etwas passiert oder in die Luft fliegt, also keine richtige Handlung vorhanden ist. Ich dagegen bin ein Freund von Dokumentationen und schaue sie mir gerne an. Das diese jedoch mit Vorsicht zu genießen sind habe ich neulich erst festgestellt. War bis dato nämlich ein großer Fan von Michael Moore, dessen Filme Roger & Me, Bowling for Columbine und Fahrenheit 9/11 mir sehr gefallen haben, bis die Dokumentarfilmer Debbie Melnyk und Rick Caine (welche ursprünglich eine Lob-Dokumentation über Moore machen wollten) in ihrem Werk Manufacturing Dissent auf die Arbeitsmethoden von Moore hinwiesen, die sich in keinster Weise von denen seiner Gegner unterschieden. Auch zu Morgan Spurlocks Oscarnominiertem Film Super Size Me gibt es andere Meinungen, doch dazu später mehr.

Morgan Spurlock, ein gesunder und fitter New Yorker nimmt sich vor 30 Tage lang dreimal täglich nur bei McDonald's zu essen, um festzustellen, wie sich das auf seine Gesundheit auswirkt. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Land der Superlativen, selbstverständlich auch was das Gewicht angeht. So leben die fettesten Menschen der Welt in den USA. Mehr als 60% der US-Bürger sind fettleibig oder übergewichtig. Ausgelöst wurde Spurlock's Film durch eine Klage zweier übergewichtiger Mädchen, welche McDonald's verklagten, da deren Essen ungesund sei und sie übergewichtig gemacht hätte. Die Klage wurde abgewiesen. Spurlock will aber dennoch feststellen wie ungesund Fast Food tatsächlich ist.

Zu Beginn des Filmes lässt er sich von drei verschiedenen Ärzten durchchecken und von einer Ernährungswissenschaftlerin beraten. Sein Gewicht beträgt 84kg. Dann beginnt er täglich nur noch bei McDonald's zu essen. Der Titel lässt sich auf das amerikanische Super Size Menü zurückführen, wo man zu seinem Burger noch ein halbes Kilo Pommes und ein Liter Limonade bekommt. Bezeichnenderweise braucht Spurlock dann für sein erstes Super Size Menü auch 22 Minuten und muss das Essen abbrechen, als er sich aus dem Autofenster übergibt. Im Laufe seines Fressens wird Spurlock depressiv, wenn er nichts ist und sein Cholesterinwert steigt um 50%, seine Leber macht fast schlapp. Nach 22 Tagen raten ihm die Ärzte aufzuhören, es könnte lebensbedrohlich werden. Er macht weiter und schafft tatsächlich die 30 Tage, an welchen er dann 95kg wiegt und insgesamt 14kg Zucker zu sich genommen hat.

Ich war selber schon mehrmals in den USA und kann nur bestätigen, dass Fast Food dort eine ganz andere Dimension wie hier in Deutschland einnimmt. Geht man in Manhattan morgens um 8 Uhr in eine McDonald's Filiale sieht man haufenweise Anzugträger, die sich ihr Frühstück hier auf dem Weg zur Arbeit abholen. Da verwundert es nicht, dass McDonald's tagtäglich 46 Millionen Kunden weltweit hat (!) und im Zuge dessen jährlich 1,4 Milliarden Dollar für Werbung ausgibt! Wundert man sich da, dass jeder 20. Amerikaner an einem Typ Diabetes leidet oder 400,000 Menschen jährlich an Folgen von Fettleibigkeit sterben? Dass kleine Kinder eher wissen wie Ronald McDonald aussieht, als Jesus? Wenn die Bürger nicht den Bürgereid, dafür aber dern Big Mäc Werbeslogan aufsagen können?

Spurlock prangert in Super Size Me nicht (nur) McDonald's an, sondern die gesamte Fast Food Industrie, bis hin zur Schulkantine, wo nur 6 von 36 Mahlzeiten im Monat tatsächlich gekocht werden. Der Film fängt Meinungen von Ärzten und Ernährungswissenschaftlern ein und versucht das Problem zu lokalisieren. Fast Food macht süchtig und ist ungesund, besonders für Kinder auf die jedoch auch besonders die Werbung abzielt. Ich gebe zu, ich esse wirklich selten Fast Food, vielleicht alle drei Monate mal, eher seltener. Bei mir scheitert das an den Preisen der Burger/Menüs. Allzu hochnäsig dürfen wir aber auch nicht sein, denn Deutschland ist das fetteste Land Europas! In Schweden wurde Spurlock's Experiment von einem Wissenschaftler nachgeahmt und dieser kam bei 18 Studenten nicht auf ähnlich hohe Cholesterinwerte, wobei meiner Ansicht nach solche Dinge auch abweichen können. Ich halte Super Size Me für einen sehr wichtigen Film, den sich jeder - egal ob fett oder nicht - ansehen sollte. Wenige Monate nachdem der Film rauskam, setzte McDonald's im übrigen das Super Size Menü ab. Zufall?

8/10